
Weil Energieknappheit herrscht, sollen wir alle Strom und vor allem Gas sparen. Ältere Menschen, die die Zeit im oder nach dem Krieg noch erlebt haben, können ein Lied davon singen, was es heißt, wenn Dinge knapp sind. Wir haben uns deshalb mit älteren Gemündenern unterhalten, die noch einmal erzählen, wie das damals war und wie man sich behalf.
"Wir haben uns tatsächlich nach dem Krieg mit dem Waschlappen waschen müssen – und das ging auch", sagt Erna Schäfer, 85, zu der Aussage von Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann, dass man zum Gassparen auch mal zum Waschlappen greifen könnte. Und dass man das Licht ausmache, wenn man den Raum verlasse, sei selbstverständlich: "Das liegt uns noch von früher im Blut", sagt die Gemündenerin. Die Menschen seien hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten sehr verwöhnt gewesen – "und unsere jungen Leute kennen es halt nicht anders".
Wer es hingegen anders kennt, sind der Gemündener Ehrenbürger Hubert Schuster, Jahrgang 1939, und sein Nachbar Bernd Schürger, geboren 1944. Schuster wohnte im und nach dem Krieg in der "Alten Brauerei". Schürger hatte Glück, dass sein Elternhaus, die ehemalige Schlosserei in der Mühltorstraße, bei der Zerstörung der Stadt 1945 stehen geblieben war, während die Häuser links und rechts weg waren.
"Alles war knapp" nach dem Krieg, sagt Schürger. "Du hast eigentlich gar nichts gehabt", pflichtet Schuster ihm bei. Geheizt worden sei früher selbstverständlich nur die Küche, berichten die beiden. Und die Küchentür musste zubleiben, damit die Wärme nicht verschwand. Unter dem Dach, wo er geschlafen habe, habe es nachts zehn bis 15 Grad minus gehabt, und die Dachschräge sei vereist gewesen, berichtet Schürger. Auf die Federbetten sei noch eine Wolldecke gekommen, und so musste es gehen. Tagsüber habe man die Bettdecken zum Aufwärmen in die Küche gebracht. Schuster berichtet von einer dicken Eisschicht an den Fenstern. Bei ihnen mussten die Kinder im Wohnzimmer schlafen, sonntags wurde die Ausziehcouch zusammengeschoben und das Bettzeug weggeräumt.

Im Wald durfte man Holzprügel sammeln, Waldhüter Ernst Seyfried habe aufgepasst, dass man nichts fällte oder absägte. Bis Reichenbuch seien sie gelaufen, "um ein paar Steckli zu holen", erinnert sich Schürger. Außerdem waren Tannenzapfen und "Bibbernüss" (Kiefernzapfen) begehrt. Schuster erinnert sich, dass sie als Buben an den Gleisen von den Dampfloks heruntergefallene Kohlen gesammelt haben. Im Klassenzimmer habe für die 65 Kinder ein Ofen gestanden, den der Hausmeister morgens angeschürt habe. In der Kirche halfen Mantel und Handschuhe.
Kleidung wurde oft selber genäht, geflickt und gestopft. Natürlich hätten jüngere Geschwister die Kleider der größeren aufgetragen. Oft sei der Werdegang bei guten Sachen der gewesen, dass man sie zunächst nur sonntags, dann auch werktags und später noch im Garten angezogen habe. In Gemünden erinnert man sich an einen ehemaligen Banker, der seine alten Anzüge noch bei der Gartenarbeit trug. Und alle möglichen Dinge seien repariert worden. In der Werkstatt der Schürgers wurden Töpfe gelötet und Fahrräder wieder fit gemacht. "Da waren auf einem Schlauch zehn Flicken drauf", so Schürger. Sogar Löcher in Fahrradmänteln seien noch unterlegt worden.
Und natürlich war das Essen knapp. "Es gab einen tüchtigen Tauschhandel mit Essensmarken", erinnert sich Schuster. Wochenends ging es dann zum "Fechten", also zum Betteln, auf die Dörfer. Schuster erzählt von wöchentlichen Überfahrten und Märschen nach Massenbuch. Weil sein Vater vor dem Krieg Versicherungen verkauft habe, sei er bekannt gewesen und sie hätten Äpfel, Kartoffeln und Fett bekommen. Schürger erzählt, dass Schlosserarbeiten oft in Naturalien bezahlt wurden. Sie seien oft mit dem Zügle nach Wolfsmünster zum "Hamstern", wie es offiziell hieß, gefahren. Und auf den Feldern und von den Obstbäumen stupfelten die Leute noch Reste zusammen. Feldhüter August Hartmann hatte hier Tag und Nacht ein Auge drauf, dass nichts gestohlen wurde.
Fleisch gab es damals unter der Woche nicht, auch am Sonntag, wenn überhaupt, nur ein kleines Stück. Da war man sogar froh über "Freibankfleisch" von kranken Tieren. Aus ausgekochtem Suppenfleisch sei hinterher noch Haschee bereitet worden, weiß Schürger. Ab und zu habe es von Bauern in jeder Hinsicht schwarz Geräuchertes gegeben. Die Metzger schlachteten montags, dienstags holte man dann Wurstbrühe. Aus Blut und ein paar wenigen Speckbrocken machten die Metzger Blunzen, eine Wurst, die man in der Pfanne buk. Weil Öl knapp war, verwendeten Schusters durch Strümpfe gefiltertes Maschinenöl, das von einem Mainschiff stammte. Schürger erinnert sich, dass sie Bucheckern sammelten und daraus Öl gewannen. Wenn keines da war, verwendete man zum Anbraten der Blunze Kaffeebrühe. Und "Kaffee" machte man aus selbst gerösteter Gerste.

Einmal die Woche war Badetag. Bei Schusters wurde in der Küche eine Zinkwanne aufgestellt, in die nacheinander seine Eltern und die drei Geschwister stiegen. Schürgers hatten immerhin schon eine Badewanne, heißes Wasser kam aus dem Waschkessel. Und einmal im Monat wurde Wäsche gewaschen mit Waschkessel und Waschbrett. Wenn Bettwäsche gewaschen wurde, kam sie hinterher auf die Bleich am Zusammenfluss von Sinn und Saale.
In den 1950ern ging es bergauf, das Wirtschaftswunder setzte ein. Ab etwa Ende der 1950er gab es wieder mehr, erzählen die Gemündener. Aber noch einmal so zu leben wie nach dem Krieg, das ist für sie dann doch unvorstellbar. Minustemperaturen in Häusern etwa seien heute undenkbar, sagt Schürger, ab einer gewissen Temperatur springe der Frostschutz der Heizkörper an. Vor allem der Umgang mit knappen Lebensmitteln aber habe sie geprägt: "Essen wegschmeißen, das gab es nicht."