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Marktheidenfeld
Tattoo-Künstler stechen zu: Ein Besuch in einem Marktheidenfelder Custom Studio
Das Atelier "Tatou Noir" von Myriam Heinz und Manuel Lermann ist versteckt in einem Hinterhaus. Die beiden erzählen, was Menschen an Tätowierungen reizt.
Myriam Heinz füllt die Zwischenräume des ornamentalen Tattoos auf der Wade einer Kundin mit schwarzen Punkten und Mustern. Die Linien, die sie bereits vor vier Wochen gestochen hat, sind verheilt.
Foto: Dorothea Fischer | Myriam Heinz füllt die Zwischenräume des ornamentalen Tattoos auf der Wade einer Kundin mit schwarzen Punkten und Mustern. Die Linien, die sie bereits vor vier Wochen gestochen hat, sind verheilt.
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 09.02.2024 04:08 Uhr

Sara hat seit neustem einen Rabenvogel auf ihrem Oberschenkel; außerdem einen Totenkopf, ein Einhorn, ein paar Blumen und anderes "Grünzeug" auf ihrem Körper verteilt. Der Entwurf des Vogels stammt von Tattoo-Künstlerin Myriam Heinz (33 Jahre), die in Marktheidenfeld das Studio "Tatou Noir" betreibt.

Laut einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov vom Juli 2021 hat fast jeder Vierte in Deutschland ein Tattoo. Der häufigste Grund für eine Tätowierung ist die Ästhetik, hat eine andere Umfrage des Instituts Appinio aus dem Jahr 2019 herausgefunden: Rund 53 Prozent der Befragten gab an, dass sie Tattoos schön finden. Ein Drittel gab an, mit den Tattoos die eigene Persönlichkeit unterstreichen zu wollen. Etwa genau so viele haben sich für ihre Tattoos entschieden, weil sie sich an jemanden erinnern wollen.

Die meisten Tattoos haben für den Träger eine Bedeutung

Myriam Heinz' Kundin Sara hat sich 2007 das erste Tattoo stechen lassen. Damals war sie 30 Jahre alt. Mit dem Motiv gedachte sie dem Tod ihrer Großmutter. Mittlerweile sind sechs weitere Tattoos dazu gekommen. "Jetzt kommt auf meine Haut, was mir gefällt." Manuel Lermann, der bei Heinz als selbstständiger Tattoo-Künstler arbeitet, sagt: "Für die meisten meiner Kunden haben ihre Tattoos eine Bedeutung." Wenn es nicht das Motiv selbst sei, dann zumindest der Prozess, etwas zu verewigen oder mit etwas abzuschließen.

Ihr Körper ist für Myriam Heinz so etwas wie eine Leinwand, auf der nicht mehr viel weißer Raum zu sehen ist. Die Stellen, die sie selbst erreichen kann, tätowiert sie auch selbst. Einer ihrer Arme ist den Arbeiten von Susanne Stichert, ihrer früheren Lehrmeisterin, vorbehalten, den anderen lässt sie von einem in der Szene bekannten Künstler in Berlin vervollständigen.

Myriam Heinz schneidet den ausgedruckten Entwurf für ein Raben-Tattoo mit Blumen aus. Zuvor hat sie das individuelle Motiv für Kundin Sara auf dem Tabletcomputer gezeichnet. Im nächsten Schritt wird sie den Entwurf auf die Körperstelle der Kundin übertragen.
Foto: Dorothea Fischer | Myriam Heinz schneidet den ausgedruckten Entwurf für ein Raben-Tattoo mit Blumen aus. Zuvor hat sie das individuelle Motiv für Kundin Sara auf dem Tabletcomputer gezeichnet.

Lermann und Heinz zeichnen ihre Designs nach individuellem Kundenwunsch auf ihren Tabletcomputern. "Ich gebe meine Zeichnungen nicht vorher raus", sagt Myriam Heinz. Den digitalen Entwurf sehen ihre Kundinnen und Kunden erst beim Termin. Gefällt er nicht, kann die Künstlerin ihn noch anpassen. Es sei schon passiert, dass eine Frau mit ihrem Motiv zu einem anderen Tätowierer gegangen sei. Studio-Kollege Manuel Lermann findet: "Aus Respekt vor dem Künstler gehört es sich nicht, die Arbeit eines anderen zu kopieren."

