zurück
Karlstadt
Riesiger Andrang zur Lesung von Feministin Alexandra Zykunov in Karlstadt
Nicht pauschal gegen Männer, sondern gegen die Nachteile des Patriarchats richtet sich ihre Kritik. Eine Lösung auf individueller Ebene hält die Spiegel-Bestseller-Autorin für nicht möglich.
Feministisch, witzig und provokant legt Alexandra Zykunov mit ihrem Buch den Finger in die Wunde.
Foto: Jennifer Weidle | Feministisch, witzig und provokant legt Alexandra Zykunov mit ihrem Buch den Finger in die Wunde.
Jennifer Weidle
Jennifer Weidle
 |  aktualisiert: 02.03.2024 02:47 Uhr

Vor dem Theater Gerbergasse in Karlstadt hätte man am Freitagabend meinen können, dass es drinnen ein Problem gab. Denn obwohl der Einlass bereits stattgefunden hatte, standen die Leute in einer Schlange die halbe Gasse hoch. Das Problem: Alle Plätze für die Lesung der Autorin Alexandra Zynkunov waren schon nach kürzester Zeit besetzt.

"Wir wollten das Angebot niederschwellig halten", so Verena Frey, eine der Organisatorinnen. Dass sie so überrannt werden würden, damit hätte niemand gerechnet. Doch das Team der Organisation, bestehend aus dem Arbeitskreis Gleichstellung der Grünen in Kooperation mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Arbeiterwohlfahrt rettete vielen den Abend: Sie übertrugen die Lesung spontan von der Theaterbühne auf den Bildschirm im Foyer und schoben den Tisch der Autorin an den Bühnen-Rand, um Sitzgelegenheiten auf der Bühne zu schaffen.

Mütter werden mit Vorstellungen aus den 60ern konfrontiert

"Was wollt ihr denn noch alles?! Zahlen, Fakten und Absurditäten über unsere ach-so-tolle Gleichberechtigung", lautet der Titel ihres Buches, aus dem Zykunov las und das Ende letzten Jahres im Ullstein Verlag erschien. "Diese Art Wohnzimmerlesung hatte ich auch noch nicht", so die Autorin.

"Bullshitsätze", so nennt sie vermeintliche Gewissheiten über die bereits erreichte Gleichstellung der Geschlechter. Geschrieben hat sie es, weil sie selbst davon ausgegangen war, dass "wir längst gleichberechtigt sind". Bis sie eines Besseren belehrt wurde, als sie ihr Kind bekam. Dann habe sie sich durch Reaktionen ihres Umfeldes in die 60er Jahre zurückversetzt gefühlt. Sätze wie "Da kannst Du froh sein, dass Dein Mann Dir im Haushalt hilft. So einen musst Du erstmal finden", seien an der Tagesordnung gewesen.

Zur Lesung im übervollen Theater Gerbergasse in Karlstadt waren auch einige Politikerinnen und Politiker gekommen.
Foto: Jennifer Weidle | Zur Lesung im übervollen Theater Gerbergasse in Karlstadt waren auch einige Politikerinnen und Politiker gekommen.

Diese und andere Glaubenssätze analysierte sie für ihr Buch und belegte sie mit Studien und Zahlen. In Karlstadt erklärte sie, dass Algorithmen von Suchmaschinen oder Social-Media-Unternehmen auf weiße Cis-Männer ausgelegt sind und so die Geschlechterungerechtigkeit digital zementieren. Zum Beispiel werden Jobanzeigen auf Facebook den Geschlechtern unterschiedlich angezeigt: Das Jobangebot "LKW-Fahrer (m/w/d)" wird zu 93 Prozent an Männer ausgespielt, eine Erzieherstelle hingegen zu 96 Prozent an Frauen.

Für Männer kann Bevorzugung zum Nachteil werden

Bei der anschließenden Diskussion mit Politikerinnen, Politikern und dem Publikum wurde klar: Zykunov ist keine Männer-Hasserin, sondern hinterfragt auf kluge Art das patriarchalische System. Dieses bevorzuge Männer, was selbigen in der heutigen Zeit jedoch von Nachteil sein könne. Ein Vater, der mehr als die üblichen zwei Monate Elternzeit beantrage, müsse sich von manchen Chefs immer noch anhören, was er denn in der Zeit machen wolle: "Deiner Frau die Titten halten?" Dass dies im Jahr 2024 noch möglich ist, sei die undenkbare, aber traurige Realität, so Zykunov. Auf individueller Ebene sei das nicht zu lösen, meint sie. Auch wenn jede und jeder dafür verantwortlich sei, sich die alten Rollenbilder abzukratzen.

An dem Abend warben die Politikerinnen auch für ein stärkeres Engagement von Frauen im politischen Geschehen. Für ein selbstbestimmtes Leben müsse man etwas tun, so Eva Lettenbauer, Landesvorsitzende der Grünen. "Wir Frauen", so sprach sie unter viel Applaus, "dürfen einfordern, was uns zusteht: Die Hälfte der Macht."

Ziel des Abends war auch, sich zu vernetzen. Idealerweise, so die Organisatorinnen, solle ein parteiübergreifendes Frauennetzwerk in Main-Spessart entstehen. Am Weltfrauentag, dem 8. März, findet dazu eine Veranstaltung im Hotel Eisenbahn statt. "Ich denke, diesmal allerdings mit Voranmeldung", so Verena Frey.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Karlstadt
Jennifer Weidle
Arbeiterwohlfahrt Würzburg
Facebook
Frauennetzwerke
Frauenrechtlerinnen
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Mütter
Theater in der Gerbergasse
Ullstein Verlag
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top