
Saskia Müller wohnt am Ende der Thüngener Straße von Karlstadt-Heßlar (Lkr. Main-Spessart). Als sie am Montagabend vor ihr Haus und in den Garten schaute, habe sie die pechschwarze Wolkenwand vom Karlstadter Saupurzel herziehen sehen. Dann wechselte die Farbe des Himmels, es wurde fast weiß wie Nebel, ein Sturm kam auf. "Es ging von Null auf Hundert und es goss wie aus Eimern", sagt die junge Frau im Gespräch mit dieser Redaktion.
Drei Sturmböen fegten gestern durch Heßlar, 38 Häuser wurden beschädigt und teilweise abgedeckt, eine Scheune stürzte zusammen, Straßen wurden durch Trümmer blockiert. Das Ganze dauerte gerade einmal drei bis vier Minuten, dann war alles vorbei. "Die Feuerwehr wurde um 19.36 Uhr alarmiert, zunächst hieß es, dass es sich lediglich um eine technische Hilfeleistung handele", sagt Einsatzleiter und Kreisbrandinspektor Stephan Brust. Vor Ort sei dann das ganze Ausmaß der Zerstörung klargeworden. "Der ganze Ort war auf den Beinen, der Einsatz dauerte bis 0.30 Uhr." Menschen wurden bei dem Sturm nicht verletzt. Zur Schadenshöhe könne er noch nichts sagen, so Brust.
Schneise vom südlichen Ortsrand bei der Reithalle bis etwa zur Dorfmitte
Am Dienstagmittag sieht es in dem kleinen Ort schon wieder relativ aufgeräumt aus, die Anwohner und Einsatzkräfte haben bis tief in die Nacht Ziegel von den Straßen geräumt, abgebrochene Äste beiseite gezogen und herumgeflogene Gartenstühle wieder an ihren Platz gebracht.
Doch die Schäden, die das Naturereignis hinterlässt, sind groß. Das Unwetter schlug eine Schneise vom südlichen Ortsrand bei der Reithalle bis etwa zur Dorfmitte. Äste vom Durchmesser eines Oberschenkels waren abgeknickt, Bäume umgerissen und das Tor am Fußballplatz ist nur noch ein Metallhaufen.
Scheune fiel komplett zusammen, Dach der Reithalle hat Löcher
Besonders schlimm traf es eine kleine Feldscheune am Weg, der von der Thüngener Straße zum Grillplatz führt. Darin standen ein Wohnwagen und ein Traktor, die nun unter den Trümmern begraben sind. Das Gebäude selbst ist vollständig zerstört und jetzt ein Holzhaufen von kaum anderthalb Metern Höhe. Auch das Dach der Reithalle am südlichen Dorfende wurde schwer beschädigt, hier klaffen große Löcher.
Andreas Friedrich, Pressesprecher und Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes, kann einen Tornado zwar nicht hundertprozentig ausschließen, die vorliegenden Berichte seien aber "eindeutig eine Beschreibung eines geradlinigen Wetterereignisses". Um 19.30 Uhr sei eine Gewitterfront von Südwesten über die Region gezogen. Der Niederschlag hätte dann kalte Luft nach unten gerissen und so eine Gewitterfallböe (Downburst) verursacht. Ähnliche Extremwetterereignisse haben sich auch in anderen Orten wie in Schweinfurt ereignet.

Die Heßlarer machten sich noch in der Nacht daran, die Schäden zu beheben. Unterstützt von der örtlichen Feuerwehr, der Stützpunktwehr Karlstadt und Einsatzkräften aus Binsfeld wurden bis in die Nacht Dächer weitgehend zugedeckt.
"Die Wohnhäuser wurden bis zum Mittag alle gesichert, sodass kein Wasser mehr eindringen kann", bestätigt ein Mitarbeiter des Bauhofs am Dienstagmittag. Jetzt müsse alles außen herum aufgeräumt und die beschädigten Bäume gesichert werden. Ein großes Problem sei jedoch, dass es momentan kaum Handwerker gebe, die kurzfristig Zeit hätten.
In der Thüngener Straße hat der Sturm ein Hoftor aus den Angeln gerissen
Total überrascht hat der Sturm auch Roland Lamprecht in der Thüngener Straße: "Das ist so schnell gegangen, das war verrückt." An Sturm Lothar vor mehr als 20 Jahren kann er sich noch erinnern, da habe es bei ihm im Garten eine Fichte weggeweht, die habe er bis heute nicht gefunden. "Aber sowas wie gestern habe ich noch nie erlebt", sagt der 68-Jährige. Die Böe ist aus Richtung Schönarts durch seine Scheune gezogen und hat dort zahlreiche Ziegel abgedeckt.

"Das Problem ist vor allem, dass man die alten Ziegel nicht mehr bekommt", sagt Lamprecht. Man müsse fast ein Viertel Jahr warten, bis eine Bestellung geliefert werde. Ein paar Ziegel seiner Sorte habe er noch bei sich gelagert und ein Bekannter habe ihm schon gesagt, er habe vielleicht auch noch 30 Stück für ihn. "Wenn es nicht so schnell geht, muss halt eine Plane drüber."
Auch sein Hoftor hat der Sturm an einer Seite aus den Angeln gerissen. "Ich bin raus und da kam mir ein Schwall entgegen, ich war pfatschnass, da hab ich die Tür schnell wieder zugedrückt." Und dann habe es einen Schlag gegeben und das Tor lag auf dem Boden. Im Endeffekt habe er aber noch Glück gehabt, findet Lamprecht. "Zum Glück wurde niemand verletzt, alles andere kann man aufräumen. Wenn ich mich aufrege, bringt das auch nichts."

"Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen"
"Es kam von oben runter wie eine weiße Wand", erinnert sich auch Anwohnerin Margit Lummel an die Gewitterfront. An dem Grundstück in der Hinteren Straße wurde ein über 80 Jahre alter Nußbaum zerstört. Die abgebrochenen Äste haben die ganze Straße versperrt, noch in der Nacht haben Helfer das Holz zersägt und an die Seite geschafft. Im Garten wurden mehrere Gewächshäuser zerstört. Dass die Sturmschäden so großflächig im ganzen Ort verteilt sind, findet Nachbarin Maria Fähr außergewöhnlich. "Oben in der Thüngener Straße gab es schon immer mal wieder Schäden, aber hier unten, das ist neu."
"Gerade wissen wir gar nicht, wo wir anfangen sollen", sagen die beiden Frauen. "Wir stehen alle ein bisschen neben uns." Es sei auch noch gar nicht klar, wo sie den ganzen Schutt und das Holz entsorgen könnten. "In die normale Mülltonne kann das ja nicht."
Am Dienstagmittag ist es immer noch sehr windig in Heßlar und teilweise türmen sich dunkle Wolken auf. "Da kriegt man gleich wieder ein komisches Gefühl", sagt Maria Fähr.