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Steinbach
Mariabuchen: Wunderbuche und Buchenwunder
Aus der Geschichte Main-Spessarts (60): Ein Ungläubiger stach mit seinem Schwert in eine Buche gestochen und es floss Blut, erzählt die Legende. Im Baum war ein Marienbild. Der Beginn eines großen Wallfahrtsortes.
Mariabuchen im Buchental bei Steinbach hat eine ungewöhnliche Geschichte. 
Foto: Wolfgang Dehm | Mariabuchen im Buchental bei Steinbach hat eine ungewöhnliche Geschichte. 
Theodor Ruf
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:00 Uhr

Gefühlt mehr als 500 Mal: Wanderung von Lohr „naus die Buche“, nach Mariabuchen. Oder: Maria Buchen. Die zweite Schreibweise ist die „richtigere“, die erste die gebräuchlichere. Wie dem auch sei: es war immer eine schönes Erlebnis, schließlich gab es zur Halbzeit Essen und Trinken (in der architektonisch noch unmonströsen „Waldrast“ oder im „Buchenstüble“). Die Eltern des Autors heirateten dort, und seine erste wissenschaftliche Veröffentlichung schrieb er 1973 über den Wallfahrtsort.

Maria Buchen war und ist immer weit mehr als das Ziel eines Sonntagsausflugs: Prozessionen von Nah und Fern kommen jährlich hier an, Glaube wird gelebt. Genauso kommen aber Menschen von weither, die nur die Atmosphäre eines ungewöhnlichen Ortes erleben wollen. Seine Geschichte ist ungewöhnlich genug:

Die erste erhaltene schriftliche Überlieferung stammt von 1591 und schreibt (verkürzt und vereinfacht) so: „Im Bistum Würzburg ist eine große Wallfahrt in eine Kirche oder Kapelle „zur Buchen“ genannt, in der Pfarrei Steinfeld, die zum Kloster Neustadt gehört. Dort befindet sich ein Marienbild, in der Form und Gestalt, wie Christus vom Kreuz abgenommen und in den Schoß Marias gelegt wurde, das hinten auf dem Rücken, knapp unter dem Hals, einen Stich hat, fast einen kleinen Fingers Glied lang. Hier geschahen viele Mirakel und Wunderzeichen. Dieses Bildlein wurde vor 200 Jahren gefunden und an das Licht gebracht."

"O weh" tönt es aus dem Buchenbaum 

Nämlich so: "Wo jetzt die Kapelle steht, stand damals ein großer alter Buchenbaum nahe der Straße, die durch das Hausener Tal von Wiesenfeld nach Lohr geht. Auf dieser Straße konnten die Juden nicht wandern oder reisen. Denn wenn sie zu dieser Buche kamen, konnten sie nicht weitergehen, sondern mussten zurückweichen oder stillstehen. Niemand wusste die Ursache. Dieses ging nun lange Zeit so, bis ein Jude meinte, mit Gewalt vorüberzugehen. Aber als er an die Buche kam, verließen ihn seine Kräfte. Mehrfach versuchte er weiterzugehen, doch vergebens.

Schließlich sprach er zur Buche: ,Wenn du die Ursache bist, dass ich und mein Geschlecht nicht vorübergehen können, so will ich mich an dir rächen.' Er lästerte Christus und Maria, zog sein Schwert und stach in den innen hohlen Buchenbaum. Sogleich ertönte eine Stimme: ,O weh, O weh, O weh.' Entsetzt zog er seine Waffe heraus, die an der Spitze blutig war. Aber er konnte sich nicht mehr bewegen, war gebannt, bis Christen vorbeikamen. Er wurde von ihnen gefangen und vor die Obrigkeit geführt, wo er seine Geschichte erzählte."

Weiter heißt es in der Überlieferung: "Nun wollte man erfahren, was es mit der Sache auf sich hatte, fällte die Buche und fand darin ein Marienbild mit einem blutigen Stich auf dem Rücken. Der Jude wurde bestraft, das Marienbild in Verwahrung genommen, und bald geschahen Heilungswunder an diesem Ort. Dies währte bis zur Zeit des Würzburger Bischofs Johann von Brunn [1411-1440], der dann dort wegen der vielen Wunder eine Kirche errichten ließ und einen Ablass für die ausstellte, die diese Kirche finanziell unterstützten.“

Valentin Leucht.
Foto: Theodor Ruf | Valentin Leucht.

Diese Geschichte stammt von dem Frankfurter Domscholaster Valentin Leucht (um 1550 bis 1619), der um 1576 auch Lehrer im Kloster Neustadt am Main war und das Wallfahrtsbild nach eigenem Zeugnis selbst gesehen hatte. Sie hat eindeutig antisemitischen Charakter, Leucht sammelte viele Wundererzählungen, sein Opus ist reichhaltig und, aus der Sicht des Historikers, wertvoll. Doch viele Texte stellen Juden in übelster Weise als Gegner des Christentums dar. Dabei ging es Leucht aber gar nicht darum, ausgerechnet und nur gegen Juden zu hetzen: Sein Ziel sind die „Ungläubigen an sich“, und das heißt: jeder, der nicht explizit katholisch ist. Also ist seine Erzählung gegen alle „Ketzer“ gerichtet, und in erster Linie gegen die Protestanten. Leucht ist ein Autor der Gegenreformation.

Aber dass Leuchts Antisemitismus gar kein „echter Antisemitismus“ ist, das hat man nicht erkannt oder vergessen, und so ist die Verletzung des Kultbildes durch einen Juden für die Wallfahrt in Maria Buchen bis heute ein Problem. Zumal bei späteren Versionen der Legende durch andere Schriftsteller die Tat noch ausgeschmückt wurde und der Täter nun nicht mehr einfach in den Baum sticht, ohne zu wissen, was darinnen ist, sondern das sichtbare Marienbild gezielt verletzt.

Den negativen Höhepunkt bildet eine Art Novelle des Würzburger Pfarrers Ignaz Ruland (1812–1892) von 1847: „Nun denn!' – heulte endlich der Jude mit dem grausigen Gelächter der Verrücktheit in die tobende Luft und riß, auf den Gipfel thierischer Wildheit gebracht, das Messer aus der Scheide, die an seinem Gürtel hing – ,Gelingt mir’s auch nicht, was ich versuche, so will ich mich wenigstens rächen, mag man es auch Wahnsinn nennen.“ Allerdings lässt Ruland die Geschichte „gut“ enden, indem der Jude Nathanael bekehrt wird und als Eremit bei der Buche sein Leben beschließt.

Radikaler Antisemitismus 

Wesentlich radikaler nutzt der Neustadter Pfarrer Georg Link (1815–1901) in seinem „Klosterbuch der Diözese Würzburg“ (Bd. II, 1876) die Legende dazu, Antisemitismus zu predigen. Und nicht nur diesen: „Unter gewissen Reden, die nur Gott bekannt sind, ritten vor mehreren Jahren zwei Protestanten an der Buchenkirche vorüber, um im nahen Steinfelder Wald Holz auszuzeichnen. Plötzlich bäumten sich die Pferde, eine unsichtbare höhere Gewalt hielt sie. Von jener Zeit an besuchten jährlich Beide diesen Gnadenort.“

Harmloser und eher amüsant ist Links Mitteilung, ein junger Mann habe von den Eltern seiner Auserwählten keine Heiratsgenehmigung erhalten, deshalb Maria in der Buche um Hilfe gebeten, und siehe da: nach kurzer Zeit waren die Eltern umgestimmt. Woraufhin die Marienfigur die gleiche Goldkette erhielt wie die Braut.

Das Halbrundgemälde mit der Darstellung der „Freveltat“ wurde abgenommen und im Kloster verwahrt.
Foto: Theodor Ruf | Das Halbrundgemälde mit der Darstellung der „Freveltat“ wurde abgenommen und im Kloster verwahrt.

Natürlich wurde niemand wegen der Maria-Buchen-Geschichte zum Antisemiten, aber sie war geeignet, Vorurteile zu manifestieren. Daher ist es mehr als verständlich, dass in den 1960er Jahren das wohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandene große Halbrundgemälde mit der Darstellung der „Freveltat“ abgenommen und im Kloster verwahrt wurde. Dort hängt es noch heute, während der einst darunterstehende großformatige Text mit der Erzählung, weitgehend nach Leucht, augenblicklich als verschollen gilt.

Aber was erzählte man nun als Entstehungslegende? Entweder gar nichts, oder man schrieb die Tat einem „Ungläubigen“ zu, oder, heutzutage, „einem Mann“. Dass mit einer solchen Geschichtsklitterung nichts gewonnen ist, ist klar. Besser wäre es, die alte Legende beim Namen zu nennen und mit einer deutlichen Erklärung zu versehen. Heutiger Antisemitismus kann sich nicht mehr auf den christlichen Glauben berufen und hat ganz andere Ursachen. Und so könnte man Aufklärung betreiben, anstatt mühsam eine neue Geschichte zu erfinden. Die sowieso niemand glaubt, denn das Wissen um die Ursprungslegende ist natürlich noch vorhanden.

Was aber war wirklich der Ursprung der Wallfahrt? Es könnte sein, dass tatsächlich beim Fällen eines Baumes ein eingewachsenes Marienbild gefunden wurde. Aber diese Erklärung ist fast zu schön, um wahr zu sein. Das Gnadenbild wird kunsthistorisch als „um 1400“ entstanden bezeichnet, doch ist eine solche Datierung schwierig. In einer 1726 entstandenen Verschriftlichung der Legende wird „1395“ als Datum der Auffindung genannt, doch dürfte dies aus der Benützung der zweiten Ausgabe von Leuchts Schrift entstanden sein, die 1595 erschien und aus der man die „200 Jahre“ wörtlich zurückrechnete.

