Bezahlbarer Wohnraum ist nicht nur in Großstädten knapp. Auch in ländlicheren Bereichen kann sich die Wohnungssuche schwieriger gestalten. In Karlstadt gründete sich Anfang des Jahres eine Baugenossenschaft, trotz aktuell hoher Zinsen und gestiegener Baukosten. "Auf mich kommen immer wieder Menschen zu und fragen, ob ich von einer Wohnung weiß", sagt Bürgermeister Michael Hombach. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der neuen Genossenschaft "Karschter Wohnen". Derzeit läuft noch alles ehrenamtlich – im Vorstand sitzt auch Bernd Koch, der hauptamtlich als Geschäftsführer des Heimstättenwerks Marktheidenfeld tätig ist. Sie beantworten hier die wichtigsten Fragen rund um Gründung und Mitgliedschaft.
Wie entstand die Idee, eine Baugenossenschaft zu gründen?
"Nicht alles, was den wohnbaulichen Bedarf betrifft, kann eine Kommune leisten. Da ist bei mir der Gedanke und die Idee weiter gereift, Menschen zusammenzubringen, um unseren Lebensraum gemeinsam zu gestalten", sagt Bürgermeister Michael Hombach. Damit sei er auf Andreas Fella zugegangen, den Vorstandsvorsitzenden der Raiffeisenbank Main-Spessart. Dieser habe ihn in der Idee bestärkt. Für den Aufsichtsrat habe er Experten und Expertinnen aus verschiedenen Bereichen angefragt, die alle bereit gewesen seien, dieses Ehrenamt zu übernehmen.
Wie startet man eine solche Baugenossenschaft?
"Im Prinzip fahre ich kreuz und quer durch Karlstadt und schaue, wo Objekte sind", sagt Koch. Er klopft bei Nachbarn unbewohnter Häuser, fragt nach Telefonnummern und Adressen. Auch auf den Immobilienplattformen sucht er regelmäßig. Vor der Gründung hätten zudem viele organisatorische Dinge angestanden: Ein Wirtschaftsplan und eine Satzung mussten ausgearbeitet, Pflichtlehrgänge besucht werden. "Ich habe es mir einfacher vorgestellt – dass es so viel Arbeit macht, hätte ich mir am Anfang nicht träumen lassen." Auch der Bürgermeister sagt: "Die letzten eineinhalb Jahre waren sehr intensiv."
Wie unterscheidet sich die Arbeit in einer etablierten Genossenschaft wie dem Heimstättenwerk von dem neu gegründeten Karschter Wohnen?
"Wir waren 80 bis 90 Jahre weiter", sagt Koch über seinen Start als Geschäftsführer des Heimstättenwerks. So alt war die Marktheidenfelder Genossenschaft 2013 bereits, in diesem Jahr feiert sie 100-Jähriges. Zu Beginn sei dort auch alles ehrenamtlich gelaufen, doch es seien "andere Zeiten" gewesen, man habe noch bauen können. Koch spricht aktuell hohe Zinsen und teure Baukosten an, niemand würde Grundstücke verkaufen. "Von 20 Objekten, die wir uns anschauen, gibt es vielleicht bei einem weiterführende Gespräche." Ein klarer Unterschied zu seiner hauptamtlichen verwaltenden Tätigkeit im Heimstättenwerk – es hätten sich aber auch schon Leute mit Objektvorschlägen für Karschter Wohnen gemeldet.
Welche Objekte kommen für die Genossenschaft infrage?
In erster Linie Grundstücke und Mehrfamilienhäuser, sagt Koch. "Wenn Potenzial da ist – früher hat man sehr großzügig gebaut – schauen wir uns aber auch Einfamilienhäuser an." Wenn Geschosse mehr als 100 Quadratmeter umfassen, lasse sich ein Haus in zwei Wohnungen aufteilen und vielleicht noch das Dachgeschoss ausbauen oder anbauen. "Dann kommt am Ende ein Drei- oder Vierfamilienhaus heraus", sagt Koch.
Ähnlich beschreibt Hombach die Pläne: Es gehe darum, geschickte Konzepte umzusetzen und nicht darum, große Wohnblöcke zu schaffen. "Das passt nicht in unsere ländliche Region", findet er. "Momentan ist es noch etwas abstrakt", sagt Hombach. Es brauche konkrete Projekte, die für Investoren beworben werden können. Doch derzeit laufe die Gründungsphase noch, die Zeit brauche. Eine Frist, bis wann erste Immobilien erworben sein sollen, gebe es nicht. "So schnell wie möglich, weil der Druck nach Wohnungen ist da", sagt Hombach trotzdem.
Gibt es vonseiten der Stadt Karlstadt Möglichkeiten, der Genossenschaft Gebäude oder Grundstücke anzubieten?
