Erster Schultag für die Kinder der Grundschule Kirchenburg im Eußenheimer Ortsteil Aschfeld, und das kurz vor Schuljahresende: Von der Bushaltestelle kommen sie die Treppen hoch, bepackt mit Büchertaschen und vollen Einkaufstüten. Ordner, Malkasten, Hausschuhe: Heute ist großer Umzugstag. Endlich – denn eigentlich hätte der Neubau schon Anfang des Schuljahres fertig sein müssen. Entsprechend aufgeregt ist das Geplapper, beim Eintreten in die neuen Zimmer werden die Augen groß.
"Lang", fasst Rektorin Sabine Baer die Zeit der improvisierten Klassenzimmer im Rückblick zusammen. Die Raumnot sei "gigantisch" gewesen. Vor sieben Jahren musste die ehemalige Schule in Aschfeld geräumt werden, unter anderem wegen Schimmelbefalls. Seitdem wechselten die Grundschulklassen in die Mittelschule, sogar in den Keller. Dafür wanderten Mittelschulklassen in Container und zwischenzeitlich nach Thüngen. Im vergangenen und laufenden Schuljahr mussten Grundschüler noch die Räume des ehemaligen Gasthauses Adler beziehen.
"Es war die letzten zwei Wochen noch ein bisschen chaotisch", sagt Eußenheims Bürgermeister Achim Höfling. Er ist mit vor Ort und hält die Tür auf, als die Kinder zum ersten Mal das neue Schulgebäude betreten. Das Großprojekt hatte die Gemeinde in den vergangenen Jahren stark beschäftigt. Zunächst verzögerte sich der Bau, weil von einer Sanierung mit Teilneubau auf einen Komplettneubau umgesattelt wurde, berichtet Höfling. Anschließend habe es monatelange Verzögerungen beim Rohbau gegeben, im späteren Verlauf fehlte teils Material durch die Lieferschwierigkeiten in Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg oder Personal bei den Baufirmen.
Neue Orte zum individuellen Lernen
Angekommen in den Klassenzimmern, müssen sich die Kinder erst einmal neu orientieren. "Was erkennt ihr wieder?", fragt eine Lehrerin ihre erste Klasse. An den Wänden hängen die Materialien, die vorher auch in den Provisorien hingen. Die "Erzähleule", ein Kuscheltier, ist mitgereist.
Ansonsten ist vieles neu: An drei Seiten des Zimmers gibt es unterschiedliche Tafeln, die sich auf verschiedene Weisen ummontieren lassen. Die Stühle und Tische sind teils in Grüppchen angeordnet, teils gibt es Einzelarbeitsplätze. Die Kinder können dadurch selbstständiger entscheiden, wie sie Aufgaben bearbeiten möchten. Insgesamt soll das Lernen durch Wochenpläne, Selbsteinschätzung und Werkstätten flexibel gestaltbar sein.
Im Sitzkreis will sie in Zukunft Themen vorstellen, erklärt Lehrerin Hannah Kreß im Stockwerk darunter. Später können sich die Kinder zum Üben verteilen. Es gibt einen Beratungstisch, an dem sie vor allem Unterstützung anbieten will. Die Stühle lassen sich mit einer Fußablage an die Größe der Kinder anpassen. Ein riesiger Unterschied für ihre vierte Klasse, die im laufenden Schuljahr in den Räumen des ehemaligen Gasthauses Unterricht hatte – auf den Stühlen und Tischen der Wirtsstube, die natürlich auf Erwachsene ausgelegt sind.
Das Herzstück des neuen Schulgebäudes sind allerdings die Flure. Zwei Treppenhäuser sind extra als Fluchtwege eingebaut worden, damit die Wege zwischen den Klassenzimmern anderweitig genutzt werden können. Mitten im Flur entstand so ein "Marktplatz" mit Mathe-Lernwerkstatt, Leseecken und Spiele-Kisten, zeigt Rektorin Baer.
