zurück
Arnstein
Main-Spessart: Was passiert mit Bierresten im Lockdown?
Wer nicht feiert, trinkt auch nicht. Doch was machen Brauereien und Gastwirtsleute mit dem Bier, das nicht konsumiert wird? Und trinken die Leute stattdessen mehr daheim?
Hier fließt kein Bier: Rainer Kenner in der leeren Liesl, hinter der stillgelegten Zapfanlage
Foto: Jennifer Weidle | Hier fließt kein Bier: Rainer Kenner in der leeren Liesl, hinter der stillgelegten Zapfanlage
Jennifer Weidle
Jennifer Weidle
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:16 Uhr

"Biertrinken ist etwas Geselliges," sagen Martina und Wendelin aus der Nähe von Gemünden. Ihnen fehlt das Biertrinken, das für sie vor allem eins bedeutet: Austausch von Neuigkeiten im Dorf. Beide arbeiten unter der Woche auswärts; das Wochenende im Freundeskreis ist für sie daher enorm wichtig. "Uns fehlt das Persönliche; man weiß überhaupt nicht mehr wie es den Menschen geht." Sie trinken jetzt immer noch ein oder zwei Bier daheim, aber lange nicht mehr so viel wie früher.

Bier ohne Geselligkeit verkauft sich nicht gut. "Wir haben einen ganz extremen Umsatzeinbruch bei unserem Fassbier," sagt Maria Martin. Sie führt die Martinsbräu in Marktheidenfeld seit 1988. Die Brauerei hatte sich auf Belieferung von Gastronomie und Veranstaltungen spezialisiert, der Lockdown treffe sie entsprechend hart.

Fassbier ist lange haltbar

Im Dezember 2020 hatte Martinsbräu 90 Prozent weniger Fassbier gegenüber dem Vorjahr verkauft. Wenn sie die Flaschen einrechne, so Martin, seien es 40 Prozent Rückgang insgesamt. Im Frühjahr 2020 hätte es etwas besser ausgesehen als jetzt. "Da durften sich die Leute noch treffen und man konnte im Freien sitzen."

Es hätte sogar einen Anstieg beim Absatz von Flaschenbier und den Partyfässern gegeben. "Jetzt ist auch diese Absatzschiene in die Knie gegangen." Maria Martin sagt, die Unterstützung durch den Staat für regionale Familienbrauereien sei bei Weitem nicht ausreichend.

Der Lockdown ist schuld, dass wohl einige Fässer nicht mehr vor ihrem Ablaufdatum geleert werden.
Foto: Jennifer Weidle | Der Lockdown ist schuld, dass wohl einige Fässer nicht mehr vor ihrem Ablaufdatum geleert werden.

Fassbier hat zum Glück eine lange Haltbarkeit – das ist auch gut für die Gastronomiebetriebe; dennoch kommt es vor, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten wird. Rainer Kenner ist Gastwirt der Liesl in Karlstadt, bei ihm liegen noch einige Fässer: Ablaufdatum 02/2021. "Die Brauerei nimmt mir die Fässer und auch volle Kästen, die über dem MHD sind, zurück", so Kenner, er bekomme sie durch frische ersetzt. Alles andere könne er zumindest steuerlich abschreiben.

Bier ist – wie die meisten Lebensmittel – auch nach Verstreichen des Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) noch lange Zeit genießbar; oft mehrere Monate. Der Hopfen im Bier hemmt das Bakterienwachstum; auch ist Bier, das im Handel angeboten wird, hoch erhitzt (pasteurisiert), sodass Keime sich schlecht vermehren können. Biere mit hohem Alkoholgehalt enthalten auch mehr Hopfen und sind länger genießbar. Steht das Bier kühl, verlängert sich die Haltbarkeit. Wenn Bier sauer oder unangenehm riecht, sollte man es wegschütten.

Hoffnung auf Sommer mit Biergarten und Live-Musik

Seine Kneipe hat Kenner weitestgehend stillgelegt: Bierleitungen desinfiziert, den großen Kühlraum abgeschaltet, die Heizung auf 14 Grad herunter gefahren. Dennoch habe er zu tun. "Ich bereite meinen Sommer vor." In seinem Biergarten will er dann verstärkt Live-Musik anbieten. "Ich will die Menschen unterstützen, die von ihrer Musik leben."

Dr. Susan Schubert, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Arnsteiner Brauerei, hat aktuell wenig Bier im Lager. "Als wir absehen konnten, dass ein weiterer Lockdown kommt, haben wir weniger gebraut." Als kleine Brauerei könne sie flexibler reagieren, als die großen. Dennoch hätten sie Bier wegschütten müssen.