"Es gibt Möglichkeiten von Immobilien und Grundstücken, die die Baugenossenschaft von der Stadt Karlstadt erwerben könnte oder im Erbbaurechtvertrag übernehmen kann", sagt Hombach. Zunächst müsse die Geschäftsführung der Genossenschaft entscheiden, ob sie diese Grundstücke erwerben möchte und anschließend müsse der Stadtrat über den Verkauf entscheiden. Auch im Bereich Hegewaldgelände könnte sich die Genossenschaft einbringen. Der Fokus der Genossenschaft soll allerdings auf dem gesamten Stadtgebiet liegen: "Für mich ist wichtig, auch die Stadtteile mit einzubeziehen", sagt Hombach.
Ist der Zeitpunkt im Hinblick auf die aktuelle Marktsituation überhaupt sinnvoll gewählt, um eine Baugenossenschaft zu gründen?
"Wenn man beim Verband fragt, werden immer wieder Baugenossenschaften gegründet, aber es hören auch immer wieder welche auf", weiß Koch. Gründe seien etwa Fehlfinanzierung oder gescheiterte Projekte. Doch der Bedarf danach sei da, das betont auch Hombach. "In Marktheidenfeld haben wir zuletzt eine 3-Zimmer-Wohnung ausgeschrieben und hatten innerhalb von einem Tag etwa 130 Bewerbungen. In Karlstadt gibt es ebenfalls kaum Anzeigen für Mietwohnungen – und wenn, dann kaum noch für Normalsterbliche bezahlbar", sagt Koch. "Wir haben jetzt schon Anfragen nach Wohnungen, obwohl wir kein einziges Objekt haben." Eigenartig sei, dass diese aus ganz Deutschland kommen, von Menschen, die eine Verbindung zu Karlstadt haben und wieder hierherziehen möchten. Doch auch aus Karlstadt sei die Nachfrage ungebrochen.
Wer ist bereits Mitglied der Genossenschaft?
Die Stadt Karlstadt und die Raiffeisenbank sind Gründungsmitglieder, der Landkreis hat sich ebenfalls beteiligt. "Wir haben aber auch private Mitglieder, die zum Teil mit bis zu 50.000 Euro dabei sind", sagt Koch. Ein Anteil koste 1000 Euro, das sei der Mindestbeitrag. "Wir waren uns in der Vorbereitung der Gründung schnell im Klaren, dass die Höhe der Anteile auf 100.000 Euro begrenzt wird", sagt Hombach. So soll verhindert werden, dass externe Investoren Millionensummen in die Genossenschaft stecken und das Mitspracherecht der Mitglieder aus dem Gleichgewicht bringen.
Welche Vorteile bietet die Mitgliedschaft?
Die Mitglieder haben ein Stimmrecht – "die Freiheit, mitentscheiden und mitgestalten zu können" sieht Hombach als Vorteil einer Genossenschaft. Des Weiteren sei eine Kündigung wegen Eigenbedarfs sei ausgeschlossen. Außerdem: Wer investiert und Interesse an einer Wohnung der Genossenschaft hat, werde bei der zukünftigen Vermietung bevorzugt berücksichtigt, so Koch. Für die Investoren werde in der nächsten Sitzung besprochen, wie eine Ausschüttung aussehen könnte.
Wie finanziert sich die Genossenschaft? Gibt es auch die Möglichkeit, Fördergelder abzurufen?
Derzeit finanziert sie sich nur durch die Anteile der Mitglieder, es gibt keine Fördergelder für die Gründung der Genossenschaft. Zinsvergünstigte Darlehen könnte man bekommen, ansonsten aber nur die allgemeinen Fördergelder für den Wohnungsbau, weiß Koch. "Natürlich werden wir bei jedem Projekt prüfen, welche Fördergelder es für Maßnahmen gibt", sagt Hombach.
Welche langfristigen Ziele und Visionen verfolgt die Baugenossenschaft?
"Wir wollen Wohnraum für alle Alters- und Gesellschaftsgruppen schaffen", sagt Hombach. Für Senioren etwa, die sich vom Wohnraum her verkleinern möchten oder für junge Menschen, die in Karlstadt bleiben und in eine eigene Wohnung ziehen möchten, führt er als Beispiele an. Für Arbeitgeber sei es interessant, dass Arbeitnehmer in der Gegend Wohnungen finden. Dabei soll sowohl neu gebaut werden als auch ungenutzte Fläche im Bestand ausgeschöpft werden. "Der Mietpreis bei der Karschter Wohnen muss sozialverträglich sein, sich aber trotzdem für uns rentieren, damit wir nicht Pleite gehen. Diesen Spagat versuchen wir zu schaffen", sagt Koch. Dafür seien Vorstand und Aufsichtsrat gut besetzt: "Wir haben Leute aus der Bank, Architektur und Verwaltung im Vorstand und es werden richtig interessante Diskussionen geführt."