
Sie galten als vergessen, als ausradiert und ausgemerzt. Aber Trendjäger wollen sie nun wieder gesichtet haben, sogar in Rudeln, in freier Wildbahn: Kapitale Zwölfender! Geweihe in Reihe! Geschnörkelte Gehörne – tätowiert auf den blanken Rücken. So prangen sie jetzt wieder auf Steißbeinhöhe, und ja, das Phänomen trägt heute noch seinen Kosenamen: Das „Arschgeweih“, es feiert gerade seine Renaissance.
Lange verpöntes Tattoo: Das Arschgeweih kommt wieder in Mode
Eine neue Generation lässt sich ihr Gesäß krönen, jetzt blitzen die Tattoos schon unterm Jackensaum vor und spätestens, wenn im Sommer die Klamotten schrumpfen, werden die Glotzenden staunen: Frau trägt wieder Geweih! „Warum nur?“, jaulen die Ästheten und die geweihlosen Spießer stimmen ein im Chor. Aber den von Tinte Unbefleckten sei widersprochen: „Warum denn nicht?“ Das Arschgeweih– ein Faszinosum, inspiriert von Trophäenstolz, Testosteron und röhrenden Popstars.
Wer sich Jäger oder Biologe nennt und sein Latein beherrscht, der kennt viele Worte für das Geweih: Gehörn, Krone, Gewicht. Wie man es nennt, es wächst auf dem Kopf der männlichen Hirsche. Sie tragen den Knochenschmuck als Waffe – aber eben auch zur Brautwerbung, zur Prahlerei. Testosteron lässt die Knochen aus dem Haupt sprießen. Ach wie eitel – Tier wie Mensch, der sich ein Geweih stechen lässt.
Wobei ... Testosteron? Als ein neues Jahrtausend anbrach, da trat plötzlich eine Frau nach der anderen in die bislang moschus-muffigen Tattoo-Studios – und verlangte nach Geweih oder Ornament: Hautmaler mussten nicht mehr nur den Hells Angels an die Pelle rücken, die sich Mutti – oder gleich die Mama Gottes – mit Herz und Stacheldraht in den Arm stechen ließen. Auch für Tränchen auf den Wangen von Ex-Knackis blieb kaum noch Zeit. Woher der Sturm von Neukundinnen? Da war ein Plätzchen frei geworden auf ihren Körpern, eine freie Leinwand zwischen Jeans-Bund (tiefergelegt, Diagnose: Hüfthose, der Schritt nah an der Kniescheibe) und Shirt-Saum (kaum Stoff an spaghettidünnen Trägern, Frischluft für die Bäuche).
Viele Prominente trugen ihr Arschgeweih einst stolz zur Schau
Symmetrisch und verschnörkelt, ornamental und gluteal – also knapp über dem großen Gesäßmuskel, dem Gluteus Maximus: Dort krönte es die Rücken als Symbol der Kraft. Tattoo-Mustervorlagen fand die Gala-Abonnentin bald auf jeder Klatschseite: Britney und Christina (Vorname genügt) und Rettungsschwimmerin Pamela Anderson, sie liefen den Paparazzi vor die Linse und ihre frischen Geweihe standen im grellen Blitz, wie die Rehe im Fernlicht. Sieh an, in der Bravo: Eine Elfe trägt die Spears am Rücken! Arabeske Schnörkeleien die Anderson! Selbst Fußballplatz-Hirsch David Beckham ließ sich den Steißbein-Breitengrad beschriften – „Brooklyn“ steht da, der Name seines Erstgeborenen.
2004, der Siedepunkt: Die Bild suchte die schönste Gesäßkrone, „hunderte Leserinnen“ bewarben sich mit rückseitigen Fotos als „Miss Arschgeweih“. Spott folgte: Spaßmann Michael Mittermeier– als er noch über die Bühne sprang wie ein junger Bock – riss Flachwitze über die Deko. Verschrien war sie bald als Oarschvignette (in Österreich), Schlampenstempel (in der Schweiz). Und als Ina Müller, die singende Talkshow-Posaune vom Schellfischposten, ihr Lied „Bye, bye Arschgeweih“ sang – ja da ward es Winter und die Gekrönten warfen ihre Geweihe reihenweise wieder ab, per Laser-Behandlung. Die Schönheitsindustrie kassierte doppelt: Erst eingestochen, dann ausgebleicht, was der Tattoo-Künstler konstruierte, musste der Hautarzt am Hintern wieder einreißen.
Das Comeback der 2000er bringt nun auch das Arschgeweih zurück
Doch jetzt folgt das Comeback: Pop-Punkerin Miley Cyrus– bisweilen röhrend, wenn sie Rock-Nummern singt – hat entschieden, dem Arschgeweih eine neue Chance zu geben. Ein chinesischer Drache schmückt ihren Rücken. Doch Fragen rollen auf sie und ihre jungen Epigoninnen zu, Fragen, die anno 2000 keiner laut stellte: Ja, ist das schon kulturelle Aneignung? Haben sie diese Tribals von den Symbolen der neuseeländischen Maoris gemopst?
Wer sein Geweih jahrelang versteckte, schon in der Furcht, die Hörner würden sich bald selbst hängen lassen, darf aber Mut schöpfen. Junge Nostalgiker sehnen sich nach den 2000ern und alles kehrt im Trend zurück: Crop Tops und Baggy Pants, weite Hoodies und Friedrich Merz. Die stete Wiederkehr des Unerklärlichen, in leichter Variation – vielleicht ist es das, was Mode bedeutet? Zweifelnder, frage nicht nach dem Sinn im Schmuck: Warum lassen sich viele das Fleischläppchen, das an ihrem Ohr baumelt, mit einer Nadel perforieren, um es dann wie einen Christbaumzweig zu behängen? Warum binden sich Männer einen Stofflappen an den Hemdkragen, um sich seriös und kreditwürdig zu fühlen? Ergo: Warum also nicht ein Gehörn am eigenen Rücken wachsen lassen? Wild ist, wer sich das traut.