Vom Kinderzimmer im Westerwald nach Marktheidenfeld

Myriam Heinz kaufte sich als junge Erwachsene ein Tätowier-Set und experimentierte auf Kunsthaut. "Ich hörte Punkmusik, hatte meine Vorbilder dort gefunden. Die waren alle tätowiert." Sie erzählt, dass sie die Maschine noch keine Stunde in der Hand hatte, da wollte ihr Freund, dass sie ihm ein Tattoo steche. Weil sie abgelehnt habe, hat er selbst angefangen – und nach kurzer Zeit aufgegeben. "Es blieb mir nichts anderes übrig, als es fertig zu machen", erzählt die 33-Jährige lachend. Es sprach sich unter Freunden herum, sie standen Schlange: In ihrem Elternhaus in dem kleinen Dorf im Westerwald tätowiert eine junge Frau.

Der Blick von oben auf den Arbeitsplatz von Myriam Heinz. Während Kundin Sara entspannt auf einer Liege liegt und zwischendurch immer mal wieder in ihrem Thriller liest, arbeitet die Tattoo-Künstlerin an ihrem Motiv. Ihre Werkzeuge und Utensilien sind in kompostierbare Folie eingepackt.
Foto: Dorothea Fischer | Der Blick von oben auf den Arbeitsplatz von Myriam Heinz. Während Kundin Sara entspannt auf einer Liege liegt und zwischendurch immer mal wieder in ihrem Thriller liest, arbeitet die Tattoo-Künstlerin an ihrem Motiv.

Im Jahr 2008 zog Heinz der Liebe wegen nach Würzburg. Wie ihr Freund auch hatte sie die Ausbildung in der Glasmalerei abgeschlossen. Er fand in Würzburg eine Arbeitsstelle. Sie erfüllte sich einen Wunsch und arbeitete im Tattoo-Studio "Die Stichelei". Auch wenn Tattoo-Künstlerin kein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf ist, bezeichnet Heinz die drei Jahre dort als ihre Lehrjahre.

Tätowieren im eigenen Studio "Tatou Noir"

Danach wohnte sie mit ihrem jetzigen Mann in einem Haus in Höchberg. "Es hat sich räumlich angeboten, dort ein eigenes Studio zu eröffnen", erzählt sie. "Mir ist eine private Atmosphäre wichtig – zum Wohlfühlen für meine Kunden, aber auch, dass ich ohne Ablenkung arbeiten kann." Sie befürchtete, dass sie sich so ein Image als "Hinterzimmer-Tätowiererin" aneignen würde. Das legte sich schnell, die Kundinnen und Kunden schätzten die private Atmosphäre.

So handhabt Heinz das auch heute: Einen Festnetzanschluss hat sie nicht, das Handy ist stumm geschaltet. Kundinnen und Kunden empfängt sie nur nach Voranmeldung, Laufkundschaft gibt es in dem abgelegenen Hinterhaus in der Glasergasse nicht. Seit 2019 wohnt Heinz mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Marktheidenfeld in dem Haus, das manche vielleicht als "Hundertwasser-Haus" kennen. Es fällt auf wegen seiner organischen Formen und einer farbenprächtigen Gestaltung. 

Myriam Heinz und Manuel Lermann tätowieren in Schwarz

Ganz anders ihre Werke: Das sind vor allem Blackwork-Ornamente, also grafische Elemente, vereinfachte Formen und kontrastreiche Linien, die in reinem Schwarz gestochen werden. "Erst als ich mein eigenes Studio aufgemacht habe, begann ich, meinen eigenen Stil zu finden", sagt sie. Auch Manuel Lermann verwendet ausschließlich Schwarz: "Die Pigmente verschiedener Farben lassen sich unterschiedlich verarbeiten." Man könne zum Teil nicht beeinflussen, dass die Farben verlaufen. Außerdem zeichne er schon immer überwiegend in Schwarz. Die aktuelle Diskussion um verbotene Farbpigmente betrifft die beiden nicht.