Bier, das bei ihren Gastronominnen und Gatronomen abläuft, hätten sie aus Kulanz zurückgenommen: "Der erste Lockdown war zum Glück nach Fasching; da waren die meisten Kneipen leer getrunken." Aktuell liege der Einbruch bei den Fässern bei 100 Prozent – keiner der normalerweise 120 Gastronomiebetriebe kauft jetzt bei ihnen ein. "Die Verkaufszahlen vom Flaschenbier sind unverändert, was dazu beiträgt, dass wir die Krise meistern," sagt Schubert. "Es bleibt den Leuten ja nichts anderes übrig, als daheim zu trinken."

"Ich habe heuer 25 Kästen Bier weg geschüttet," sagt hingegen Roswita Schmitt, die einen kleinen Getränkemarkt hat. Der Konsum von Flaschenbier ist gestiegen, weil Leute nun daheim trinken? – "Savon merke ich nichts!", sagt Schmitt. Eher das Gegenteil sei der Fall. "Uns fehlen die Vereinsfeste, die Feiern, die Geburtstage," sagt Schmitt. Ein Kneipenbesitzer, der bei ihr normalerweise seinen Bedarf deckt, sagt: "Das schreibe ich als Verlust ab und dann," er zuckt mit den Schultern, "trinke ich es selbst."

Zeit für Experimente

In Arnstein und Marktheidenfeld lässt man trotz allem den Kopf nicht hängen. "Wir halten alle fest zusammen," sagt Schubert aus Arnstein. Sie nutzen die Zeit, um neue Ideen umzusetzen. Sie wollen heuer ein Bio-Bier auf den Markt bringen. Auch entwickle ihr junger, sehr engagierter Brauer, Sondersorten. "Für den Markt produzieren wir aber erst dann, wenn wir absehen können, dass es wieder losgeht."

Maria Martin und ihr Team schaffen sich mit der Übernahme eines Marktheidenfelder Biergartens heuer ein neues Standbein. Beide Brauereien wollen auch in diesem Jahr junge Leute unterstützen und Auszubildende einstellen.

Martins ältester Sohn ist bereits als Braumeister und Getränketechnologe eingestiegen, der mittlere Sohn mache gerade eine Lehre zum Brauer und Mälzer. "Betriebe wie unserer, die glücklicherweise von nachfolgender Jugend übernommen werden, geraten jetzt in eine extreme Schieflage," sagt sie.

Anstoßen mit dem Freundeskreis fehlt

Martina und Wendelin aus Gemünden hatten während des langen Winters ohne soziale Kontakte sogar über virtuelles Biertrinken nachgedacht, dann aber entschieden "das ist nichts für uns." Auch seien viele  Freunde technisch nicht soweit, dass dies umsetzbar sei. "Ich habe 30 Jahre lang jeden Sonntag Frühschoppen gemacht," sagt Wendelin.

Ihren Frühschoppen machen sie nun selbst. Packen sonntags früh den Wanderrucksack und trinken ihr Bier unterwegs in der Natur. Sie hoffen, dass sie bald wieder in Geselligkeit trinken können. "Wir wissen jetzt schon: Wir werden in jedem Biergarten hängen bleiben." Für ihr eigenes Wohlbefinden und um alle zu unterstützen, "die wir stützen können."

Offener Brief von 300 Brauereien

In einem Offenen Brief, den der Verband Private Brauereien am Montag veröffentlichte, machen 300 deutsche Brauereien auf ihre wirtschaftliche Situation aufmerksam. Der Verband kritisiert, dass die Gastronomie, die seit November im Lockdown ist, staatliche Hilfen zugesichert bekommen hat – die Brauereien, die indirekt auch von den Schließungen betroffen sind, aber bisher leer ausgehen. Sie fordern daher unter anderem die Ausweitung der Fixkostenerstattung auf verderbliche Ware. 
Quelle: ins
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Arnstein
Gemünden
Karlstadt
Marktheidenfeld
Jennifer Weidle
Biergärten
Biertrinken
Brauereien
Feier
Freunde
Gastronominnen und Gastronomen
Gastwirte
Geburtstage
Kästen
Wirtschaft in Main-Spessart
Maria Martin
Martinsbräu
Staatliche Unterstützung und Förderung
Susan Schubert
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • h.j.pawlicki@web.de
    Ja, das sind Probleme. In einer Brauerei, auch wenn weniger produziert wird, bleiben die Fixkosten ähnlich. In Handwerksbetrieben, hier wird das Bier üblicherweise nicht pasteurisiert, das leisten sich nur die Fernsehbiere, reift das Bier 10 Wochen bei konstanten Temperaturen im Keller.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • jutta.noether@web.de
    Das sind Probleme...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Davera18021612
    Natürlich sind das Probleme. Wenn die Einnahmequellen wegbrechen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • kaih@bonn-online.com
    Bier kann man destillieren, drei Jahre lang in Holzfässern lagern und dann als stylischen Regional-Whisky verkaufen....
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten