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Marktheidenfeld
Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik: SA-Verbände pöbelten auf Versammlungen
Aus der Geschichte Main-Spessarts (116): Die anfängliche Begeisterung für die Weimarer Republik ließ ab 1920 nach. Die Parteien, welche die Republik stützten, gerieten in die Minderheit. Der Aufstieg der Nazis begann. Unser Autor zeigt dies am Beispiel von Marktheidenfeld.
Die Sonne geht im Zeichen des Hakenkreuzes über Würzburg auf: Propagandapostkarte der NSDAP, in die ein Hakenkreuz hineingemalt war. Demokratiefeindliches und antisemitisches Gedankengut war in Unterfranken schon zu Beginn der Weimarer Republik verbreitet.
Foto: Archiv Roland Flade | Die Sonne geht im Zeichen des Hakenkreuzes über Würzburg auf: Propagandapostkarte der NSDAP, in die ein Hakenkreuz hineingemalt war.
Leonhard Scherg
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:06 Uhr

Im Vorfeld der Wahlen vom Januar 1919, bei denen erstmals das Verhältniswahlrecht und das Frauenstimmrecht angewendet wurden, hatten sich in Bayern vor allem im bürgerlichen Lager aus den alten Parteien neue politische Gruppierungen gebildet. Das Parteienspektrum selbst hatte sich aber nicht gravierend geändert.

Die BVP war zwar erst im November 1918 gegründet worden, setzte aber die Tradition der katholisch ausgerichteten Zentrumspartei in Bayern fort, betonte jedoch gegenüber der Zentrumspartei im Reich stärker den Föderalismus und war konservativer eingestellt. Die Bayerische Mittelpartei (BMP), die sich 1920 in Deutsch-Nationale-Volkspartei (DNVP) umbenannte, vertrat die evangelischen Konservativen. Liberale Parteien waren die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP) und die linksliberale Deutsche-Demokratische Partei (DDP).

Bei der Wahl zum 1. Bayerischen Landtag in der Weimarer Republik am 12. Januar 1919 erhielt die BVP gesamtbayerisch die meisten Stimmen (34,99 %), gefolgt von der SPD (32,98 %) und der DDP (14,02 %). BVP, SPD und DDP sollten die bayerische Politik während der schwierigen Anfangsjahre, speziell in Bayern, ganz wesentlich bestimmen. 

Bayerische Volkspartei mit großer Mehrheit

Auch in Marktheidenfeld (im Marktflecken) stellten sich diese drei Parteien als die wichtigsten heraus, mit deutlichem Übergewicht der BVP (47,44 %) gegenüber SPD (34 %) und DDP (17,59 %). Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 ging die SPD im Reich als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. SPD, Zentrum bzw. BVP und die Deutsche Demokratischer Partei (DDP) prägten in immer wieder neuen Koalitionen als „Weimarer Koalition“ die Zeit der Weimarer Republik auf Reichsebene. Allerdings war die anfängliche Begeisterung für die Weimarer Republik bereits 1920 verflogen, womit die Parteien, welche die Republik stützten, zunehmend in die Minderheit gerieten.

Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik: SA-Verbände pöbelten auf Versammlungen

In der Weimarer Republik war die BVP die politisch bestimmende Kraft im noch stark landwirtschaftlich geprägten Marktheidenfelder Bezirk. Die Bedeutung der SPD ließ dagegen bald stark nach, sie blieb aber im Reich die zweitstärkste Partei. An dritter Stelle stand 1919 die liberale DDP (Deutsche Demokratische Partei), deren Bedeutung aber mit den Wahlen 1928 nahezu völlig verlorenging.

