
Erwin Ammann (CSU) hatte einen schweren Start. Als er im Jahr 1972 zum ersten Landrat des neu gebildeten Landkreises Mittelmain (später Main-Spessart) gewählt worden war, schlug ihm viel Widerstand entgegen, schließlich hatte er als Kreis-Chef des Altlandkreises Karlstadt die Stadt Karlstadt gegen das industrielle Zentrum Lohr als "Hauptstadt" für Main-Spessart durchgeboxt. In einem Sonderzug waren mehrere Tausend Bürgerinnen und Bürger nach München gefahren, um gegen die Entscheidung zu protestieren. Altgediente CSU-Mitglieder kündigten die Parteimitgliedschaft und gründeten die Main-Spessart-Union, die immerhin bis 2005 existierte.
Von Seiten der Lohrer CSU wurden Erwin Ammann "Rosstäuschertricks" vorgeworfen. Es gab Protestversammlungen, bei denen er mit minutenlangen "Ammann-raus-Rufen" brüskiert worden war. Bekannt ist auch, dass sich auf einer Versammlung der Lohrer Gesangverein geweigert hat, ein Ständchen zu singen, so lange der Kreis-Chef im Saal ist. Heute ist das eine historische Anekdote, damals kochte die Volksseele.

Ammann hat den Protesten standgehalten. Zeitgenossen beschreiben ihn durch und durch als Patriarchen. "Da er selbst noch jung war, habe er ihn als Autorität akzeptiert", äußert sich dessen Nachfolger Armin Grein in einem Interview. Man habe Ammann angemerkt, dass er in der Weimarer Zeit aufgewachsen ist und den Krieg erlebt habe, sagte er. Amman sei kein Teamplayer gewesen. Das hat nicht in die Zeit gepasst. In Zeitungsberichten wird er auch als ein "Meister im Abkanzeln" beschrieben.
Der in der Nazi-Zeit politisch unbelastete Ammann war nach dem Zweiten Weltkrieg Mitbegründer der CSU in Unterfranken. 1953 wurde er Landrat des Landkreises Karlstadt und setzte sich in seiner Funktion als Gründungslandrat für den Kreissitz in Karlstadt ein. Als er dann Landrat des zunächst Mittelmain genannten Landkreises wurde, war Ammann bereits 56 Jahre alt. Seine Dienstzeit endete aus Altersgründen April 1984.
Ammann gilt daher als der Mann, der den Landkreis Main-Spessart geschmiedet hat. Zwar fiel die Entscheidung über den Kreissitz Karlstadt statt Lohr woanders als im Ammannschen Amt in Karlstadt, aber er war der Landkreisfürst, der Regent zwischen Zellingen, Aura, Frammersbach und Kreuzwertheim. Weggefährten lobten seine Präsenz, seinen Charme, seinen Humor, seine demokratische Gesinnung und seine Hartnäckigkeit, die ihn erfolgreich machten und so lange politisch "überleben" ließen.
Auf Ammann folgte Grein
Nachfolger von Amman wurde der gelernte Lehrer Armin Grein, der bereits 1972 im Alter von 33 Jahren zum Bürgermeister von Marktheidenfeld gewählt worden war. Grein setzte sich bei der Wahl zum Stadtoberhaupt gegen den favorisierten Raymond Schmitt von der CSU durch. Grein war wohl Schmitts Schicksal, denn 1984 trafen die beiden wieder aufeinander und bewarben sich um den durch den Abschied von Ammann frei werdenden Posten als Landrat von Main-Spessart. Wieder gewann Grein als Kandidat der Freien Wähler und blieb Landrat 24 Jahre lang.

