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Birkenfeld
Mit Lähmung an der Kletterwand: Wie in Birkenfeld Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam hoch hinauskommen
Welche Herausforderungen die Teilnehmenden des ersten inklusiven Kletterns bei der Sektion Main-Spessart des DAV gemeistert haben und wann die nächsten Termine sind.
Heike Nötscher (rechts) hat einen Kurs als Klettertrainerin für Menschen mit Behinderung absolviert. Jetzt bietet sie in der DAV-Kletterhalle in Birkenfeld Kletterstunden an. Auf dem Foto ist sie zusammen mit der 16-jährigen Lina aus Duttenbrunn zu sehen.
Foto: Dorothea Fischer | Heike Nötscher (rechts) hat einen Kurs als Klettertrainerin für Menschen mit Behinderung absolviert. Jetzt bietet sie in der DAV-Kletterhalle in Birkenfeld Kletterstunden an.
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 23.11.2024 02:31 Uhr

David greift nach dem nächsten Griff an der Wand und zieht sich mit aller Kraft daran hoch. Noch wenige Zentimeter und er kann mit der rechten Hand die Hupe erreichen. Der 20-Jährige drückt den Gummiball zusammen, ein lautes Hupen tönt durch die Kletterhalle. 7,50 Meter die senkrechte Wand hinauf hat es der Helmstadter mit Unterstützung von Trainerin Heike Nötscher geschafft. Beim Klettern werden vor allem die Beine beansprucht - eine besondere Herausforderung für Menschen mit Behinderung.

David ist an einer sogenannten beinbetonten Tetraspastik erkrankt. Seine Beine sind teilweise gelähmt. Ihr Sohn ist als Frühchen zur Welt gekommen und hat an einer Hirnblutung und Sauerstoffmangel gelitten, erklärt seine Mutter, die ihn zum Klettern begleitet.

David (20) aus Helmstadt gönnt sich eine kurze Verschnaufpause, bevor er weiter nach oben klettert. Für ihn, der an einer sogenannten beinbetonten Tetraspastik erkrankt ist, sei das Klettern vor allem für die Arme sehr anstrengend, sagt er.
Foto: Dorothea Fischer | David (20) aus Helmstadt gönnt sich eine kurze Verschnaufpause, bevor er weiter nach oben klettert. Für ihn, der an einer sogenannten beinbetonten Tetraspastik erkrankt ist, sei das Klettern vor allem für die Arme ...

Klettern soll mehrmals jährlich stattfinden

Sicherheit geht vor allem, in der Halle ist man beim sportlichen "Du", sagt Heike Nötscher zu den Teilnehmenden, die in der Weidenmühle zwischen Birkenfeld und Karbach zusammenkommen. In einem Nebengebäude betreibt die Sektion Main-Spessart des Deutschen Alpenvereins (DAV) dort seit 2001 eine Kletterhalle. An den Innenwänden ist mit verschiedenartigen Klettergriffen eine Felsumgebung simuliert. Dort kann man Routen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade klettern.

"Jeder kann klettern. Es ist egal, wie hoch man kommt oder wie lange man durchhält. Hauptsache, man hat Spaß."
Heike Nötscher, Klettertrainerin für Menschen mit Behinderung beim Deutschen Alpenverein

Nötscher hat vor kurzem eine Ausbildung absolviert, die sie für die besonderen Herausforderungen als Klettertrainerin für Menschen mit Behinderung sensibilisiert. Durch solche Angebote will der Deutsche Alpenverein (DAV) den Inklusionsgedanken fördern und Kletterangebote für Menschen mit Einschränkungen in den Sektionen anbieten. "Jeder kann klettern. Es ist egal, wie hoch man kommt oder wie lange man durchhält. Hauptsache, man hat Spaß", fasst Nötscher ihre Begeisterung fürs Klettern zusammen.

Jetzt hat sie zum ersten Mal ausdrücklich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zum gemeinsamen Klettern eingeladen, drei weitere Kletterer unterstützen sie beim Absichern der Teilnehmenden. Zukünftig soll das Angebot mehrmals im Jahr stattfinden (Termine für 2025 siehe unten). Der Aktionstag wurde gefördert vom Gemeinschaftsprojekt A.L.M (Alpen.Leben.Menschen) des Malteser Hilfsdienstes und des DAV, das unter anderem Inklusion voranbringen will.

Wenn die Teilnehmenden Hilfe beim Anschnallen des Bauchgurts brauchen, hilft Klettertrainerin Heike Nötscher.
Foto: Dorothea Fischer | Wenn die Teilnehmenden Hilfe beim Anschnallen des Bauchgurts brauchen, hilft Klettertrainerin Heike Nötscher.

Beim Klettern Höhenangst überwinden

David wollte eigentlich nicht zum Klettern kommen, erzählt er, bevor er in den Klettergurt schlüpft. Seine Mutter habe ihn ohne sein Wissen angemeldet. Sie sagt: "Er tut sich zurzeit schwer, etwas zu finden, das ihm Spaß macht." Bevor es für ihn zum ersten Mal an die Wand geht, schaut der Mann die elf Meter bis zur Hallendecke nach oben. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das schaffe", sagt er. "Ich habe ja auch etwas Höhenangst." Dennoch ist er der Erste, an dessen Bauchgurt das Seil befestigt wird und der die Wand erklimmt. Denn er sagt auch, dass er ehrgeizig sei.