Myriam Heinz schützt ihre Finger mit Handschuhen. Während der 2,5 Stunden, in denen sie den Raben von Kundin Sara tätowiert, taucht sie die Nadel immer wieder in das Töpfchen mit der schwarzen Farbe.
Foto: Dorothea Fischer | Myriam Heinz schützt ihre Finger mit Handschuhen. Während der 2,5 Stunden, in denen sie den Raben von Kundin Sara tätowiert, taucht sie die Nadel immer wieder in das Töpfchen mit der schwarzen Farbe.

Ein so filigranes Motiv wie den Raben von Sara überträgt Myriam Heinz mit Kohlepapier auf die ausgewählte Körperstelle. Mandalas oder geschwungene Linien zeichnet sie direkt mit Filzstiften auf die Haut. Laut einer Erhebung des Portals Statista aus dem Jahr 2021 sind die beliebtesten Körperstellen für Tätowierungen Arme, Beine und Rücken. Als beliebtestes Motiv gilt der Schriftzug.

Hygiene ist mit das Wichtigste beim Tätowieren

Bis Manuel Lermanns nächster Kunde kommt, bereitet er sich vor. Der 28-Jährige, der in Hafenlohr aufgewachsen ist und mittlerweile in Marktheidenfeld wohnt, desinfiziert seine Arbeitsgeräte und die Ablageflächen. "Alle Gegenstände, die wir immer wieder in die Hand nehmen oder berühren, packen wir in Folie ein", erklärt er. Myriam Heinz benutzt kompostierbare Materialien. Hygiene ist mit das Wichtigste beim Tätowieren. Denn der Haut werden durch die Nadelstiche Verletzungen zugefügt, die ein erhöhtes Risiko für Infektionen und übertragbare Krankheiten mit sich bringen.

Das Tätowieren hat sich der gelernte Konstruktionsmechaniker selbst beigebracht. Schon als Schüler zeichnete Lermann viel, vor allem detailreiche Drachenfiguren. "Ich war immer sehr überzeugt von dem, was ich aufs Papier gebracht habe. Mein Kunstlehrer nicht", erinnert er sich.

Manuel Lermann war kaum volljährig, da kaufte er sich die erste Tätowier-Maschine. Mittlerweile hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und arbeitet selbstständig im Marktheidenfelder Studio 'Tatou Noir'.
Foto: Dorothea Fischer | Manuel Lermann war kaum volljährig, da kaufte er sich die erste Tätowier-Maschine. Mittlerweile hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und arbeitet selbstständig im Marktheidenfelder Studio "Tatou Noir".

Tattoos – für junge Menschen oft ein Mittel der Rebellion gegen die Eltern

Papier als Zeichengrund genügte ihm irgendwann nicht mehr. Er wollte seine Werke auf Körpern verewigt sehen. "Ich war kaum volljährig, da saß ich zum ersten Mal in einem Tattoo-Studio", erinnert sich Lermann. Ein "absoluter Anfänger" stach die zweidimensionale Abbildung eines Diamanten. Lermann wusste, er könne das besser – und wollte sich als Jugendlicher von den Eltern abheben: "Sie sind gegen Tätowierungen und können bis heute nicht verstehen, warum ich das mache", bedauert Lermann.

Er ist ihnen jedoch dankbar, dass sie das Tätowieren im Jugendzimmer tolerierten. Er hat sich eine Tätowier-Maschine bestellt und seine Entwürfe erst auf der eigenen Haut ausprobiert, dann an Freunden. Mittlerweile hat er seine Kunst längst perfektioniert und arbeitet an der Seite von Myriam Heinz im Studio "Tatou Noir".

Die Leidenschaft für Tattoos hat er von seinem Onkel übernommen. Dessen Körper zieren Piercings und eine Glatze, großflächige Tattoos, vor allem Tribals. Das ist Körperschmuck, der von indigenen Völker Polynesiens stammt, und Stammeszugehörigkeit ausdrückt.

