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Kemmern/Main-Spessart
Noch immer kein Kaufvertrag bei Großprojekt: Wann wird die Deutsche Bahn den privaten Grund unter den Gleisen kaufen?
Seit 2017 interessiert sich der DB-Konzern für ein Stück Wiese von Michael Dorsch. Inzwischen fahren Züge über sein Grundstück – doch ohne Kaufvertrag. Was die Bahn sagt.
Über dieses Grundstück von Michael Dorsch im Landkreis Bamberg fahren Züge. Doch der Boden unter den Gleisen gehört immer noch dem Unterfranken und weiteren Erben.
Foto: Silvia Gralla (Archiv) | Über dieses Grundstück von Michael Dorsch im Landkreis Bamberg fahren Züge. Doch der Boden unter den Gleisen gehört immer noch dem Unterfranken und weiteren Erben.
Jonas Keck
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:37 Uhr

Mitten durch das Grundstück von Michael Dorsch fahren Züge der Deutschen Bahn. Längst hätte er dafür einen Kaufvertrag bekommen sollen. Doch der Acker unter den Gleisen gehört noch immer dem 71-Jährigen aus Unterfranken.  

Wie berichtet, wendete sich im Oktober 2017 das von der Bahn beauftragte Ingenieurbüro Angermeier aus Giebelstadt (Lkr. Würzburg) an den Rentner aus dem Landkreis Main-Spessart. Für eine neue Eisenbahnstrecke werde sein Grundstück am Rande der Gemeinde Kemmern im oberfränkischen Landkreis Bamberg benötigt. Seit April 2022 fahren auf der neuen Strecke nun schon Regionalbahnen, Güterzüge und ICE. Derzeit würden noch "Restarbeiten" auf dem Abschnitt stattfinden, teilt die Bahn mit. Warum aber bis heute kein Vertrag mit Michael Dorsch für sein Grundstück zustande gekommen ist, beantwortet der Konzern auf Anfrage dieser Redaktion nicht.

Erbengemeinschaft stimmte Bauerlaubnisvertag zu

In einer Erbengemeinschaft mit über einem Dutzend weiteren Personen hatte Dorsch eine 2350 Quadratmeter große brachliegende Wiese geerbt, die inzwischen mit Gleisen bebaut wurde. Laut Angebotsschreiben des Ingenieurbüros von 2017 schätzte ein Sachverständiger den Wert des Wiesenstücks auf rund 4700 Euro. Die große Erbengemeinschaft stimmte damals einem sogenannten Bauerlaubnisvertrag zu, weil man dem Projekt nicht im Weg stehen wollte und die Fläche nicht benötigt.

Etliche Male habe er dann bei der Bahn nachgefragt, wann und wie es hinsichtlich eines endgültigen Kaufvertrags weitergehe, sagt Dorsch. Weil nichts voran ging, ergriff er schließlich die Initiative und legte dem von der Bahn beauftragten Ingenieurbüro im Januar 2022 den Entwurf eines Kaufvertrags vor, den ein Notariat ausgearbeitet hatte. Über ein Jahr ist seither vergangen – auf eine Unterschrift oder ein anderweitiges Angebot wartet Dorsch aber bis heute.

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Der für das Großprojekt zuständige Mitarbeiter im Ingenieurbüro Angermeier versicherte auf Anfrage dieser Redaktion im Oktober 2022, dass die Bahn das Grundstück noch kaufen wolle. "Bis Ende des Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres" könne Dorsch mit der Beurkundung eines Vertrags rechnen. Doch weder von der Deutschen Bahn, noch von dem Ingenieurbüro habe er bis Ende Januar etwas gehört, sagt Dorsch.

Diese Redaktion fragte bei der Deutschen Bahn nach - vier Tage später kündigte das Ingenieurbüro gegenüber Dorschs Notarin an, im ersten Quartal 2023 "den Vorgang abzuschließen" zu wollen.

Michael Dorsch ist kein Einzelfall, wie aus einer Antwort der Bahn auf die Nachfrage hervorgeht. Was den Abschnitt Hallstadt-Breitengüßbach auf der Strecke in Oberfranken betrifft seien über 70 Prozent der Kaufverträge mit privaten Grundstückseigentümern abgeschlossen, teilt ein Konzernsprecher mit. Folglich sind offenbar 30 Prozent der Verträge noch nicht unterzeichnet. "Gemeinsam mit dem beauftragten Ingenieurbüro werden kontinuierlich Kaufverträge abgeschlossen", so der Sprecher.

