Vor wenigen Wochen diese gute Nachricht: "Main-Spessart: 500 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr". In der Pressemitteilung zeigte sich der Leiter der Agentur für Arbeit in Würzburg, Stefan Beil, "verhalten optimistisch". Er warnte jedoch auch. "Die noch immer hohe Inanspruchnahme von Kurzarbeit zeigt, dass die pandemischen Folgen für den Arbeitsmarkt noch nicht überwunden sind."
Wie kann das sein? Einstellige Inzidenzen, volle Auftragsbücher, eine Arbeitslosenquote von 2,1 Prozent: Eigentlich sollten gerade Sektkorken durch Main-Spessarter Büros, Gaststätten, Industriehallen fliegen. Nach anderthalb Pandemie-Jahren scheint es ja wieder mehr als genug zu tun zu geben – wie passt es da hinein, dass immer noch so viele Unternehmen in Kurzarbeit sein sollen?
Vor Corona waren Main-Spessarter Unternehmen selten in Kurzarbeit
Für die Antwort müssen wir erst in die Zeit vor der Pandemie zurückblicken. Denn damals war es in einem so wirtschaftsstarken Landkreis wie Main-Spessart oft sogar eine Meldung wert, wenn nur mal ein Unternehmen in Kurzarbeit ging. Eine krasse Ausnahme eben. Selbst als zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 schon die internationalen Lieferketten bröckelten, musste kaum ein Unternehmen an Kurzarbeit denken. Nur zehn hatten in diesen Monaten welche angemeldet. Etwa 500 Mitarbeiter waren betroffen.
Das und noch viel mehr zeigen Zahlen der Agentur für Arbeit, die diese Redaktion ausgewertet hat. Die Kurzarbeit ist nicht nur eine Folge einer Krise, sondern die Statistiken verraten auch, welche Branche wann und wie stark betroffen war – und immer noch sind.
Warum Kurzarbeit bei vielen nur langsam anlief
"Hätte mir noch im Februar irgendwer erzählt, ich müsste dieses Jahr Kurzarbeit anmelden, dem hätte ich den Vogel gezeigt." Vergangenen November traf Verena Müller-Drilling mit diesem Satz im Gremialausschuss der IHK wohl die Stimmung in vielen Unternehmen auf den Kopf. Sie seien nicht auf die Kurzarbeit vorbereitet gewesen, erinnert sich die Geschäftsführerin des Frammersbacher Unternehmens Müller Feinblechbautechnik ein halbes Jahr später. "Wir sind ein Familienbetrieb, wir wollen deshalb unseren Mitarbeitern auch Flexibilität geben", so Müller-Drilling. Diese Flexibilität wurde bei der Beantragung von Kurzarbeit zum Problem. Manche Angestellten hatten kaum Überstunden, andere hunderte. Und die mussten erst einmal abgebaut werden, bevor Kurzarbeit möglich war.
Diese "Anlaufzeit" hatten neben Müller Feinblechbautechnik viele andere Unternehmen. Als im März ganz Deutschland praktisch zu Hause saß und Brotbacken lernte, gingen von den Unternehmen in Main-Spessart 160 Anzeigen auf Kurzarbeit ein. Im April sprang die Zahl dann schon auf 990. Den höchsten Stand an Angestellten in Kurzarbeit gab es dann im Mai mit 10 240. Das war zu diesem Zeitpunkt mehr als jeder fünfte Angestellte und jede zwölfte in Main-Spessart lebende Person.
Eine herausfordernde Zeit
"Es war herausfordernd", sagt Müller-Drilling. Aber beschweren, über zu viel Bürokratie zum Beispiel, wolle sie sich nicht. Geld gebe es halt nicht umsonst. Am Ende habe sich die Kurzarbeit während der ersten Pandemiewelle für Müller Feinblechbautechnik finanziell gar nicht gelohnt. "Aber wir wussten ja nicht, wie lange diese Ausnahmesituation dauern wird." Müller-Drilling sieht es positiv. Sie hatte die Chance, mal wieder den Status des Unternehmens auf den Kopf zu stellen.
Wie eine Zäsur wirkt der August. Da fiel die Zahl der Menschen in Kurzarbeit schlagartig um mehr als 2000. Während sich in den folgenden Herbstmonaten diese Zahl auf einem Niveau zwischen 6000 und 6500 einpendelte (mit weihnachtsgeschäftsbedingtem Ausschlag nach unten im Dezember) sank die Zahl der Unternehmen in Kurzarbeit weiter.
Bedeutet: Die Unternehmen, die noch in Kurzarbeit waren, waren größere. Um die Jahreswende drehte sich das dann. In den Zahlen äußert sich das folgendermaßen: Während die Kurzarbeitsquote wieder stieg, stagnierte der Durchschnitt der Kurzarbeitenden pro Betrieb und sank dann immer weiter. Grund war, dass der kleine stationäre Handel, Geschäfte mit in der Regel wenigen Mitarbeitern, zum Beispiel schließen musste, während die Industrie sich erholte.
Insgesamt war die Mehrzahl der Kurzarbeitenden im Landkreis in den Bereichen Maschinenbau, Druckgewerbe sowie in der Gastronomie und in der Beherbergung beschäftigt, teilt die Agentur für Arbeit mit. Auch beim tatsächlichen Arbeitsausfall, also das sogenannte Beschäftigungsäquivalent, waren diese Branchen am meisten getroffen.
Warum Firmen immer noch in Kurzarbeit sind
Zurück ins jetzt. Inzwischen ist die Impfkampagne angelaufen, auch Gastronomie und Händler haben wieder auf. Trotzdem haben immer noch 50 Unternehmen – das sind fünfmal so viel wie vor der Pandemie – Kurzarbeit angezeigt (Stand: Mai 2021). Auch die Anzahl der eingegangenen Anträge ist noch deutlich höher als vor Corona, heißt es aus der Agentur für Arbeit.
Wieso ist immer noch so viel Kurzarbeit angezeigt?
"Vorbei ist die Krise noch lange nicht", sagt Müller-Drilling. "Wir müssen immer noch mit Überraschungen rechnen und uns rüsten. Da ist Kurzarbeit ein wunderbares Instrument." Damit meint die Firmenchefin nicht nur eine mögliche vierte Pandemiewelle, sondern auch ein ganz neues Problem: die Rohstoffknappheit.
"Egal mit wem man spricht, ob die mit Steinen, Holz, Plastik oder Metallen arbeiten. Alle spüren die Rohstoffknappheit", so Müller-Drilling. Viele, mit denen sie darüber gesprochen habe, würden damit rechnen, bald nicht mehr wie gewollt produzieren könnten. Auch dieser Redaktion berichteten schon einige Unternehmen, dass sie Teile sogar schon selbst herstellen würden, weil die Lieferungen ausblieben.
Müller-Drilling hofft, dass sie nicht mehr in Kurzarbeit gehen müsse. Es sei trotzdem Vorsicht geboten, sagt sie.
Danke im voraus.