
Sind Römer je durch den Spessart und durch unseren Landkreis gezogen? Bereits im 19. Jahrhundert haben Kaplan Georg Höfling und Friedrich Stein in ihren Geschichtswerken über Lohr diese Frage gestellt und sich gefragt, ob das antike „Locoritum“ jemals Station der Römer auf ihren Feldzügen gegen die Germanen war und welcher heutige Ort dieses „Locoritum“ gewesen sein könnte. Im Folgenden soll diesen Fragen nachgegangen werden. An „Locoritum“ lässt sich aufzeigen, welche Bedeutung auch der hiesige Raum um Christi Geburt für Rom hatte.

Eine um 150 n. Chr. von dem berühmten griechischen Mathematiker und Kartographen Claudius Ptolemaios erstellte Karte zeigt ein „Germania Magna“, das sich vom Rhein bis zur Weichsel erstreckte. Sie gibt interessanterweise vielfach die Verhältnisse um Christi Geburt wieder, weil er offenbar aus Unterlagen der römischen Armee aus dieser Zeit schöpfte. Die heute recht gut rekonstruierte Karte nennt etwa 100 Orts-, Fluss- und andere geographische Namen. Unter den Orten befindet sich auch ein „Locoritum“.
Welcher heutige Ort mochte mit „Locoritum“ gemeint sein? Nur einmal, eben bei Ptolemaios, wurde er schriftlich erwähnt wurde, dann nie wieder. Forchheim, Rothenburg ob der Tauber, Sigmaringen, Wörth am Main und Lohr wurden erworgen, aber auch Gemünden, so vom Lohrer Gymnasiallehrer Joseph Schnetz 1912 und von Conrad Mannert 1820. Er war Geograph.
Da der Ortsname „Locoritum“ wie zahlreiche ähnliche ptolemaische Orte (etwa Darioritum) zweifelsohne das keltische Element –ritu für Furt enthält, muss der gesuchte Ort ein Furtort („polis“) und damit Teil einer wichtigen Landverbindung gewesen sein. Sonst wäre er nicht genannt worden. Furtübergänge waren oft über die Jahrtausende ortsfeste und gut befahrbare Geröllablagerungen, über die das Wasser immer noch bis zu 75 Zentimeter hoch strömte. Altwege orientierten sich in der früher brückenlosen Zeit zwangsläufig an Furten. Sie waren in Karten eingezeichnet und hatten nichts mit sommerlichem Niedrigwasser zu tun, das im Volksmund oft mit Furten in Verbindung gebracht wurde.
Locoritum: Verbindung der Militärstandorte Mainz und Marktbreit
Es fällt auf, dass in der ptolemaischen Germanienkarte „Locoritum“ fast genau in der Mitte zwischen zwei großen römischen Militärstandorten liegt. Westlich davon nennt Ptolemaios „Mogontiacum“, das heutige Mainz, seit 13/12 v. Chr. das Hauptquartier der römischen Rheinarmee, von wo aus etwa die römischen Militäroperationen unter Kaiser Augustus in das Germanien jenseits des Rheins ab 10 v. Chr. ausgingen.
Östlich von „Locoritum“ gibt es bei Ptolemaios ein ebenfalls keltisch benanntes „Bergium“. Lange gab er Ort Rätsel auf. Dies änderte sich 1985. Damals wurde ein römischer Stützpunkt aus der Zeit des Kaisers Augustus auf dem Kapellenberg bei Marktbreit entdeckt. Niemand hatte ein solches Römerlager so weit östlich des Rheins, der damaligen Reichsgrenze, vermutet. Ausgrabungen von 1986 bis 1992 ergaben, dass sich dort ein Doppel-Legionslager befunden hat, das Platz für 12 000 Soldaten bot. Laut der Funde dürfte das Lager zwischen 5 v.Chr. und 9 n.Chr. bestanden haben.