Die zunächst eher bedeutungslose nationalkonservative BMP/DNVP (Deutschnationale Volkspartei), die im deutschnational gesinnten protestantisch-mittelständischen Bürger- und Bauerntum Frankens eine starke Stellung hatte und mit der DVP verbunden war, konnte vor allem nach 1924 in Bayern einen großen Einfluss ausüben. Von 1920 bis 1931 war sie an den verschiedenen bayerischen Regierungen beteiligt. Von 1924 bis 1928 war die DNVP außerdem an den Reichsregierungen beteiligt. Ab 1928 setzte dann aber ihre Aufspaltung ein, die zum Zerfall, zur Radikalisierung der Splittergruppen und schließlich zur Bedeutungslosigkeit führen sollte. Ihre Wähler orientierten sich zunehmend hin zur NSDAP.

Vorübergehend von Bedeutung war die Bauernpartei, die 1928 bei der Landtagswahl einen beachtlichen Stimmenanteil gewann. Viele Wähler dieser unter anderem antiklerikal eingestellte Partei wandten sich später der NSDAP zu. Bemerkenswert war, wie überall im Reich, der zunehmende Anteil der sonstigen Parteien.

Völkischer Block erreicht rund 20 Prozent

Beachtlich ist der große Anteil rechtskonservativer und rechtsextremer Parteien im Bezirk Marktheidenfeld und in Marktheidenfeld selbst. Völkischer Block, NSDAP und DNVP erreichten 1924 immerhin einen Stimmenanteil von rund 20 Prozent. Dies zeigt sich auch bei der Reichspräsidentenwahl 1925. Beim 1. Wahlgang am 29.03. 1925 erhielt der Kandidat von „Reichsblock, DVP, Wirtschaftspartei und DNVP rund 20 Prozent. Beim zweiten Wahlgang, der am 26. April 1925 stattfand, setzte sich dann der neue Kandidat des Reichsblocks, Paul von Hindenburg, durch, den nun auch die BVP unterstützte. In Marktheidenfeld erhielt er 74,05 Prozent der Stimmen.

Bis zu den Ereignissen, die zum Hitlerputsch im November 1923 führten, gab es in Marktheidenfeld den nationalistisch und christlich-völkisch ausgerichteten Wehrverband „Bund Bayern und Reich”. Dieser war von der BVP dominiert und verfügte im November 1923 über zirka 1200 Ortsgruppen in Bayern. Vor dem Hitlerputsch kam es 1923 zur Spaltung des Bundes.

Die nationalistisch ausgerichteten Mitglieder, die sich am 1923 gegründeten „Kampfbund“ orientierten, der Hitler nahestand, verließen im September 1923 den Bund und sammelten sich, da die NSDAP nach dem Novemberputsch verboten war, in neuen Organisationen. Es entstand in Marktheidenfeld nun Anfang November 1923 wie in anderen Gemeinden des Bezirks eine Ortsgruppe des „Völkischen Blocks“ mit etwa 30 Mitgliedern. Bei der Landtagswahl am 6. April 1924 erreichte der Völkische Block im Bezirksamt Marktheidenfeld beachtliche 9,6 Prozent der Stimmen, im Mai 1924 bei den Reichstagswahlen immerhin noch 8,4 Prozent.

1927/28 setzte dann eine rege Propaganda der nationalen Rechten im Bezirk ein. 1929 steigerten sich die Auseinandersetzungen dieses Blocks, in dem sich die NSDAP als stärkste Kraft herausstellte, mit BVP und SPD, mit dem Staat und nicht zuletzt auch mit der Kirche. Seit Mitte 1925 gab es erste Mitglieder der NSDAP in Marktheidenfeld. Ab 1927 fand die NSDAP vor allem in den Grafschaftsgemeinden Michelrieth und Altfeld Anhänger. Bereits 1929 wurden in Altfeld (acht Mitglieder) und Kreuzwertheim (vier Mitglieder) Ortsgruppen gegründet. Bis 1930 konnte die NSDAP im Bezirk Marktheidenfeld dennoch insgesamt nur 28 Mitglieder gewinnen, davon in Marktheidenfeld sechs Mitglieder.