Schmerzen beim Tätowieren sind individuell

Das fertig tätowierte Motiv eines Raben auf dem Oberschenkel von Myriam Heinz' Kundin Sara.
Foto: Dorothea Fischer | Das fertig tätowierte Motiv eines Raben auf dem Oberschenkel von Myriam Heinz' Kundin Sara.

Am Arbeitsplatz von Myriam Heinz brummt es 2,5 Stunden lang laut und eintönig. Sie hat die Tattoo-Maschine angeschaltet und tätowiert Sara den Raben auf den Oberschenkel. Immer wieder taucht sie die Nadel in das Farbtöpfchen und fährt konzentriert Linien nach, schattiert Flächen oder punktiert die Haut. Sara sagt, sie spüre die Schmerzen, die die Tätowiernadel verursacht, kaum. Sie hat sich sogar einen Thriller mitgebracht, um sich die Zeit zu vertreiben. Als Heinz fertig ist, tupft sie über das Tattoo, cremt Saras Oberschenkel mit Vaseline ein und verpackt das Werk in Frischhaltefolie, damit es feucht bleibt.

Als nächstes ist Ricarda an der Reihe. Der 28-Jährigen aus Gießen tätowiert Heinz ein Ornament auf die Wade. Bei einer Sitzung vor vier Wochen hat die Künstlerin die Umrisse von Wellen geschaffen, jetzt füllt sie Flächen aus. Das neue Werk entspricht dem Stil von Ricardas erstem Tattoo am linken Oberarm, das sie von einer Reise nach Neuseeland vor acht Jahren mitgebracht hat. "Der Tätowierer hatte mich eine Stunde lang zu meiner Lebensgeschichte ausgefragt", erzählt sie. Dann habe er die Ereignisse in einem Tattoo festgehalten.

Tätowieren ist eine intime Angelegenheit

Auf Manuel Lermanns Stuhl nimmt Thang Platz. Der 29-jährige aus Marktheidenfeld kommt schon seit langem regelmäßig, um sich sein linkes Bein "verschönern" zu lassen. Vom Knöchel bis zum Oberschenkel ist es mittlerweile mit verschiedenen großflächigen Formen und Mustern bemalt. Heute kommt das Segment eines Mandalas hinzu. 

Manuel Lermann zeichnet ein Ornament freihändig  auf den Oberschenkel seines Kunden Thang. Es wird mit dem Segment eines Mandalas ausgefüllt werden.
Foto: Dorothea Fischer | Manuel Lermann zeichnet ein Ornament freihändig  auf den Oberschenkel seines Kunden Thang. Es wird mit dem Segment eines Mandalas ausgefüllt werden.

"Ich bin jedes Mal wieder dankbar für das Vertrauen, das mir die Kunden schenken", sagt Lermann. Ist ein Tattoo einmal gestochen, kann es nicht mehr rückgängig gemacht werden und ist nur sehr aufwändig wieder zu ändern. Tätowieren ist oft eine intime Angelegenheit. "Ich als Tätowierer verbringe lange Zeit in engem körperlichen Kontakt mit Kundinnen", sagt Lermann. Ein neutrales und professionelles Verhältnis sei deshalb besonders wichtig. Es gebe jedoch auch Menschen, die ihre Machtposition ausnutzen würden. Er sagt, vor solchen Erfahrungen mit Tätowierern müssen Kundinnen und Kunden geschützt werden.

Tag des offenen Ateliers

Am Sonntag, 12. März, von 12 bis 17 Uhr öffnen Myriam Heinz und Manuel Lermann ihr Tattoo-Studio "Tatou Noir" für Interessierte. Wer möchte, kann die beiden kennenlernen und das Studio besichtigen. Es befindet sich im rückwärtigen Gebäude der Glasergasse 5 in Marktheidenfeld. Der Eingang ist über eine Zufahrt der Obertorstraße (zwischen Hausnummern 7 und 11) zu erreichen.
Quelle: dfi
 
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  • chuh
    Ich mag die beiden und das Studio sehr gerne. Hier noch die Links zwinkern

    https://tatou-noir.de

    https://www.instagram.com/tatou_noir/

    https://www.instagram.com/walimuartwork/
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