zurück
GEMÜNDEN
Ein unberührtes Kleinod öffnet zum Denkmaltag
Im Krieg ging vieles ringsum zugrunde, doch nicht die kleine Werkstatt der Schlosserei Schürger. Bis 1983 war sie in Betrieb, eingerichtet wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Besuch dort, wo die Zeit stehen geblieben ist.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:44 Uhr

Es ist ein Eintauchen in eine lange vergangene Zeit. Erstmals öffnet beim bundesweiten Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 13. September, die ehemalige Schlosserei Schürger in der Gemündener Innenstadt ihre Türen; eine Werkstatt, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts kaum verändert wurde. Der 71-jährige Bernd Schürger weiß zu berichten, dass die Werkstatt seit mindestens vier Generationen in Familienbesitz war. Sein Vater Karl hat die urige Schlosserei 1983 geschlossen. Dass sie fast im Originalzustand, ja dass sie überhaupt erhalten ist, grenzt an ein Wunder.

Was einem wohl als erstes ins Auge springt, wenn man die kleine Werkstatt betritt, ist eine Esse an der gegenüberliegenden Wand mit einem äußerst antiquarisch aussehenden riesigen Blasebalg. Schürger erzählt, dass er sich noch erinnern kann, dass bei seinem Großvater die Esse von früh bis abends befeuert war. Immer haben Kohlen geglüht, bereit für Schmiedearbeiten.

Man konnte an der Esse stehen und durch Ziehen den Blasebalg betätigen, der den Kohlen einheizte. Weil sein Vater, der einen Großteil der Schlosserarbeiten nicht mehr in der alten Werkstatt, sondern in angemieteten Räumen erledigte, die Esse nicht mehr ständig laufen hatte, hatte der für die kalte Jahreszeit einen Ofen in das Räumchen gestellt, der jetzt immer noch steht.

Seit 2008 gehören die Werkstatt und das gesamte ehemals Schürger'sche Haus dem Frankfurter Mordechai Pasternak. Der erzählt, dass ihm Gemünden gefallen habe und auch das Haus, mutmaßlich Baujahr 1790, mit der unberührten Werkstatt darin. Der Frankfurter hat in der Werkstatt kaum etwas verändert, hat gerade mal eine große Standbohrmaschine dem Sozialkaufhaus Intakt gegeben. Pasternak ist fasziniert von den ganzen alten, schweren Werkzeugen an der Wand neben der Esse. Die einstige Funktion der Geräte kenne er nicht. „Manchmal habe ich etwas als Hammer benutzt“, sagt er halb im Scherz.

Zange zum Gießen von Bleikugeln

Ein Werkzeug, bei dem er die Funktion kennt, gibt einen Hinweis, wie alt viele Dinge in der Werkstatt sind. Das Werkzeug ist eine Zange zum Gießen von Bleikugeln für Jagdgewehre. Die Schubladen der Werkbank hat er völlig unberührt gelassen. Er holt eine Schachtel mit Zuhaltungen von Türschlössern hervor. Bernd Schürger erklärt, dass Schlosser – ihrem Namen gemäß – früher noch Türschlösser gebaut haben.

Pasternak zeigt einen kleinen Hinterraum der Werkstatt, der ein Gewölbe hat. Er vermutet, dass dieser Raum älter ist als die Werkstatt. Der 71-jährige Schürger glaubt, dass hier offenbar früher zunächst ein Keller gestanden habe, gebaut vermutlich um 1500, über den dann irgendwann das Haus gestellt wurde. Offenbar ist der kleinen Nebenraum ein Überbleibsel des Kellers.

Neben der Tür zum Kellernebenraum ist ein kleines Schränkchen in die Wand eingelassen, das fast ausschaut, als hätte es einen liturgischen Zweck. Darin befinden sich ein paar Hobel und hinten an der Wand alte Flaschen. Vor dem Schränkchen hängt ein Trum aus Metall, von dem Schürger weiß, dass es eine alte Stängelwaage ist. Außerdem steht ein interessanter Topf mit einem Brenner darunter herum. Schürger erzählt, dass damit mittels Steinen, die in seiner Erinnerung wie Edelsteine aussahen, eine Masse namens Solus gekocht wurde, die man zum Abdichten von gusseisernen Abflussrohren verwendete.

In der Werkstatt wurden alle möglichen Schlosserarbeiten erledigt, darunter Geländer, Vordächer, zu Großvater Michaels Zeiten, als mehr geschmiedet wurde, auch noch Ofenrohre und Schlösser, Türgriffe und Beschläge. Viele Arbeiten, etwa Schweißarbeiten, für die es mehr Platz brauchte, wurden vor der Tür auf der Straße erledigt. Als das aufgrund des Verkehrs in den 60ern nicht mehr ging, mussten größere Räume angemietet werden.

Als kleiner Junge war Schürger oft den ganzen Tag in der Werkstatt und half seinem Großvater, erzählt er. Deswegen weiß er noch gut, welche Werkzeuge wie verwendet wurden. Kurios erscheint etwa die handbetriebene englische Standbohrmaschine mit einem Schwungrad. Bei der sei alles linksherum gelaufen, sagt der 71-Jährige.

Auch viele Fahrräder repariert

Früher hatte die Schlosserei auch eine Fahrradwerkstatt mit dabei. Als Schüler hat Bernd Schürger viel Zeit mit dem Reparieren von Fahrrädern verbracht. In einem kleinen Schaufenster zur Mühltorstraße hin lagen früher Dinge wie neue Sättel, Klingen und Fahrradlampen. Pasternak hat mit der Werkstatt auch eine ganze Kiste mit Fahrradölfläschchen – Aufschrift „Karl Schürger Fahrzeuge – Gemünden Ufr.“ erworben. Schürger wundert sich über das Wort „Fahrzeuge“, das wohl „Fahrräder“ hätte heißen sollen.

Dass es eine Werkstatt wie die ehemalige Schlosserei Schürger in so unberührter Form noch gibt, überrascht. Es hätte gut passieren können, dass sie schon im Krieg zerstört worden wäre, weil um das Haus herum beim Einmarsch der Amerikaner alles in Schutt und Asche gelegt wurde. Dass sie letztlich so blieb, lag auch daran, dass Schürgers Vater Karl, der 1999 mit 83 Jahren starb, nicht wollte, dass sie ausgeräumt wird. Zudem ist der Raum zu klein gewesen, um ihn zu vermieten. So können nun Interessierte am Tag des offenen Denkmals die Werkstatt besichtigen.

Reklame, alte Ölflaschen und Werkzeuge
Foto: Björn Kohlhepp | Reklame, alte Ölflaschen und Werkzeuge
Hier ist die Zeit stehen geblieben: Blick durch das „Schaufenster“ der Schlosserei Schürger in Gemünden.
Foto: Alle Björn Kohlhepp | Hier ist die Zeit stehen geblieben: Blick durch das „Schaufenster“ der Schlosserei Schürger in Gemünden.
Fahrradöl mit Schürger-Aufdruck
Foto: Björn Kohlhepp | Fahrradöl mit Schürger-Aufdruck
Das Firmenschild am Haus
Foto: Björn Kohlhepp | Das Firmenschild am Haus
Teile von Türschlössern, die Zuhaltungen
Foto: Björn Kohlhepp | Teile von Türschlössern, die Zuhaltungen
Esse mit Blasebalg
Foto: Björn Kohlhepp | Esse mit Blasebalg
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Gemünden
Björn Kohlhepp
Kohle als Heizstoff
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top