Mit der Propaganda um den Volksentscheid über das Freiheitsgesetz am 22. Dezember 1929, mit dem die Ergebnisse des erst ausgehandelten Young-Planes über die Reparationszahlungen bekämpft wurde, setzte „eine dauerhafte politische Aktivierung der Bevölkerung“ auch in Marktheidenfeld ein. Dem Propagandasturm der NSDAP ab Anfang 1930 hatten die anderen Parteien nichts entgegen zu setzen. Dr. Hermann Schmidt aus Hasloch von der dortigen Pulverfabrik, von 1930 an Bezirksleiter der NSDAP Wertheim und ab 1932 dortiger Kreisleiter, der bei Veranstaltungen der NSDAP auch immer wieder als Redner auftrat, setzte sich auch dafür ein, dass am 29. März 1930 die Ortsgruppe Marktheidenfeld der NSDAP gegründet wurde.

Verbunden mit der massiven Werbung für die eigenen Positionen war in der Folgezeit die Störung von Veranstaltungen der anderen Parteien durch eigene Diskussionsbeiträge und schließlich auch mit Gewalt. Auch waren die Veranstaltungen im Bezirk immer wieder von Aufmärschen von SA-Verbänden, zunächst aus Würzburg und Wertheim, begleitet.

Der Gesellenverein Marktheidenfeld 1932 zur Zeit der Weimarer Republik.
Foto: MP Archiv | Der Gesellenverein Marktheidenfeld 1932 zur Zeit der Weimarer Republik.

Nach einem beispiellosen Wahlkampf wurde die bisher unbedeutende NSDAP in der 5. Reichstagswahl im September 1930 mit 107 Reichstagsmandaten (bisher zwölf) zur zweitstärksten politischen Kraft im Reich. Zum Aufstieg der NSDAP trug besonders auch der Zerfall der DNVP 1930 bei, deren Splitterparteien (Konservative Volkspartei, Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei, eine radikale Abspaltung agrarischer Kreise von der DNVP, und Christliche Volkspartei) von der NSDAP aufgesogen wurden. Die katholische Wählerschaft blieb der BVP weitgehend treu.

Max Sorg.
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld | Max Sorg.

Am 1. August 1930 fand Max Sorg als 29. Mitglied im Bezirk den Weg zur NSDAP. Der Diplom-Turn- und -Sportlehrer war nach Jahren in Wien von 1926 bis 1928 nach Marktheidenfeld zurückgekehrt.

Er wurde Mitglied der NSDAP und der SA, war im November 1930 bereits Pressewart der NSDAP und seit 1931 Bezirksleiter (Kreisleiter) der NSDAP. Er wurde in den Folgejahren vor Ort der führende Kopf seiner Partei. Ihm waren die organisatorische Festigung und die Intensivierung der Versammlungs- und Propagandaarbeit zu verdanken.

Seit Anfang 1931 bestand zur Unterstützung der NSDAP bei den politischen Auseinandersetzungen im Bezirk außerdem in Altfeld, wo es seit 1929 die ersten SA-Mitglieder gab, ein SA-Trupp. Von großem Einfluss im Sinne der nationalsozialistischen Vorstellungen, besonders bezüglich des Bauerntums und der Landwirtschaft, war der angesehene Michelriether Gastwirt und Landwirt Johann Adam Mohr (1896-1982), der sich im November 1931 der NSDAP und der SA anschloss.  Im Dezember 1931 übernahm er in der NSDAP Aufgaben als landwirtschaftlicher Gaufachberater. Ende Januar 1932 wurde er zum Sturmführer ernannt und übernahm die Führung der SA in Altfeld.

Der geistliche Rat Eugen Büttner.
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld | Der geistliche Rat Eugen Büttner.

Die neue Bedeutung der NSDAP wurde daher in erster Linie zur Auseinandersetzung mit der BVP und der dominierenden katholischen Kirche genutzt. Der Geistliche Rat und Marktheidenfelder Pfarrer Eugen Büttner (+ 1933), von 1912 bis 1918 selbst als Mitglied des Zentrums Bayerischer Landtagsabgeordneter, und die katholischen Organisationen, vor allem der Gesellenverein, standen im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung. 1931 verurteilte Büttner von der Kanzel herab mit klaren Worten den Nationalsozialismus.

