Tino Görtler, der Wirt vom Goldenen Hahn in Seifriedsburg, ist ein Sammler durch und durch. Jetzt ist er beim Reinigen einer alten Kommode, die aus jüdischem Besitz in Heßdorf stammt, auf zwei unter dem Deckel eingeklebte Doppelseiten gestoßen, auf die er sich keinen Reim machen konnte. An ein paar Stellen sind die Jahreszahlen 1806, 1807 und 1808 zu lesen, aber die alte Schrift ist schwer zu entziffern.
Görtler fragte deshalb seinen Bekannten Ulf Fischer aus Langenprozelten um Rat, der sich schon mit jüdischer Geschichte im Raum Gemünden befasst hat. Der holte sich wiederum Hilfe beim 94-jährigen Adelsberger Julius Sitzmann, der die Schrift noch beherrscht. Gemeinsame Anstrengung schaffte nun zumindest Klarheit über den Inhalt der Seiten, aber ein Rätsel bleiben sie doch.
Die Kommode gehörte einst dem Juden Sali Stern aus Heßdorf
Die Kommode ordnet Fischer in die Biedermeierzeit oder etwas danach ein: "Man sieht an der Kante: Das war ein ganz dickes Furnier aus dem Biedermeier." Allerdings gebe es Elemente wie die Viertelsäulen links und rechts oder die Füße der Kommode und Beschläge, die nicht biedermeierlich seien, sondern wohl eher aus der Gründerzeit stammten.
Das Möbelstück stand jahrzehntelang bei einem Bauern in Seifriedsburg, erzählt Görtler. Einst sei es Teil eines kompletten Schlafzimmers gewesen, das ein Jude aus Heßdorf, offenbar Sali Stern, während der Zeit des Nationalsozialismus bei einem befreundeten Bauern in Seifriedsburg zur Verwahrung unterstellte, bis er wiederkäme. Aber er kam nie wieder.
Der damals schon 80-jährige Stern betrieb laut dem Synagogen-Gedenkband Bayern bis zur Auswanderung seiner Familie im Juli 1936 eine Bäckerei mit christlichen und jüdischen Kundinnen und Kunden. Andere Teile des Schlafzimmers wurden schon in den 1970ern verkauft, weiß Görtler. Als nun auch die Kommode veräußert werden sollte, schaute Görtler sie sich genauer an und entdeckte schließlich die handschriftlichen Seiten.
Hat der Tischler die Seiten eingeklebt?
Beim Betrachten der Doppelseiten fällt zunächst auf, dass sie einst vor dem Einkleben mehrfach gefaltet gewesen sein mussten. Dazu passt Fischers Hinweis, dass die Daten auf den Seiten wohl älter sind als die Kommode, denn die Biedermeierzeit war von 1815 bis 1848. Er schätzt das Möbelstück auf die 1850er Jahre. Da der Deckel fest mit der Kommode verleimt war, hat vermutlich der Tischler die Seiten beim Bau eingeklebt, folgert der Langenprozeltener. Denn der Rand des Deckels ist stärker als der mittlere Bereich, auf dem das Papier aufgeklebt ist – so als wollte der Tischler nicht, dass der Inhalt der Schubladen darunter an den aufgeklebten Seiten schabt.
Warum gerade diese Schriftstücke so wichtig waren, dass sie dort eingeklebt wurden, erklärt sich jedoch auch nach dem Entziffern nicht. Über der einen Seite, wohl die erste von vier zusammengeklappten, steht "Waldfrefler der Wolfsmünsterer Refier vor das Jahr 1806" und auf der daneben, offenbar Seite vier, etwas von "Forstrüg" im Jahr 1807 und ein Name, der als "P. Schwetzelbach" entziffert werden kann. Tatsächlich handelt es sich auf den Seiten um Vergehen rund um den Wolfsmünsterer Wald und die Jagd. Auf der anderen, mutmaßlich später entstandenen Doppelseite ist auch von Ersatzleistungen in Form von Bußgeldern die Rede. Die Handschrift ist aber offenbar dieselbe.
Der Inhalt bezieht sich auf den Wald und die Jagd
Zu lesen ist etwa unter dem Jahr 1808: "Kaspar Fälla nicht erschienen beim Dreibjagen." Ein Caspar Vogt und ein Adam Fälla hätten Hasen tragen sollen, was sie nicht getan haben. Auch um Tiere, die im Wald "gehüt" wurden, geht es. Häufig heißt es, jemand – meist die Tochter oder Magd eines Bürgers – habe "ein draget holz" oder "ein haufen stangen abgehaut", wobei "Draget", das noch im Dialekt bekannt ist, wohl von "tragen" stammt. Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm kennt "Traget" als "maszbezeichnung, so viel auf einmal getragen werden kann" (bekannt auch durch "eine Tracht Prügel").
Die Übeltäterinnen und Übeltäter stammten häufig aus Gemünden, aber auch aus Wolfsmünster selber oder aus Weyersfeld. An weiteren Namen liest man etwa Mathlon, Hartmann, Lutz oder Brönner. Eine mehrfach genannte Flurbezeichnung ist der "Rietberg" – offenbar der "Riedberg" zwischen Wolfsmünster und Aschenroth.
Aus alldem schließen die Seifriedsburger Forscher, dass die Kommode ursprünglich vielleicht nicht in jüdischem Besitz war. Die Schreiben stammen womöglich etwa vom juliusspitälischen Rentamt Wolfsmünster. Ulf Fischer stellt sich die Frage, warum der Tischler diese Seiten offenbar für die Nachwelt erhalten wollte. Er glaubt, dass es womöglich helfen könnte, wenn man den Namen des Tischlermeisters herausfinden würde.
Gastwirt Görtler, der vor allem alles Mögliche über seine Heimatstadt Haßfurt sammelt, möchte die Kommode auf keinen Fall verkaufen. Die Frage ist nur, was mit den eingeklebten Seiten passiert, wenn der Deckel wieder fest auf die Kommode kommt. Sie abzulösen würde sie wohl zerstören.