Ida (7) aus Marktheidenfeld ist zum zweiten Mal in der Kletterhalle. Am liebsten kraxelt sie neben ihrem Papa oder gemeinsam mit Heike Nötscher die Wand hinauf. Wenn das Mädchen nicht gleich Halt mit dem Fuß findet, helfen ihr die Erwachsenen. Wenn sie eine Verschnaufpause braucht, hängen sie nebeneinander in den Seilen und schauen sich das Geschehen von oben an.

Menschen mit und ohne Beeinträchtigung im Team

Idas Vater erzählt, dass seine Tochter durch das multiple Charge-Syndrom eingeschränkt ist. Dabei handelt es sich um einen seltenen Gen-Defekt, der die Hauptursache für ihre angeborenen Hörsehschädigungen ist. Ida und ihr neunjähriger Bruder Max sind ein gutes Team, wenn einer der beiden an der Wand ist und der andere vom Boden aus ruft, welche Route die beste sei. Als Max die blauen Klettergriffe bis fast zur Hallendecke in elf Metern Höhe erklimmt, staunt die Schwester.

Die siebenjährige Ida (links) aus Marktheidenfeld nimmt gerne Unterstützung ihres Vaters an und freut sich, wenn ihr Bruder Max (rechts) ihr Tipps beim Klettern gibt.
Foto: Dorothea Fischer | Die siebenjährige Ida (links) aus Marktheidenfeld nimmt gerne Unterstützung ihres Vaters an und freut sich, wenn ihr Bruder Max (rechts) ihr Tipps beim Klettern gibt.

Lina (16) aus Duttenbrunn war während ihrer Geburt einem Sauerstoffmangel ausgesetzt. Geblieben sind Störungen der Motorik und des Sprachzentrums. Beim Klettern war sie schon mehrmals. Sie wählt die großen Klettergriffe der gelben Route, die ihr den nötigen Grip für Hände und Füße geben.

Kletterpartie bringt Teilnehmenden ins Schwitzen

Während die anderen sich Stück für Stück die Wand hocharbeiten, trifft Timo ein und beobachtet das Geschehen. Der Mittvierziger sagt: "Ich hätte nicht erwartet, dass es so hoch hinausgeht." Bei einem Unfall vor etwa 20 Jahren wurde bei ihm das Rückenmark teilweise durchtrennt. Er sei inkomplett querschnittsgelähmt, erklärt er. In der Reha nach dem Unfall habe er an einer Klettertherapie teilgenommen. "Da sind wir aber nur horizontal knapp über dem Boden geklettert, unter uns immer eine Weichbodenmatte", sagt er.

Als er nach der ersten Kletterpartie wieder festen Boden unter den Füßen hat, ist Timo verschwitzt. Er hat sich sichtlich angestrengt, ärgert sich aber, weil ihm bis zum Ende der Route nur wenig gefehlt hat. Doch weil sein Fuß keinen Griff mehr gefunden hat, um sich abzustützen, musste er aufgeben. Nach kurzem Ausruhen versucht er es ein zweites Mal und erreicht sein Ziel.

Timo erreicht beim zweiten Versuch an der Wand sein Routenziel.
Foto: Dorothea Fischer | Timo erreicht beim zweiten Versuch an der Wand sein Routenziel.

"Für mich ist es vor allem für die Arme sehr anstrengend", sagt David nach seiner zweiten Kletterpartie. Dabei habe er vor allem dort sehr viel Kraft, so seine Mutter. "Er schwimmt zum Beispiel nur mit den Armen." Erst als Lina zum zweiten Mal die gelbe Route bis zur Hupe erklimmt, packt auch ihn der Ehrgeiz wieder. Und er bezwingt die Strecke noch einmal. Nachdem die Hupe wieder durch die Halle tönt, zittern die Beine des 20-Jährigen. Er lässt sich ins Seil fallen, schaut erschöpft, aber stolz nach unten und wartet, bis Kletterbetreuer Christian Heim ihn langsam abseilt.

Die nächsten Termine: 17. Januar 2025, 2. Mai 2025, 26. September 2025 und 28. November 2025, jeweils von 16.30 bis 18 Uhr. Weitere Informationen und Anmeldung über die Internetseite des DAV Main-Spessart.

Klettertrainer für Menschen mit Behinderung

Die Ausbildung zum Klettertrainer für Menschen mit Behinderung bietet der Deutsche Alpenverein (DAV) in Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband (DBS), Special Olympics Deutschland (SOD) und dem Deutschen Gehörlosen-Sportverband (DGS) an. Die Ausbildung besteht aus drei Lehrgängen, in denen die Teilnehmenden klettersport- und behinderungsspezifische Kompetenzen erwerben. Sie lernen risikoarme und bedürfnisgerechte Klettersportangebote für Menschen mit und ohne Einschränkung zu entwickeln.
(dfi)
 
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