Werner Wolf steuert den orange-violett beschrifteten VW Crafter einen kleinen Hügel in der Karlstadter Siedlung hinunter. Aus der hintersten Sitzreihe rutscht eine randvolle Einkaufstüte langsam in Richtung Beifahrersitz. "Ah, mein Einkauf", ruft eine der beiden älteren Damen in Reihe drei. Ich greife nach der Tüte, aus der ein großer Basilikumtopf ragt. "Ganz schön schwer", sage ich und gebe sie ihrer Besitzerin zurück.
Die fährt inzwischen zum dritten Mal im Karschter Büssle, wie der neue Bürgerbus in Karlstadt heißt, der seit wenigen Wochen auf sechs Linien im Stadtgebiet und zwischen Kernstadt und Ortsteilen verkehrt. "Es ist praktisch, dass ich jetzt viel mehr einkaufen kann als vorher, da ich nicht mehr zu Fuß unterwegs bin", sagt sie. Ein oder zweimal pro Woche fährt sie zum Supermarkt oder zum Gesundheitszentrum. Bisher hätten diese Wege sie bis zu drei Stunden gekostet, jetzt ginge das deutlich schneller.
Neben der Dame mit der vollen Einkaufstüte steigen bei Werner Wolf an diesem sonnigen Montagvormittag noch sieben weitere Personen ein und aus. Auf einer "Testfahrt" befinden sich Ulrike Jäger (69) und Rudolf Klühspies (82). "Ich habe bald eine orthopädische OP und kann dann drei Wochen kein Auto fahren. Es ist toll, dass wir so etwas jetzt haben", sagt sie. Ihr Mann begleitet sie bei ihrer Büssle-Premiere.
Autofahren mit schlechten Augen zu riskant
Gesundheitliche Beschwerden haben auch Dietlinde Andersen dazu veranlasst, das neue Angebot zu nutzen. "Bis vor kurzem bin ich noch Auto gefahren. Inzwischen haben sich meine Augen aber so sehr verschlechtert, dass es mir zu riskant geworden ist", sagt sie. Außerdem findet sie es gerade in den kommenden heißen Monaten sehr angenehm, nicht durch die Sonne zu laufen.
Die Stimme vom Fahrersitz zerschneidet die Gespräche im Bus. "Muss jemand am Berliner Ring raus?", will Wolf wissen und macht eine Rechtskurve. Niemand meldet sich. "Gut, dann weiter zum Schallerts", sagt er. Der 68-Jährige wohnt in der Siedlung und ist einer von aktuell 16 Fahrerinnen und Fahrern, die sich für das Ehrenamt des Büssle-Fahrers gemeldet haben. "Zu der Zeit, als ich in Altersteilzeit ging, hat der Bürgermeister einen Aufruf gestartet. Da ich mir selbst einen Bürgerbus gewünscht habe, wollte ich mich dann auch an dem Projekt beteiligen", erklärt Wolf seine Motivation.
Drei bis viermal im Monat sitzt er hinter dem Lenkrad. Die Tage, an denen er fahren kann und möchte, gibt er im Vorfeld an. Aber nicht alle der Bewerber werden als Fahrer zugelassen. "Einige Aspiranten sind beim Test wegen Augenproblemen durchgefallen. Der ist nicht ohne und beinhaltet einen Seh- und Reaktionstest und unsere Fahrer sind eben im Rentenalter", erklärt Harald Schneider, Vorsitzender des Vereins "Bürgerbus Karlstadt".
Auch Hunde fahren gratis mit
Ein kleines Display im Armaturenbereich zeigt Wolf, wenn jemand nicht angeschnallt ist. Eine tierische Mitfahrerin aber sitzt seit einigen Haltestellen ohne angelegten Gurt auf dem Platz neben mir. Die grau-weiß melierte Cocker Spaniel Dame Lea ist in der Von-Hohenlohe-Straße eingestiegen und erträgt seitdem meine Streicheleinheiten. Leas Halterin Ingrid Baerlecken (79) ist seit zweieinhalb Jahren in Karlstadt und nutzt den Bus, um ins Zentrum zu kommen. "Ich darf wegen meiner schlechten Augen weder Auto noch Fahrrad fahren. Der Bus ist für mich ein Segen", schwärmt sie.
Von der Stadtrunde zeigt sich Wolf an diesem Tag begeistert. "Das waren heute viele Mitfahrer, ich glaube, das Büssle spricht sich langsam rum", sagt er. Inzwischen kennt er die meisten Linien und Haltestellen – nur nach Karlburg und Wiesenfeld ist er noch nicht gefahren.
Die nächsten beiden Mitfahrerinnen warten schon am Karlstadter Bahnhof, um für die Fahrt der Linie 2 nach Stadelhofen, Mühlbach und Laudenbach zuzusteigen. Wolf steigt ein weiteres Mal aus, rennt um den ganzen Bus und öffnet den beiden die schwere Schiebetür. Deren elektrische Nachrüstung fehlt bislang nämlich noch. Das bringe laut Wolf auch den Zeitplan noch etwas durcheinander. "Der Fahrplan muss ohnehin ein bisschen angepasst werden, die meisten Haltestellen kann man derzeit erst mit einigen Minuten Verspätung erreichen", sagt er.
Schiebetür noch nicht elektrisch
Was die fehlende Elektronik der Tür betrifft, warte man derzeit auf das Angebot einer Firma aus Waldbrunn bei Würzburg, erklärt Uli Heck, geschäftsleitender Beamter der Stadt Karlstadt. "Wir werden die Wirtschaftlichkeit prüfen lassen und dann möglichst zügig in die Umsetzung gehen", so Heck.
Möglichst zügig ist auch Werner Wolf unterwegs, als er Gertrud Fuchs bis zur Haltestelle am Laudenbacher Friedhof fährt. Für diese Strecke nutzt sie den Bus ebenfalls zweimal in der Woche, da sie Probleme mit dem Laufen hat. Sie sieht das Büssle als "gute Sache", erkennt aber gerade auf dem Dorf eine Hemmschwelle älterer Menschen, solche Angebote wahrzunehmen. "Eine Bekannte war skeptisch und ich habe sie gefragt, worauf sie noch warten will. Wir sind jetzt in so einem Alter, also sollten wir das auch nutzen. Sonst wird der Bus wieder eingestellt und dann beginnt das Gejammer von vorne", sagt die 73-Jährige.
Am Friedhof angekommen, steigt Fuchs aus und wirft – wie alle Mitfahrenden vor ihr – ein paar Euro in die kleine rote Spendenbox. Diese ist an der Rückseite des Beifahrersitzes befestigt und laut Wolf noch eine vorläufige Version. Damit sich der Bus in zwei Jahren selbst tragen kann, hofft der Verein auf Spenden. Wolf ist dabei guter Dinge: "Ich habe auf meinen Fahrten noch nicht erlebt, dass jemand nichts gespendet hätte und die meisten geben mehr als den Richtwert von ein oder zwei Euro."