
Den Spessart, Teil des legendären „Adnoba-Gebirges“ im Weltatlas des griechischen Kartographen Claudios Ptolemaios 150 n.Chr., verbanden vier Fernstraßen mit dem Rest der damaligen Welt. Die „hoehe straß, die andere der eßelspfad, die dritte die wiser straß und die viertte, die Espelbacherstraß“: so werden sie in einer Forstordnung des Erzstifts Mainz aus dem Jahre 1338/1339 aufgezählt.
Es waren und sind bis heute keine Lokalwege, sondern überregionale Durchgangsstraßen durch den Spessart, die ganzjährig offenbleiben mussten. Das gebot wohl altes Reichsrecht. Es waren alles Höhenwege, die auf den Rücken der Berge und Wasserscheiden auf etwa durchschnittlich 400 Meter über dem Meeresspiegel entlangliefen. Sie wurden durch keine Täler unterbrochen. Ideal für Mensch und Tier! Sie sollen im Folgenden kurz beschrieben werden.

Die "hoehe Straß" oder auch Birkenhainer Straße
Die „hoehe Straß“ war ein ausweislich vieler Funde seit 7000 Jahren benutzter, auf der Wasserscheide Kahl/Kinzig verlaufender Höhenweg Hanau-Langenprozelten/Gemünden. Daher der Name „hoehe Straß“. So war sie nicht erst seit keltisch-germanischer Zeit Teil eines Landkorridors aus dem Siedlungsraum der Rheinebene in das ebenfalls vorchristlich besiedelte Mainfranken und nach Böhmen. Um Christi Geburt war sie für zwei Jahrzehnte sogar Teil einer Landverbindung vom römischen Hauptquartier Mainz in das geplante, aber nie vollendete Zweilegionenlager Marktbreit.
150 n.Chr. blockierten und kontrollierten die Römer diesen Höhenweg aus Furcht vor germanischen Einfällen durch das Kleinkastell Neuwirthshaus bei Hanau. Über diesen Landkorridor erfolgte sicher auch ganz wesentlich in unserer Gegend mit die Landnahme durch die Franken ab dem 5. Jahrhundert. Um das Jahr 1000 erscheint sie urkundlich als Heerstraße („exercitalis via“) und einmal einfach als breite Straße („platea“). Durchgesetzt hat sich aber der Name „Birkenhainer Straße“.
Diesen Namen hat sie wohl von einem 1572 urkundlich erwähnten Waldstück Birkenhain nordöstlich von Aschaffenburg. Noch heute ist sie als Zeugnis einer oft beschriebenen wechselvollen Geschichte (Kloster Einsiedel) ein durchgängiger zirka 70 Kilometer langer Forst- und Wanderweg. Noch im 19. Jahrhundert wird sie auch in Lohrer Straßenakten „Hohe Straße“ genannt.
Der "eßelspfad" oder Eselsweg
Der „eßelspfad“ ist der bekannte Eselsweg, ebenfalls heute noch als ein durchgängiger etwa 100 Kilometer langer Wald- und Wanderweg erhalten. Er führt auf der Hauptwasserscheide des Spessarts von Schlüchtern und von der ehemaligen Saline Orb im Nordspessart, daher auch „Salzweg“ genannt, in den Raum Miltenberg. Dieser Nord-Süd-Korridor ist gleichwohl älter als alle seine Namen.