Mariabuchen: Inschrift an einem Fundamentstein der Nordseite
Foto: Theodor Ruf | Mariabuchen: Inschrift an einem Fundamentstein der Nordseite

Ganz und gar nicht geht es an, eine Inschrift an einem Fundamentstein der Nordseite „1406 I. S. M.“ als „Inventio Sanctae Mariae“ = „Auffindung der heiligen Maria“ oder als „Interventio Sanctae Mariae“ = „Durch die Fürbitte der heiligen Maria“ zu deuten und als historisches Datum für die Existenz der Wallfahrt 1406 zu bezeichnen. Denn zum einen wäre eine solche Inschrift, noch dazu an diesem Ort, mehr als einzigartig und ungewöhnlich. Und zum anderen ist die „4“ nicht als solche zu lesen, sondern als „8“: Die Zahl ist oben offen, doch die gotische Halb-Acht (= 4), auch „Wurstbendel“ genannt, hat die Öffnung immer nach unten. Die Zahl, also 1806, wird sich irgendwie auf die Bildung des badischen Amtes Steinfeld in diesem Jahr beziehen, das bis 1819 bestand und zu dem auch Maria Buchen zählte.

Sicher ist jedoch, dass die Wallfahrt zu Beginn des 15. Jahrhunderts bestand, denn es gibt eine Ablassurkunde des Würzburger Bischofs Johann von Brunn aus dem Jahr 1430 oder 1434, nur in späten Abschriften/Übersetzungen erhalten, das Original verbrannte im 2. Weltkrieg. Wie weit die Funktion als Kultort zurückreichte? Valentin Leucht machte keine Angaben und konnte es auch nicht wissen. Wohl weit: Kloster Neustadt, der heiligen Maria geweiht, entstand um 800 und war im Raum der fränkischen Platte präsent, steuerte wohl von Anfang an den Kult. Der vielleicht nicht erst durch das Christentum entstand: Schon der Lohrer Kaplan und Geschichtsschreiber Georg Höfling hatte 1841 die Idee, er könne bis in die germanische Vorzeit zurückreichen.

Georg Link berichtete über die tatsächlich im Raum um Wiesenfeld/Steinfeld/Hausen vorhandenen zahlreichen „Hünengräber“ (und die haarsträubende Raubgräberei) und leitete daraus den Banncharakter des Weges ab. Über Maria Buchen läuft jedenfalls der leichteste Weg von Lohr nach Wiesenfeld und Steinfeld, eine nicht unwichtige Verbindung. Ohne nun eine Frigga- oder Freya-Buche als Pendant zu der einst von Bonifatius gefällten Donar-Eiche propagieren zu wollen: Die Wegkreuzung mit einer auffälligen Buche könnte einen kultischen Charakter gehabt haben. Dass das Christentum solche Orte in seinen Glauben integrierte, ist bekannt.

1726 kamen die Kapuziner

Was man wann glaubte, wird immer unbekannt bleiben. Leucht schrieb 1591 eine Version fest, wie sie wohl „im Volk“ umherlief. Verbürgt ist, dass 1461 eine Kapelle eingeweiht wurde, mehrfach wurde sie neugebaut und umgestaltet. 1726 kamen die Kapuziner als Betreuer der Wallfahrt, 2002 verließen sie den Ort und nahmen leider auch das Archiv mit nach München. Seitdem wirken Franziskaner-Minoriten aus Polen in Maria Buchen, und hoffentlich noch lange.

Die schmerzhafte Mutter Gottes in der Wallfahrtskirche Mariabuchen.
Foto: Roland Pleier | Die schmerzhafte Mutter Gottes in der Wallfahrtskirche Mariabuchen.

Wer heute nach Maria Buchen kommt, ist an der Geschichte wohl nur mäßig interessiert. Die Gegenwart zählt. „Imagine there's no heaven (...) above us only sky“ schrieb John Lennon 1971. Aber gerade wenn er den Glauben an den traditionellen Himmel aller Religionen infrage stellte, beschrieb er in „Imagine“ einen Seelen- und Weltfrieden, wie man ihn in Maria Buchen suchen und vielleicht finden kann, egal, in welcher Art von Glauben man lebt. Aber: Wunder fallen nicht vom Himmel, sondern werden auf der Erde gemacht.

Zum Autor: Dr. Theodor Ruf ist Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Lohr, er schrieb zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Region Main-Spessart.  Seine Dissertation verfasste der Historiker über die „Die Grafen von Rieneck“.

Literatur: Wolfgang Brückner (Hg.): Maria Buchen. Eine fränkische Wallfahrt. Würzburg (Echter) 1979

Die Wallfahrtskirche Mariabuchen im Buchental bei Steinbach.
Foto: Johannes Ungemach | Die Wallfahrtskirche Mariabuchen im Buchental bei Steinbach.
 
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