
In der Küche spielen Rudi, Friedl und Werner Schafkopf, im Wohnzimmer unterhalten sich Margot und Gertrud und stricken dabei Socken für die Familie. Nicht alle leben in der Wohngruppe in Heßdorf, aber Besuch aus dem Ort sowie gemeinsame Aktivitäten gibt es öfter. Das Haus, ein alter Bauernhof, bietet Platz für acht Bewohnerinnen und Bewohner. Auf der Terrasse wird im Sommer immer wieder gegrillt, vor dem Haus stehen Bänke mit Blick auf einen kleinen Gartenstreifen. Idyllisch – und sicherlich eine schöne Vorstellung, auf diese Weise den Lebensabend zu verbringen, wenn man auf Pflege angewiesen ist. Aber solche Häuser sind nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben, sagen Christof Bergmann und Christiane Ritschel.
Die beiden sind private Eigentümer des Hauses in Heßdorf, zusammen mit Werner Lochmann. Bergmann und Ritschel führen gemeinsam einen Pflegedienst im Landkreis, Lochmann arbeitet als feste Pflegekraft in der Heßdorfer WG. Mit Lochmann wechseln sich früh, spät und nachts Mitarbeiter in drei Schichten ab, mittags komme noch eine Person zum Kochen, zweimal die Woche werde geputzt. "Wir haben Fachkräfte, Hilfskräfte und auch Quereinsteiger", sagt Bergmann. Teils seien es Hausfrauen aus der Nachbarschaft, die zum Kochen oder zur Nachmittagsbetreuung vorbeikommen.
Das große Problem: Die 24-Stunden-Betreuung weiterhin zu finanzieren
Seit die Tarifpflicht im September 2022 für ambulante Pflegedienste eingeführt wurde, müssten sie auch den Hilfskräften deutlich mehr Lohn zahlen, bekämen im Gegenzug aber nicht viel mehr von der Pflegekasse. "Was man auch jedem Mitarbeiter gönnt, aber dadurch ist das natürlich hier nicht mehr wirtschaftlich", sagt Ritschel. Das große Problem: Die 24-Stunden-Betreuung weiterhin finanziell stemmen zu können, auf die die pflegebedürftigen Bewohner angewiesen sind.
"Das Schöne an unserem Konzept ist: Die Leute wachsen natürlich zusammen", sagt Ritschel. Hier dürfen sie bleiben bis zum Tod, auch wenn die Pflegebedürftigkeit steigt. Freundschaften entstehen, die Bewohnerinnen und Bewohner lernen die Familien der anderen kennen. "Es ist einfach eine schöne Art, im Alter untergebracht zu sein", sagt Bergmann. "Es ist ja für Senioren grundsätzlich nicht leicht, aus dem gewohnten Zuhause rauszugehen."

Gertrud Baldauf ist 88 Jahre alt und wohnt schon seit etwa zwei Jahren in der Senioren-WG. Sie schätzt besonders die Gemeinschaft: "Man kann sich unterhalten und es kommt immer wieder jemand." In ihrem Zimmer hängen Bilder von den Kindern, Enkeln und Urenkeln an der Wand. Die Angehörigen können jederzeit zu Besuch kommen, erklärt Ritschel. Wenn jemand im Sterben liege, hätten sie auch schon Zusatzbetten aufgestellt für Übernachtungen.
"Es ist die Nähe zu meiner Heimat", sagt Margot Brand. Das gefalle der 92-Jährigen am besten am Leben in der WG, zwei Kilometer von ihrem ehemaligen Wohnort Höllrich entfernt. Der 72-jährige Werner Joa macht gerne Ausflüge in die Umgebung, zu Fuß ist er nach Karsbach und Gemünden gelaufen. Damit das weiterhin klappt, hat Ritschel eine Überraschung organisiert: Bald wird Joa ein Elektromobil bekommen.
Der Eigenanteil der Bewohner stieg auf monatlich 2500 Euro
Doch wie finanziert sich eine solche Wohngemeinschaft? Monatlich zahlen die Bewohnerinnen und Bewohner einen Eigenanteil; für die ambulante Pflege können Bergmann und Ritschel zusätzlich Pflegesachleistungen abrechnen. Aus dem Eigenanteil werden Miete, Lebensmittel, die Betreuung und sonstige Anschaffungen für die WG finanziert. Dieser Eigenanteil musste seit der Tarifpflicht von 1500 Euro auf 2000 Euro und noch einmal auf 2500 Euro angehoben werden. Lebensmittel- und Energiekosten stiegen zwar ebenfalls, doch die Erhöhung sei nur in die Betreuung geflossen. "Wer hat denn 2500 Euro Rente?", fragt Ritschel.

Um dem gegenzusteuern, wurde ein Zimmer in ein Doppelzimmer verwandelt, die Zahl der Bewohner erhöhte sich von sieben auf acht. Trotzdem sei der Monatsbeitrag für manche nicht zu stemmen. Daher würden nun Verhandlungen mit dem Sozialamt laufen, um den fehlenden Betrag auszugleichen. Ob die WG mit den Leistungen des Sozialamts wirtschaftlich bleibt, könnten sie noch schlecht sagen. "Wir gucken uns jetzt mal an, ob vonseiten der Regierung etwas passiert. Ob es eine neue Pflegereform gibt. Es muss ja etwas passieren", sagt Ritschel.
Die eigentliche Lösung liegt für sie in einer Erhöhung der Pflegesachleistungen der Kassen. Diese hatten sich laut Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste erst mehrere Monate nach der Lohnerhöhung, im Januar 2023, um vier Prozent erhöht. Zum 1. August stiegen sie noch einmal um 3,5 Prozent; im April nächsten Jahres ist eine Erhöhung um weitere 4,8 Prozent geplant. Der Eigenanteil der Bewohner in Heßdorf, um das Wohnprojekt zu finanzieren, stieg unterdessen um 66 Prozent an.

Interesse, so zu wohnen, bestünde: Eine Warteliste führt Ritschel schon nicht mehr. Wer einzieht, wird letztendlich sowieso mit den Bewohnern zusammen entschieden – wie in einer normalen WG. Entweder kommen die potenziellen Mitbewohner zum Kaffeetrinken vorbei oder sie werden vom Pflegepersonal beschrieben. Dann gebe es noch ein Probewohnen. "In so einer Gruppe muss man schon schauen: Wer passt dazu? Es kann sicherlich eine Person eine ganze Gruppe durcheinander bringen. Aber da haben wir ein ganz glückliches Händchen bewiesen."
Zukunftsvision: Pflege durch Familie und Nachbarschaft
Von den Gemeinden Karsbach und Gössenheim sei jüngst eine Spende eingegangen; die erste für die WG, worüber sie sich sehr gefreut hätten. "Das wurde in die WG-Kasse eingezahlt", sagt Ritschel. Vielleicht könnte die Gruppe so mal wieder etwas unternehmen; beim Bäcker frühstücken gehen zum Beispiel.
Den Eigenanteil wieder zu verringern, sei nicht realistisch. Das anfängliche Konzept, sich diese Wohnform gut leisten zu können, gehe nicht mehr auf. "Die Zeiten sind durch", sagt Bergmann. "Wenn sich nichts ändert, ist das hier eine aussterbende Geschichte, wenn sich das Pflegegeld nicht erhöht", sagt Ritschel. Ihre Zukunftsvision: Dann müssten wieder vermehrt Familien die Pflege übernehmen, vielleicht ganze Straßenzüge in Nachbarschaftshilfe.