Für Dorschs Grundstück gelte: Die DB Netz AG beabsichtigte nach wie vor den Erwerb des Grundstücks.  "Sofern Einigkeit mit allen Eigentümern erzielt werden kann, gehen wir davon aus, dass im ersten Halbjahr 2023 ein Kaufvertrag bahnseitig abgeschlossen werden kann", teilt das Unternehmen mit.

Was ein Anwalt dem Grundstücksbesitzer nun rät

Rolf Kemper von der Arbeitsgemeinschaft Bau- und Immobilienrecht im Deutschen Anwaltverein bewertet solche langen Verzögerungen bei Verträgen mit dem DB-Konzern als "absolut ungewöhnlich". Eine mögliche Erklärung: Die eigene Planungsgesellschaft der Bahn greife häufig auf externe Dienstleister zurück, die unter hohem Zeitdruck stünden. Sein Eindruck: Sobald eine Strecke fertig sei, priorisierten die Ingenieurbüros ihre Aufgaben neu. Wer bis dahin noch keinen Vertrag hat, gerät ins Hintertreffen.

Kemper hat über 20 Jahre Erfahrung im Eisenbahn- und Baurecht und kennt vergleichbare Fälle. "Aber wie mit Herrn Dorsch umgegangen wird, ist schlicht unseriös und unhöflich." Er rät dem 71-Jährigen, einen Anwalt zu beauftragen und eine Frist für die Übernahme seines Grundstücks zu setzen. Außerdem solle Dorsch eine Forderung für die zwischenzeitliche Nutzung erheben.

Sinngemäß, so Kempers Rat, könne in den Schreiben stehen: Wenn die Beurkundung nicht innerhalb von 14 Tagen angeboten und der Kaufpreis nicht kurzfristig bezahlt wird, werde ich klagen. Die Bahn stünde damit unter Druck, man käme wieder ins Gespräch, sagt der Anwalt. Da es sich beim Kaufpreis für den Konzern um einen niedrigen Betrag handle, müsse er eigentlich schnell eine Einigung erreichen wollen - und bezahlen.

"Nach mehrjähriger Benutzung der Fläche liegt es nahe, dass die Bahn dem Grundstücksbesitzer nicht nur den Kaufpreis schuldet, sondern auch eine Entschädigung", sagt Kemper. Allerdings sei dafür eine sehr genaue Betrachtung des Einzelfalls notwendig. Gleiches gelte für mögliche Erstattung der Anwaltskosten.

Alternative zur Klage: Antrag beim Eisenbahnbundesamt

Ziehen Grundstückseigentümer wegen Infrastrukturprojekten vor Gericht, gehe es oft darum, die Enteignung zu verhindern, sagt der Experte für öffentliches Baurecht. In Dorschs Fall sei es umgekehrt, der Eigentümer wolle ja geordnete Verhältnisse schaffen. "Einen Anspruch auf Enteignung ist im Eisenbahnrecht aber gar nicht vorgesehen", so Kemper. 

Ihm zufolge könne sich Dorsch auch an das Eisenbahnbundesamt (EBA) wenden, das dafür zuständig ist, über sogenannte nachträgliche Schutzvorkehrungen zu befinden. Zum Beispiel, wenn es an einer Bahntrasse lauter wird als erwartet. Es habe schon Fälle gegeben, bei denen Grundeigentümer durch Lärm so stark beeinträchtigt wurden, dass darin eine "faktisch enteignende Wirkung" gesehen wurde. Die Folge: Dem Eigentümer wurde ein Anspruch auf Übernahme zuerkannt, die Bahn musste das Grundstück kaufen.

 
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Kommentare
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  • M. F.
    Sollte eine Warnung an alle zukünftigen Vertragspartner der Bahn sein.
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  • H. H.
    der BUND als 100%-Eigentümer der Bahn braucht doch das Geld für neue Straßen! Wo sollten unsere Verkehrs- und Finanzminister und ihre Lobbyisten denn sonst ihre Porsches ausfahren?
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  • H. H.
    ...bei Monopoly würde das Miete kosten...
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