Schon vor Christi Geburt war er mit Sicherheit eines der Einfallstore für die seit 500 v. Chr. in Norddeutschland ansässigen Germanen. Erst verdrängten sie die Kelten im letzten vorchristlichen Jahrhundert aus Mainfranken, dann wurden sie zum Angstgegner der Römer. Die Römer konterten ab 90 n.Chr. strategisch am Westrand des Spessarts mit einer eng gestaffelten Kastellkette am Main, mit dem sogenannten „Mainlimes“ oder „nassen Limes“, der von Hanau bis Miltenberg/Bürgstadt reichte.
Die Wieser Straße
Die „wiser straß“ zweigte am Wiesbüttsee bei dem alten Fuhrmannsort Wiesen, daher ihr Name, von der Birkenhainer Straße ab. Sie lief auf der Wasserscheide Aubach/Laubersbach an der Kreuzkapelle und am Fuhrmannsort Frammersbach vorbei nach Partenstein und endete im Fährort Lohr, der auch im Försterweistum von 1338/1339 eigens erwähnt wird. Dieser Altweg ist noch heute ein wunderschöner Höhen-, Wald- und Wanderweg. Die örtlich geprägte Bezeichnung „Kauffahrteistraße“ veranschaulicht ihren Zweck. Lohr war übrigens auch Ziel der „Lohrer Straße“, die weitgehend als Höhenweg aus Aschaffenburg über den Spessart kam.
Die Esselbacher Straße
Schließlich – durch den Film „Das Wirtshaus im Spessart“ (1958) am bekanntesten: die „Espelbacherstraß“, benannt nach dem Ort Esselbach im Südostspessart. Die Straße rückte erstmals als „Heerstraße“ 839 ins Blickfeld der Geschichte. Sie war wohl ebenfalls eine der West-Ost-Routen, über die wie über die Birkenhainer Straße die fränkische Landnahme erfolgte. Diese vierte Straße führte von Frankfurt kommend über das heutige Stockstadt mit seiner alten Mainfurt nach Würzburg und weiter in die vorchristlich besiedelten fruchtbaren fränkischen Maingaue. 1615 wurde „Espelbacherstraß“ Teil der Thurn- und Taxi’sche Postroute Brüssel-Köln-Frankfurt-Würzburg-Prag und Esselbach eine der größten Posthaltereien Deutschlands. Auf Druck der Grafen von Hanau führte sie über Hanau.

Da der Spessart von Main, Kinzig und Sinn fast lückenlos umflossen wird, war dieses Fernstraßennetz allerdings nur möglich, weil es schon in vorgeschichtliche Zeit für die Menschen auch entsprechende Furten zur Durchquerung der genannten Flüsse gab. Ohne Furt keine Straße. Sie waren Teil der Landkarten der Fuhrleute. Das waren keine sommerlichen Niedrigwasserstellen, sondern über die Jahrhunderte und Jahrtausende ortsstabile, bis zu 70-80 Zentimeter unter der Wasseroberfläche durch die Flussströmung geschaffene, im Prinzip ganzjährig befahrbare Kies- und Felsbänke mit flachen Uferpartien für die Ein- und Ausfahrt. Daher auch die hohen Räder der Fuhrmannswagen.

Nur dank dieser bislang wenig beachteten Kombination von Altwegen und Furten und natürlich dank des Mains, über den die Erschließung des Spessarts ganz wesentlich mitlief, war der Spessart ein Wegekreuz mitten in Europa. Das führten uns erstmals in geschichtlicher Zeit die Fuhrleute aus Hain, Laufach, Wiesen und vor allem Frammersbach – in den Archiven der großen Handelshäuser gut dokumentiert – konkret vor Augen.
Sie erkannten schon im 13./14. Jahrhundert, dass sie sich über die vor ihrer Haustüre vorbeiführenden Höhenwege relativ bequem in den Fernverkehr des Reiches einklinken konnten. Fernverkehr war damals primär Messehandel. Nur er war wegen der überall fälligen hohen Straßen-, Zoll- und Geleitabgaben für das kapitalintensive, bis 1559 von den Grafen von Rieneck nach Kräften geförderte und auch für sie lukrative Fuhrgewerbe wirklich rentabel.
Der Verkehrsraum Spessart lag zwischen den beiden wichtigen Messestädten Frankfurt und Nürnberg. Bis zu 40.000 Kaufleute trafen sich beispielsweise in Frankfurt - ab 1150 einmal, ab 1330 sogar zweimal im Jahr. Letztlich war aber das ganze Jahr über Messe. Über Frankfurt ging es aber auch in die großen Städte am Rhein und in die Niederlande (Antwerpen), um nur die wichtigsten Handelswege zu nennen.