Verbunden ist der Platz über Fenster in der Wand mit den Klassenzimmern. So können die Lehrerinnen und Lehrer die Kinder beaufsichtigen, wenn sie an den Stationen außerhalb des Klassenraums arbeiten. Hier gibt es Matten, Kissen, Tische zum Arbeiten im Knien. Wie kleine Touristengruppen laufen an diesem ersten Schultag die Klassen mit ihren Lehrerinnen durch das Gebäude und schauen sich die neuen Orte an.
Für pädagogische Konzepte nach Südtirol und in die Schweiz gereist
Für das pädagogische Konzept, das in dem Neubau steckt, war die Rektorin viel unterwegs in Deutschland, Südtirol und der Schweiz. Zusammen mit dem Kollegium habe sie sich dann für die Lernlandschaften und das offene, in Teilen selbstständige Lernen der Kinder entschieden. "Das Schlagwort ist Heterogenität", sagt Baer. Durch das gewählte Konzept lasse sich viel individueller auf die Kinder eingehen.
Wenn sie durch das Schulhaus geht, fallen ihr alle paar Meter andere Details ein, die die Einrichtung ausmachen. An der Leseecke etwa soll es täglich feste Lesezeiten geben: "Lesen ist so ein Knackpunkt in Deutschland", sagt Baer. Vieles ist bereits beschriftet, Material ist einsortiert. Mit dem Bauhof und dem Kollegium räumte sie nach Schulschluss zuletzt alles ein.
Fertig ist der Bau trotz des verspäteten Einzugs nicht ganz. Ein paar Tage wird mindestens noch Baulärm zu hören sein, bis der Pausenhof fertiggestellt ist. Die vierten Klassen sollen nachher die Stühle und Tische im Speisesaal verteilen: "Die freuen sich, das machen die gern", sagt Baer. Trotzdem entschied sich die Schule zusammen mit dem Bürgermeister für den Einzug noch vor den Sommerferien. "Für die Viertklässler", sagt Höfling, die zumindest noch zwei Monate im neuen Gebäude verbringen sollen.
Baupläne zur Vorbereitung auf den Umzug im Unterricht angeschaut
Insgesamt umfasst der Neubau sechs Klassenzimmer, einen Werkraum, den Speisesaal sowie Räume für die Offene Ganztagsschule inklusive Industrieküche sowie die Lernlandschaften auf den Fluren, für derzeit 110 Grundschüler und -schülerinnen. Von den ursprünglich geplanten 7,5 Millionen Euro erhöhten sich die Baukosten auf knapp über acht Millionen Euro, was der Bürgermeister gelassen sieht. Etwa die Hälfte der Kosten erhalte die Gemeinde durch Fördergelder erstattet.
Im Heimat- und Sachunterricht hat Vera Brödner mit ihrer zweiten Klasse bereits die Baupläne angeschaut, um sich auf den Umzug vorzubereiten. "Was gefällt euch am besten?", fragt sie im neuen Gebäude. "Alles", kommt es von einem Schüler zurück und gleich schießen mehrere Hände in die Höhe, um auch etwas über die neue Schule zu sagen.
Neu seien die Konzepte nicht, nach denen die Einrichtung ausgewählt wurde. Die Ideen seien auch in ihrem Kollegium bereits da gewesen. Doch es hätte an den passenden Räumen gefehlt. Nun seien alle sehr motiviert, das Geplante zu realisieren. Das Gebäude ist da natürlich nicht alles: "Es steht und fällt mit der Qualität der Lehrkräfte vor Ort", sagt Baer und findet, ihr Kollegium sei "einfach ein Traum".
An diesem Tag steht für Baer auch die erste Lehrerkonferenz im neuen Gebäude an. "Im neuen Lehrerzimmer", freut sie sich. "Es ist jetzt wieder gut", sagt sie. "Ich hoffe, man vergisst schnell, was dazwischen war."