
Frische glänzende Haut kommt zum Vorschein, als Brunhilde Heilig vorsichtig den Verband entfernt. Der Fuß sieht gut aus. Seit einem Jahr besucht die Pflegefachkraft Heinrich Lembach alle paar Tage, wechselt den Wundverband, hört sich Nöte und Sorgen an, gibt Ratschläge. Der Rentner hat Diabetes und offene Füße. Lange war er in der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim. "Der Chefarzt hat gesagt, er lässt mich erst raus, wenn die Wundversorgung geregelt ist", sagt Lembach.
Aber das ist gar nicht so einfach. Bevor Brunhilde Heilig, die Wund-Therapeutin bei der Caritas-Sozialstation St. Rochus ist, zu ihm kam, war er bei einem anderen ambulanten Pflegedienst. "Der hat aufgrund von Personalmangel die Wundversorgung eingestellt", berichtet Lembach. Der Lohrer hatte Glück. Ein Anruf bei der Sozialstation genügte. Seitdem ist seine Wundversorgung sichergestellt und die Füße heilen.
Finanzielle Lage der Sozialstation hat sich stabilisiert
Das ist heute nicht mehr selbstverständlich – auch nicht bei der Sozialstation. Auch dort, wo die Pflege unter dem Leitbild eines christlichen Menschenbilds steht, wird das Spannungsverhältnis zwischen Menschlichkeit und dem wirtschaftlichen Druck eines modernen Dienstleistungsunternehmens immer größer.
Wie sie diesem begegnet, zeigt ein Besuch in der Lohrer Sozialstation St. Rochus. Sie hat mitten in der Krise investiert und viel riskiert – unter anderem mit dem Umzug in einen Neubau, der Einrichtung zweier Tagespflegen und Umstrukturierungen. Weitere Schritte sind geplant, um den schwierigen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu trotzen und die Pflege in der Region auch in Zukunft sicherzustellen. So könnte es bald ein Wundversorgungs-Zentrum in Lohr geben.
Die finanzielle Lage der Sozialstation ist nicht rosig, hat sich aber – auch durch die riskanten Investitionen – mittlerweile stabilisiert. Für 2023 konnte der Haushaltsplan sogar mit einem leichten Plus abgeschlossen werden. Und das, obwohl 2023 das Jahr war, in dem die Sozialstationen im Landkreis einen öffentlichen Hilferuf abgegeben hatten. Auch in Lohr waren aufgrund der Einführung des Tariflohns für Beschäftigte in der Pflege im September 2022 und der erst ein halbes Jahr später einsetzenden Refinanzierung durch die Pflegekassen alle Rücklagen aufgebraucht, so Klaus Becker, Vorstand der Sozialstation.
Neue Konzepte sollen helfen
Zeitgleich zog die Sozialstation im vergangenen Jahr von der Lohrer Vorstadtstraße in den Neubau in der Rechtenbacher Straße mit mehr Platz für Mitarbeiter, Angehörige, Beratungsangebote und einem Parkdeck. Bauherr war die Raiffeisenbank. Die Sozialstation ist Mieterin und musste einen Umzug im laufenden Betrieb stemmen – samt Anschaffung der kompletten Innenausstattung. Rund 100.000 Euro Kosten seien so entstanden, mitten in der Zeit, in der alle Rücklagen verbraucht waren, erklärt Geschäftsführer Sebastian Puglisi.

Im neuen Verwaltungsgebäude schaut alles modern aus. An der Wand hängt ein Board mit den Mitarbeiter-Benefits: Beihilfe für Gesundheitsleistungen, Rabatte für Wellness-Urlaube, Gutscheine für Massagen sind nur einige. "Wir sind personell am Limit, haben Touren abgespeckt. Und wir müssen unsere Mitarbeiter schützen. Denn, wenn sie nicht mehr rausfahren zu den Menschen, dann fährt dort keiner mehr hin", sagt Julia Zachrau. Sie ist die Haupt-Pflegedienst-Leitung der Sozialstation.
Heute immer wichtiger: individuelle Konzepte. "Bei unseren Beratungsbesuchen nehmen Kombi-Lösungen eine immer bedeutendere Rolle ein", sagt Puglisi. Für die Beratung wurde deswegen eine eigene Fachabteilung gegründet. "Früher haben dies zwei Mitarbeiter gemacht, heute sechs. Denn seit Corona wollen noch weniger Menschen ins Heim", sagt Puglisi.
