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GEMÜNDEN
Reise in die Vergangenheit des Handwerks
Kameraexperte: Jürgen Sommerer (links) erklärt Besuchern die Technik der Fotoapparate aus der Zeit vor der Digitalisierung.
| Kameraexperte: Jürgen Sommerer (links) erklärt Besuchern die Technik der Fotoapparate aus der Zeit vor der Digitalisierung.
Ferdinand Heilgenthal
 |  aktualisiert: 14.09.2015 17:55 Uhr

Seit 1993 gibt es den Tag des offenen Denkmals, an dem bundesweit an jedem zweiten Sonntag im September historische Bauten und Stätten ihre Türen öffnen, die sonst nicht oder nur teilweise zugänglich sind. Am vergangenen Sonntag wartete Gemünden mit einer besonderen (Werk-)Stätte auf, der alten Schlosserei Schürger. Die Main-Post berichtete bereits über den im Jahr 1983 geschlossenen kleinen Familienbetrieb.

Nach dem Eintreten in das Erdgeschoss des kleinen Hauses in der engen Mühltorstraße begibt sich der Besucher gleich mit dem ersten Schritt auf den Weg in die jüngere Heimatgeschichte. Stromleitungen auf Putz, schwarze Lichtschalter aus Bakelit und alte Tapeten vor der hölzernen Stiege zum Obergeschoss lassen die Vorkriegszeit aufleben. Beim Gang in die kleine Werkstatt mit dem großen Blasebalg über der Esse und der massiven Werkbank nimmt die Reise in die Vergangenheit Fahrt auf. Rundum hängen an den Wänden ganze Serien der verschiedenen Zangen, Klemmen, Feilen, Sägen und Spezialwerkzeugen, wie sie nur das vielseitige Schlosserhandwerk kannte.

Details aus dem Alltag

Schon am Vormittag begrüßte Hausherr Mordechai Pasternak zusammen mit Initiator Ulf Fischer die ersten Gäste, unter ihnen viel Gemündener, die den letzten Schlossermeister Karl Schürger noch kannten. Dessen heute 71-jährige Sohn Bernd Schürger war ebenfalls anwesend und konnte viele Details in seinem Elternhaus und zum Arbeitsalltag seines Vaters und des Großvaters erklären: „Da war nichts mit Acht-Stunden-Tag; samstags ging es bis Mittag und sonntags wurden die Rechnungen geschrieben und ausgetragen.“ Dabei war es bei Stammkunden üblich, die die über das Jahr aufgelaufenen Arbeiten, die in einem Büchlein aufgezeichnet wurden, erst am Jahresende in einem Betrag zu bezahlen.

Geschweißt, gelötet, geschmiedet und geschraubt wurde zwar auch in der kleinen Werkstatt, meistens aber draußen am Rand der damals kaum befahrenen Straße oder auf einem unbebauten Nachbargrundstück. Dort wurde auch viel repariert, und es entstanden neben den üblichen Schlossereiartikeln die für den Wiederaufbau gefragten Metallgeländer, sowie Türbeschläge und -bänder.

Noch tiefer in die Details des Schlosseralltags vor 60 Jahren ging es, als Bernd Schürger mit dem 1940 geborenen Günther Brönner aus Wolfsmünster und Reinhold Beitel aus Gemünden zwei ehemalige Auszubildende begrüßte. Schürger begann seine Lehre 1955 und Beitel 1958. „Wir haben noch per Hand gesägt und gefeilt, die Flex gab es erst später“, weiß Brönner. Er entdeckte auch die Haken an der Decke der Werkstatt und im Flur. Dort hingen die Fahrräder zur Reparatur: „Die Leute aus dem Saaletal fuhren nach Gemünden zum Einkaufen und ließen bei uns in der Zwischenzeit die Speichen nachziehen oder neu einsetzen.“ Aufmerksame Zuhörer fand auch die genaue Beschreibung, wie mit Karbid in Kartuschenform und Sauerstoff in Gasflaschen in einem Behälter das Azetylen zum Schweißen selbst hergestellt wurde.

Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, galt auch zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Lehrstellen waren dünn gesät, es gab kaum Industrie, und wer zur Bahn oder Post wollte, brauchte Beziehungen. Diese Feststellung Brönners bestätigten viele der anwesenden Besucher gleichen Alters.

Weck und Blunze

Trotzdem sah man das Leben optimistisch und Brönner erzählt schmunzelnd: „Wir haben uns beim Metzger Althaus eine rote Blunze gekauft und die großen Weck vom Dietrichs-Beck gegenüber. Das hat bis zum Abend gelangt, weil wir an der Wurst anfangs nur gelutscht und mehr in die Weck gebissen haben. Für das Wirtshaus haben unsere Pfennige sowieso nicht gereicht.“

Außer der Schlosserei Schürger hatte auch das Museum des Film-Photo-Ton-Vereins im Huttenschloss seine Ausstellungsräume am Denkmaltag geöffnet. Vorsitzender Jürgen Sommerer begrüßte ebenfalls interessierte Besucher: „Sogar ein sehr sachkundiger Ingenieur aus München war da, und er war sehr erstaunt über den Umfang unserer Fotosammlung“. Interessant findet Sommerer, dass es immer noch Leute aus Gemünden und Umgebung gibt, die überrascht darüber sind, was es alles im Huttenschloss zu sehen gibt.

Einzigartige Bauweise

Sehr angetan von der einzigartigen Bauweise des Ronkarzgartens waren die Besucher, die die Stadtführerin und Vorsitzende des Historischen Vereins, Lotte Bayer, führte. Gerade am Tag des offenen Denkmals kämen Gäste auch von weiter her, die einen genauen Besichtigungsplan mit mehreren Stationen einhalten, sagt Bayer.

Erinnerungen an ein altes Handwerk: Beim Tag des offenen Denkmals in der ehemaligen Schlosserei (von links): Mordechai Pasternak, Reinhold Beitel, Günther Brönner und Bernd Schürger.
Foto: Ferdinand Heilgenthal | Erinnerungen an ein altes Handwerk: Beim Tag des offenen Denkmals in der ehemaligen Schlosserei (von links): Mordechai Pasternak, Reinhold Beitel, Günther Brönner und Bernd Schürger.
Werkzeuge aller Art: In der alten Schlosserei Schürger war noch viel an Handarbeit gefragt.
| Werkzeuge aller Art: In der alten Schlosserei Schürger war noch viel an Handarbeit gefragt.
 
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