Marktbreit sollte möglicherweise Zentralort einer künftigen römischen Provinz in Mainfranken werden, eventuell sogar militärisches Hauptquartier. 6 n. Chr. sah das noch nicht fertige Kastell sogar den Durchzug der Rheinarmee unter Sentius Saturninus nach Böhmen, um die Markomannen in einer gemeinsamen Zangenoperation mit der römischen Donauarmee in die Knie zu zwingen. Wahrscheinlich war Marktbreit sogar Bereitstellungsraum für dieses Heer, das aus bis zu 36 000 Mann bestanden haben soll. Offensichtlich lag das Marktbreiter Lager an einer wichtigen Vormarschroute, einem alten Landkorridor nach Böhmen. Das bislang nicht einzuordnende „Bergium“ kann vor diesem Hintergrund sehr gut der Name des Marktbreiter Lagers gewesen sein.
Römischer Verkehrsknotenpunkt in Langenprozelten/Hofstetten
Welches aber war nun das antike „Locoritum“, dieser keltische Furtort, der zwischen Mainz und Marktbreit lag? Ganz entscheidend spricht für Langenprozelten/Hofstetten als das ptolemaisches „Locoritum“ und gegen alle anderen Ortsüberlegungen:
Die Vormarschrouten aller römischen Feldzüge und Operationen ins feindliche Germanien ab 12 v.Chr. hatten Mainz als Ausgangspunkt und verliefen durchweg nordmainisch, weil andere Routen als die vorgefundenen keltisch-germanischen Altwege nördlich des Mains so kurz nach Ankunft der Römer am Rhein noch nicht zur Verfügung standen. Eine der damals raren Schiffsbrücken bereits ab Gründung des Mainzer Hauptquartiers 13/12 v.Chr. ermöglichte den direkten Zugang zu diesen Routen: sowohl Richtung nordöstliches Germanien (über die sog. „Elisabethenstraße“) wie auch Richtung Osten Richtung Marktbreit und Böhmen. Ein Brückenkopf (heute Kastell) sicherte diesen Zugang. Das nordmainische Kastell Höchst war letzter gemeinsamer Logistikpunkt dieser beiden Routen.

Wie auch neuere Untersuchungen unter anderem der Universität Frankfurt zeigen, fand dieser Landkorridor in Richtung Marktbreit und Böhmen allein in der Birkenhainer Straße seine Fortsetzung. Und damit zwangsläufig in der Mainfurt bei Langenprozelten/Hofstetten, auf die die Birkenhainer Straße zulief. Auf diese Mainfurt und den möglichen Furtort gleichen Namens bei Langenprozelten passt das gesuchte ptolemaische „Locoritum“ fast maßgeschneidert. Auch dass bei Ptolemaios „Locoritum“ östlich des Spessarts (des ptolemaischen „Adnoba“-Gebirges) liegt, passt zu dieser Verortung. Die Gleichsetzung „Locoritum“ mit Langenprozelten/Hofstetten wurde auch von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der TU Berlin 2011 übernommen, die die ptolemaische Germanienkarte in eine heutige Karte transformiert und 2010 publiziert hat.
Weiter über die Fränkische Platte bis Holzkirchen
In „Locoritum“ ging es, nachdem man den Main durchquert hat, über die Fränkische Platte auf leichten Wegen bis Holzkirchen und dann Richtung Osten nach Marktbreit. Großer Vorteil von „Locoritum“: es bedurfte auf dem 200 Kilometer Landweg Mainz-Marktbreit nur einer einzigen Durchquerung des Mains, der sich den Römern als Mainviereck und Maindreieck bei anderer Wegführung mehrfach in Nord-Süd-Richtung in den Weg gestellt hätte.
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Von Cäsar wissen wir, wie viel Zeit eine Furt ersparte. Die Helvetier brauchten Wochen, um die Saone mit Booten und Flößen zu überqueren. Was die hohe Bedeutung des Mains als Wasserweg für Massengüter nicht schmälern soll. Für die Mainzer Bautrupps, Holzfällerkolonnen und ihre militärische Begleitung war der Landweg viel schneller als Schiffe, die mühsam stromaufwärts getreidelt werden mussten und vor allem Baumaterial transportierten und später das Getreide aus Gallien für die Lagerbesatzung heranschaffen sollten.