Wie die Pflege zuhause bezahlbar bleiben kann
Damit eine Pflege zu Hause auch bezahlbar ist, könnten Mischformen helfen. Deswegen gibt es auch eine neue Abteilung für Pflegeschulungen. Hier werden Angehörige geschult, Teile der Pflege selbst zu übernehmen, während der restliche Teil vom ambulanten Pflegedienst geleistet wird. Grund für die Einrichtung dieser Abteilungen sind die in den vergangenen Jahren enorm gestiegenen Pflegekosten.
"Viele buchen inzwischen ambulante Pflege nach eigener Liquidität. Zum Teil wird auch das Pflegegeld einbehalten für andere Zwecke, wie Heizkosten", erklärt Vorstand Klaus Becker. Dadurch sei die Planungssicherheit im ambulanten Pflegebereich für die Sozialstation enorm zurückgegangen. Nur noch auf die ambulante Pflege zu setzen sei deswegen nicht mehr möglich.
Eine weitere Maßnahme, um dem entgegenzuwirken und sich auf mehrere Standbeine zu stellen, sei die Errichtung der Tagespflegen in Frammersbach und Steinfeld gewesen. Sie wiederum böten auch den Pflegebedürftigen als Ergänzung zur ambulanten Pflege eine Möglichkeit zur besseren Finanzierung. "Denn der Tagespflege-Satz ist unabhängig vom Topf für die ambulante Pflege in der Pflegeversicherung. Viele wissen gar nicht, was ihnen hier zusteht und deswegen werden die Gelder nicht abgerufen", sagt Becker.
Ein Blick in die Tagespflege in Steinfeld: 19 Plätze gibt es hier, 18 weitere in Frammersbach und fast alle sind belegt. Im Frühjahr 2023 hat die Tagespflege in der Alten Schule in Steinfeld eröffnet – ebenfalls ein finanzieller Kraftakt. Inzwischen trägt sie sich fast selbst. Aus der ganzen Region werden die Pflegebedürftigen morgens zu Hause abgeholt und nach Steinfeld gefahren. Jeden Tag kommen andere Tagesgäste. Hier verbringen sie Zeit in dem offenen Wohn, Koch- und Essbereich, nehmen an Gruppenbeschäftigungen wie Singen und Spielen teil, essen gemeinsam, ruhen im Ruheraum, werden von den Pflegefachkräften versorgt. Das verschafft den Angehörigen Zeit und Raum – und entlastet gleichzeitig die ambulante Pflege.
Sozialstation möchte ein Wundversorgungs-Zentrum in Lohr einrichten
Die Sozialstation hat dafür Personal umbesetzt. 15 Mitarbeiter wurden in den vergangenen Jahren neu eingestellt. Insgesamt zählt die Einrichtung in allen Bereichen von Pflege über Verwaltung bis zur Hauswirtschaft 72 Mitarbeiter. Puglisi, der seit zehn Jahren Geschäftsführer der Sozialstation ist, erlebt den Wandel in der Pflege täglich mit. Was heute auf viele Schultern und Fachgebiete verteilt ist, habe noch vor einigen Jahren der Geschäftsführer alleine gestemmt.
Zu den neuen Fachabteilungen gehören ein Qualitätsmanagement, eine Ausbildungsabteilung und Demenz-Kurse. Die Tele-Medizin werde in Zukunft immer wichtiger, ebenfalls um die Kosten für Pflegebedürftige zu senken. Das nächste Ziel der Sozialstation: ein Wundversorgungs-Zentrum in Lohr. Ein Wund-Fachteam wurde dafür zusammengestellt, die Mitarbeiter werden teils freigestellt und geschult. "Die Idee ist es, ein Wund-Mobil und ein kleines örtliches Wundversorgungs-Zentrum einzurichten. Damit würde wiederum die ambulante Pflege entlastet", erklärt Puglisi.
Patienten wie Heinrich Lembach müssten dann nicht mehr bangen, ob sie einen Pflegedienst finden, der die Wundverbände wechselt. Ob die vielen Maßnahmen reichen, um dem Pflegenotstand zu begegnen? "Die Politik macht die Rahmenbedingungen, ob sie uns passen oder nicht", sagt Puglisi. Vom Bürokratieentlastungsgesetz spüre er nichts. Immer neue Regelungen und Dokumentationspflichten fräßen Zeit und Arbeitseinsatz.
Dennoch: "Wir tun, was wir können und hoffen auf eine gute Entwicklung", sagt Puglisi. Durch die politischen Entscheidungen sei bislang keine Besserung eingetreten. Auch der Tariflohn habe nicht dazu geführt, dass plötzlich 20 Bewerber mehr vor der Tür stehen. Hier hoffe man eher auf die Krise in der Industrie. "Dann hat vielleicht der Pflegeberuf wieder eine größere Chance", sagt Vorstand Klaus Becker.