Die Fugger und Welser waren wichtige Geschäftspartner der Frammersbacher Fuhrleute. So wurden die Altwege des Spessarts erstmals dank der auch bildlich überlieferten Spessarter Fuhrleute und dank ihrer Spuren in den Archiven nachweisbarer Teil eines reichsweiten und europäischen Netzes von Handelsrouten.
Über die 1338/1339 nicht erwähnte Kinzigstraße am äußersten Nordrand des Spessarts, der nicht zum Regelungsgebiet der eingangs genannten Forstordnung gehörte (siehe Karte), gab es für die Spessarter Fuhrleute schließlich über den Eselsweg als „Zubringer“ via Schlüchtern/Fulda auch Anschluss an die Fernroute nach der dritten Messemetropole des Reichs – Leipzig. Diese Strecke nach Leipzig war die sog. „Via Regia“.
Bei Schlüchtern trafen Kinzigstraße und Eselsweg, dies nur am Rande, auf eine weitere uralte Nord-Süd-Route am Ostrand des Spessarts, die sogenannte „Klosterstraße“. Sie verband alleine vier Klöster aus dem 8. Jahrhundert miteinander – Fritzlar, Fulda, Holzkirchen und Tauberbischofsheim. Auch diese Straße nutzte wie die Birkenhainer Straße die Furt in Langenprozelten/Hofstetten als „Brücke“ über den Main.
Selbstverständlich waren diese Messerouten zugleich reichlich sprudelnde Einnahmequellen für die jeweiligen Landesherren, allen voran für das Erzstift Mainz, das mehr als alle bisher aufgezählten Spessartstraßen jedoch die Südroute über Miltenberg um den Spessart nach Tauberbischofsheim herum förderte. Der Grund: Zoll- und Geleiteinnahmen zwischen den Messestädten Frankfurt und Nürnberg konnte Mainz ab und bis Tauberbischofsheim, das noch zum Kurstaat gehörte, alleine kassieren.
Die Birkenhainer Straße und die Esselbacher Hochspessartstraße wurden zeitweise von Mainz sogar ganz gesperrt, um den Verkehr auf diese Südroute zu zwingen. Dies geschah sehr zum Leidwesen der Frammersbacher und aller anderen Spessarter Fuhrleute, da vor allem die Birkenhainer Straße für sie die Nabelschnur zur Heimat war. Es war ein ewiges Ringen mit Mainz bis 1803, dem Ende des Kurstaates.
Die Tage der Altwege und des Fuhrmannsgewerbes waren damals aber längst gezählt. Der an die römische Straßenbaukunst anknüpfende französische Chausseebau mit festem Unterbau, die Eisenbahn sowie der Ausbau des Mains für die Dampfschifffahrt bedeuteten das Ende. Die Leistungskraft der neuen Verkehrsmittel einschließlich des Autos im 20. Jahrhundert wird zwar noch in Pferdestärken gemessen. Dies ist aber auch die einzige Reminiszenz an die alte Zeit.

Ein letzter Blick von der Birkenhainer Straße am Gemündener Zollberg ist wie eine Zusammenfassung: es ist ein Blick von einer der vier wichtigen Höhenstraßen über die Weiten des Spessarts, über die sie zogen, ein Blick auf den wichtigen Main und auf die ehemalige Furt in der Langenprozeltener Talbucht. Mancher Fuhrmann atmete an dieser Stelle auf, mancher biss die Zähne zusammen, da es nun mit Vorspann die mühsame sog. „Zollbergsteige“ in den Spessart hochging.
Literatur: Karte von B.Schwade (2016) zeigt anschaulich die Altwege des Spessarts als Teil eines europäischen Straßennetzes: http://www.altwege.de/kaiser-pfalzen/images/koenigspfalzen-handelswege.png
Zum Autor: Dr. iur. Wolfgang Vorwerk, Generalkonsul a.D., publiziert seit 1978 zu historischen Themen des Spessarts. Seit November 2017 ist er Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins Lohr.