Die SA aus dem Raum Marktheidenfeld, zirka 1933.
Foto: Stadtarchiv Marktheidenfeld | Die SA aus dem Raum Marktheidenfeld, zirka 1933.

Das Jahr 1932 brachte fünf Wahlgänge und war somit ein Jahr pausenloser politischer Agitation. Am 13. März und 10. April 1932 fanden die beiden Wahlgänge der Reichspräsidentenwahl statt, bei denen sich der nun von den demokratischen Parteien getragene Amtsinhaber Paul von Hindenburg schließlich erst im zweiten Wahlgang gegen Hitler (NSDAP) durchsetzen konnte. Am 24. April 1932 folgte die Landtagswahl, bei der die NSDAP im Bezirk Marktheidenfeld 33,6 und in Marktheidenfeld selbst 33,12 % erreichte.

Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik: SA-Verbände pöbelten auf Versammlungen

Am 5. Juli und 6. November 1932 gab es dann in kurzem Abstand die 6. und die 7. Reichstagswahl. Wie schon 1930 wurden von der NSDAP 1932 die Veranstaltungen der anderen Parteien, vor allem der BVP und der SPD, systematisch gestört. Es kam zu Saalschlachten und Straßenkämpfen in Rothenfels, Hafenlohr, Wertheim, Faulbach, Dorfprozelten und Homburg. Ende 1932 gab es SA in Glasofen, Steinmark, Urspringen, Birkenfeld, Zimmern, Hafenlohr, Remlingen, Üttingen, Tiefenthal, Holzkirchen, Neubrunn und Böttigheim.

NSDAP verlor Wähler 

Im Reich wurde die NSDAP bei der 6. Reichstagswahl die stärkste politische Kraft. Die folgende 7. Reichstagswahl im November 1932 zeigte im Reich dagegen eine gewisse Wahlmüdigkeit und bereits einen Rückgang an Attraktivität der NSDAP, was für diese eine kritische Situation heraufbeschwor. Dieser allgemeinen Situation entsprach auch die Lage im Bezirk Marktheidenfeld, wo sich die BVP im November 1932 klar behaupten konnte (48 Prozent) und deutlich vor der NSDAP (27,5 Prozent) lag, die gegenüber der Juli-Wahl Stimmenverluste zu verzeichnen hatte, während die BVP zugelegt hatte.

Die NSDAP, für die nun alles auf dem Spiel stand, gab den Kampf aber nicht verloren, sondern intensivierte noch die Propaganda. Die Entscheidung für die NSDAP und schließlich zwölf dunkle Jahre der deutschen Geschichte fiel aber schließlich ohne neue Wahlentscheidung am 30. Januar 1933 in Berlin mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart.

Literatur: Leonhard Scherg, Marktheidenfeld 1919 bis 1945 - Weimarer Republik und Drittes Reich" in: Marktheidenfeld. Von den Anfängen bis zum Ende des 2. Weltkriegs, Marktheidenfeld 2014, S. 149-242. Maximilian Vissers, Aufstieg und Kampfzeit des Nationalsozialismus im Amtsbezirk Marktheidenfeld (1918-1933), in: Wertheimer Jahrbuch 2015 (2016), S. 135-178.

Zum Autor:  Dr. Leonhard Scherg war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Marktheidenfeld, er ist Kreisarchivpfleger für den Altkreis Marktheidenfeld und Rothenfels.

 
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  • A. M.
    Der Beitrag erinnert sehr stark an die ganzen Querdenker und AfDler heute in diesem Land.
    Aus der Geschichte nichts gelernt, aber lautstarke Hassparolen grölen mit der Unterstützung gewaltbereiter Faschisten. Die Nazi-Ideologie wächst wieder!
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  • S. H.
    Das ist den meisten von uns gar nicht bewusst:
    Unsere Demokratie ist äußerst fragil - bis man den Wandel spürt, ist das System vielleicht schon gekippt.

    Wehret den Anfängen!
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