Dank dieser Furt war die Nahtstelle zwischen Mainviereck und Maindreieck bei Langenprozelten/Gemünden von alters her „der mit Abstand dichteste Verkehrsknotenpunkt“ (Ralf Obst) in unserem Raum. Die Altwege aus allen Himmelsrichtungen liefen an dieser Furt zusammen.
Das Ende: Die Varus-Niederlage
Mit der Varus-Niederlage im Jahr 9 n.Chr. im Teutoburger Wald, noch vor wirklicher Inbetriebnahme des Marktbreiter Lagers, vollzog sich allerdings ein kompletter römischer Strategiewandel. Alle ambitionierten Pläne für den Raum östlich der Rheinlinie wurden gestoppt. Rom zog sich unter dem Schock dieser militärischen Katastrophe schrittweise wieder hinter den Rhein zurück. Der Militärstandort Marktbreit wurde wohl um 10 n. Chr. in Schutt und Asche gelegt. Der Name „Locoritum“ und der Ort verschwanden wieder im Dunkel der Geschichte, ehe im 12. Jahrhundert Langenprozelten urkundlich in Erscheinung trat. Mainfranken jedenfalls rückte für immer an die Peripherie des römischen Reichs.
Was ist aus der keltisch-römischen Zeit übrig geblieben?
Auf Hofstettener Seite gibt es noch heute den Flurnamen „Furtwiesen“ als Relikt der dem Mainausbau im 19. Jahrhundert zum Opfer gefallenen Furt. Ein noch heute existierender Weg veranschaulicht, wie man sich auch in keltisch-römischer Zeit den Zugang in die Furtwiesen und zur Furt vorstellen muss. Eine bei Langenprozelten gefundene kleine keltische Münze aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert zeugt von den keltischen Namensgebern für das ptolemaische „Locoritum“. Das römische Kleinkastell Neuwirthaus (um 150 n.Chr.) an der Birkenhainer Straße bei Hanau ist indirekter archäologischer Beleg dafür, dass dieser uralte Höhenweg des Nordspessarts den Römern auch schon zur Zeit von Marktbreit bekannt gewesen war. Solche letztlich von der Natur geschaffene Wege änderten sich in einem Zeitraum von 150 Jahren nie.

Und schließlich erinnern bis heute die noch existierenden und begehbaren bis zu 20 Meter tief eingeschnittenen Hohlwege am Zollberg oberhalb von Langenprozelten daran, dass es hier seit Jahrtausenden hinunter an die Mainfurt bei Langenprozelten ging. Sie gehören mit zu den imposantesten Relikten früherer Verkehrswege im Spessart. Es bestätigt sich einmal mehr der Satz des Heimatforschers Gerhard Kampfmann: Alt-Wege hinterlassen ihre Spuren „mehr im Gelände als in den Archiven“.
Zum Autor: Dr. iur. Wolfgang Vorwerk, Generalkonsul a.D., publiziert seit 1978 zu historischen Themen des Spessarts. Seit November 2017 ist er Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins Lohr.
Literatur: Hans-Jörg Nüsse u.a., Germania magna – Ein neuer Blick auf eine alte Karte. Entzerrte geographische Daten des Ptolemaios für die antiken Orte zwischen Rhein und Weichsel, in: Germania Anzeiger der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts 89, 2011, S. 115-155. Wolfgang Vorwerk, Locoritum – ein keltisch-römischer Flussübergang im Raum Lohr? In: Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Raumes Lohr, Ausgabe 2016, S. 9-47.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.