Den Sonntag, an dem er die Leichen der sechs jungen Menschen in einem Gartenhaus am Sommerberg in Arnstein (Lkr. Main-Spessart) sehen musste, wird Jürgen Illek nicht vergessen, so lange er lebt. Seit 1970 engagiert sich Illek bei der Freiwilligen Feuerwehr, seit 2009 ist er Kommandant. Im Laufe seiner Dienstzeit habe er viele Tote gesehen, habe viele schreckliche Bilder in seinem Hirn gespeichert. „So etwas Schlimmes habe ich aber noch nie erlebt.“
Als Kommandant der Feuerwehr wurde Illek am Sonntagmittag alarmiert. „Verdacht auf Gasaustritt“, hieß es in der Erstmeldung. Die zwölf Männer, mit denen Illek am Sonntag in drei Einsatzfahrzeugen zum Sommerberg fuhr, trugen deshalb schweres Atemschutzgerät. Als er mit seinen Leuten an dem am Hang gelegenen Gartengrundstück eintraf , hätten Türe und Fenster des Gartenhauses aber schon offen gestanden.
„Ich hatte den CO-Warner dabei, ein Gerät, das zur Grundausstattung der Feuerwehr gehört oder gehören sollte“, sagt Illek. Das Gerät misst die Kohlenmonoxid-Konzentration. „Ich habe dann die Messung durchgeführt; das Gerät hat aber nicht ausgeschlagen.“ Illek entschied sich, ohne Atemschutzgerät das Gartenhaus zu betreten. Er ging allein. Er sah die fünf toten jungen Männer und das tote Mädchen.
„Ich wollte dann nicht, dass einer meiner Leute noch reingeht“, sagt Illek. Er sei ja schon 60 Jahre alt, die meisten seiner Feuerwehr-Kameraden seien aber viel jünger, viele im Alter der Toten. „Man weiß nie, wie Menschen so etwas verkraften. Das sind Bilder, die einen einholen.“
War eine Gasvergiftung Grund dafür, dass sechs junge Leute im Alter von 18 und 19 Jahren sterben mussten? Dass die Jugendlichen durch eine Kohlenmonoxidvergiftung, bedingt durch einen defekten Ofenabzug im Gartenhaus, zu Tode kamen, wollte die Polizeipressestelle am Montag nicht ausschließen. Anzeichen für ein Gewaltverbrechen gab es laut Polizei nicht.
Beliebter Feierort
Bernd Röll (60), der dritte Bürgermeister der Stadt Arnstein, kennt die Gartengrundstücke am Sommerberg. Über den Berg verstreut gebe es viele davon, sagt er. Seit Generationen sei der Sommerberg mit seinen Gartengrundstücken, den Obstbäumen und dem schönen Ausblick ein Ort, an dem die Arnsteiner Jugend gerne feiere. Dass am Sommerberg Partys „so mit Lagerfeuer und Grillen und was sonst dazugehört“, stattfänden, sei üblich. Er habe in seiner Jugend früher selbst gern dort gefeiert. „Und ich kenne viele der Häuschen da“. Er könne sich eigentlich nicht vorstellen, dass die Hütten dort so dicht seien, dass man sich „vergiften“ könne.
Röll verbrachte den Sonntag im zum Lagezentrum umfunktionierten Feuerwehrhaus in Arnstein, ebenso wie der zweite Bürgermeister, Franz Josef Sauer. Arnsteins erste Bürgermeisterin Anna Stolz war zeitweise auch anwesend, ist derzeit aber erkrankt.
Krisenstab im Feuerwehrhaus
Sauer sagt, er sei gegen Mittag alarmiert worden. Man habe das Feuerwehrhaus in Arnstein zum Lagezentrum umfunktioniert. Zeitweise seien um die 40 Personen dort gewesen: Polizisten, Rettungskräfte, Feuerwehrleute. Und Angehörige. Die drei Geistlichen aus Arnstein und zusätzlich vier Notfallseelsorger hätten sich um Angehörige gekümmert. „Es gab angstvolle Anfragen von Eltern, die am Sonntag ihre erwachsenen Kinder nicht erreichen konnten und verzweifelt fragten, ob sie unter den Toten seien.“ „Wir werden als Gemeinde tun, was wir können, um jedem persönlich Betroffenen beizustehen“, verspricht der stellvertretende Bürgermeister. Der Krisenstab im Feuerwehrhaus ist am Sonntagabend aufgelöst worden.
Seit dem Morgen hält Franz Josef Sauer die Stellung im Arnsteiner Rathaus, beantwortet Fragen der vielen Pressevertreter. Der Tod der sechs Jugendlichen aus Arnstein, Eußenheim (Lkr. Main-Spessart) und Wasserlosen (Lkr. Schweinfurt) hat bundesweit das Interesse der Medien geweckt. Auch die Tagesschau hatte am Sonntag in ihrer 20-Uhr-Ausgabe berichtet. „Ich bin heute noch nicht viel hinausgekommen“, sagt Sauer auf die Frage, wie er die Stimmung im Ort empfinde. „Das tragische Ereignis hat uns tief erschüttert.“
Trauerbeflaggung angeordnet
In Arnstein ist Trauerbeflaggung angeordnet. Das Trauerflor weht am Stadtwappen vor dem Rathaus. Normalerweise tut es das, wenn ein ehemaliger Bürgermeister stirbt oder die Bundesregierung Trauerbeflaggung anordnet. Doch Sauer kann sich in seiner dritten Gemeinderatsperiode an keinen Fall eines Unglücks im Ort erinnern, der die Stadtverwaltung das schwarze Band zum Zeichen des „Mitgefühls für die Betroffenen“ anbringen ließ.
„Wir halten inne – Zeit für Trauer, Erinnerung, Gebet“, so heißt es in der Ankündigung der Trauerfeier und so steht es auch auf dem Aushang am großen Holztor der Stadtkirche. Stadtmitarbeiter streuen am Montagmittag Salz auf die steile Treppe hinauf zum Eingang. Glatteis durchzieht die Gassen des 8100-Einwohner-Städtchens. Die wenigen Menschen, die unterwegs sind, suchen nach Halt. Medien mit Filmkameras und Stativ suchen nach Motiven für die Nachrichtensendungen des Tages. Zwei Jugendliche mit BMX-Rad stehen beisammen, unterhalten sich: Sie hätten drei der sechs gekannt, erzählen sie. „Unfassbar.“ Sie wollen sich schon vor Beginn der Gedenkfeier treffen.
„Für Presse kein Zutritt!“
In der Kirche werden sie ungestört bleiben, Presse ist hier nicht zugelassen. Am Kirchentor steht unübersehbar: „Für Presse kein Zutritt!“ Auf Wunsch der Betroffenen seien die Medien von der Gedenkstunde ganz ausdrücklich ausgeschlossen, heißt es auch in der Ankündigung. Den Trauernden stünden Seelsorger zur Verfügung, kündigt Sauer an. Im Anschluss könnten die Menschen in der Grundschule „Gespräche in der Gruppe, aber auch Einzelgespräche“ mit den Seelsorgern der Diözese Würzburg und pastoralen Team aus Arnstein suchen.
Auch Jürgen Illek, der Feuerwehr-Kommandant von Arnstein, wird zur Gedenkfeier gehen. Zusammen mit seinen jungen Kameraden, von denen etliche im gleichen Alter waren wie die fünf jungen Männer und das Mädchen, die unter noch ungeklärten Umständen am Sommerberg ihr Leben verloren.