Mit Grein wurde ein Kandidat der Freien Wähler Bürgermeister und Landrat. Er trat an, um zu zeigen, dass eine erfolgreiche Kommunalpolitik möglich ist, ohne Mitglied einer Partei zu sein. Denn es gebe "keine rote Wasserversorgung, keine schwarze Abfallbeseitigung und keinen grünen Naturschutz", hörte man Grein öfters sagen. Die Probleme müssten vor Ort frei von Parteirichtlinien gelöst werden.
Mit den Jahren wurde Grein zum Gesicht der Freien Wähler in ganz Deutschland. Er ist einer ihrer Mitbegründer und war von 1978 bis 2006 Landesvorsitzender in Bayern. Greins Nachfolger in diesem Amt ist der derzeit stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger, der extra zu Greins 80. Geburtstag im Jahr 2019 nach Markheidenfeld gekommen ist, um dessen Verdienste zu würdigen. "Ohne Dich wäre ich nie Minister geworden und ohne Dich wären die Freien niemals so weit nach vorne gekommen", sagte Aiwanger zu diesem Anlass.
Grein hatte allerdings zunächst nicht zu den Befürwortern einer Beteiligung der Freien Wähler an der Bayerischen Landtagswahl gehört. Er befürchtete, dass die Freien Wähler dann zunehmend als Partei wahrgenommen und Mitglieder verlieren werden. Bei der entscheidenden Abstimmung hatte er auf einer Landesversammlung gegen eine Beteiligung gestimmt, allerdings dann den Willen der Mehrheit akzeptiert. Heute habe er seinen Frieden damit gemacht, sagt er.
Regionaldenken immer noch spürbar
Angetreten als Landrat im Jahr 1984 ist Grein, um die Wunden der Gebietsreform zwischen Main und Spessart zu heilen. Ganz gelungen sei das nicht, räumt er rückblickend ein. Das "Regionaldenken" im Kreis sei zwar weniger geworden, aber immer noch spürbar. Die Menschen hier würden sich beispielsweise immer noch als "Lohrer", "Marktheidenfelder", "Karlstadter" oder "Gemündener" fühlen, meint er. Niemand nenne sich "Main-Spessarter". Hoffnung macht Grein, dass der Begriff Altlandkreis zunehmend aus dem Verständnis verschwunden ist. Jüngeren Menschen müsste man erklären, was das ist. "Die kennen nur noch den Main-Spessart-Kreis", sagt er.

Grein war zudem 15 Jahre lang Mitglied des Bezirks Unterfranken, davon eine Wahlperiode als weiterer Vertreter des Bezirkstagspräsidenten. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Mit der Verleihung des Titels "Altlandrat" wurde sein Wirken auch nach der aktiven Zeit vom Landkreis gewürdigt. Vier Jahrzehnte war er Vorsitzender der Lebenshilfe Marktheidenfeld.
2008 trat Armin Grein aus Altersgründen nicht mehr als Landrat an, sein Nachfolger wurde Thomas Schiebel. Jede Zeit hat ihre eigenen Typen, wobei sich an deren Charakter auch ein gewisser Wandel im Zeitgeist erkennen lässt. Erwin Ammann galt als Patriarch vom alten Schlag, Armin Grein dagegen als Kommunikator und Charmeur, der auch etwas Väterliches hatte und den Spitznamen "Charming Armin" trug. Mit Thomas Schiebel kam ein Mann auf den Posten des Landrats, der sich selbst als "rationalen Menschen" bezeichnet und seine Herkunft aus der Verwaltung nicht leugnete. Den Ruf habe er bewusst gepflegt, sagt Schiebel heute und hält dies auch für seine Stärke. Vom Charakter sei er "ausgeglichen" und "unaufgeregt".
Diese Gelassenheit war hilfreich, um eine der größten Herausforderungen zu bewältigen, die es im Landkreis gab. In den Jahren 2015 und 2016 drängten rund zwei Millionen Menschen - die meisten aus Syrien, Afghanistan und Somalia - in die Europäische Union, davon ein Großteil nach Deutschland. Über 1400 Asylbewerber mussten im Landkreis Main-Spessart untergebracht werden. Wöchentlich wurden dem Landkreis Flüchtlinge zugewiesen, die aus den Notunterkünften heraus in so genannten dezentralen Unterkünften untergebracht werden mussten.
Flüchtlingskrise gut gemeistert
Rückblickend meint Schiebel, "wir haben das gut hingekriegt", wobei dies auch den vielen helfenden Händen in der Bevölkerung zu verdanken sei. Es habe die Befürchtungen gegeben, dass mit der Zeit und mit der Dauer der Krise die Hilfsbereitschaft nachlässt und Ressentiments gegen die Flüchtlinge größer werden. Dies ist aber aus seiner Sicht nicht eingetreten.
In Schiebels Amtszeit fiel auch die Entscheidung für den Bau des Zentralklinikums in Lohr, von deren Richtigkeit Schiebel nach wie vor überzeugt ist. Mit großer Mehrheit wurde dies im Kreistag beschlossen. Der Versuch, die Krankenhäuser in Karlstadt und Marktheidenfeld zu erhalten, sei nicht lange gut gegangen. In Karlstadt sei mit dem Ärztehaus schon eine gute Nachfolgeregelung gefunden worden, meint Schiebel. Für Marktheidenfeld müsse man noch nach der richtigen Lösung suchen. Schiebel hofft, dass der Kreistag die Weichen dafür stellt.
Die große Herausforderung, die Bewältigung der Corona-Pandemie, erlebte Schiebel als Landrat nur noch in den Anfängen. Mit dieser hatte dann seine Nachfolgerin Sabine Sitter zu kämpfen.

Die politische Karriere von Schiebel hatte in Gemünden begonnen. Dort war er seit Februar 2001 Bürgermeister und wurde 2007 wiedergewählt, bevor er ein Jahr später zum Landrat gewählt wurde. Er hatte sich in der Stichwahl deutlich gegen Klaus Bittermann (CSU) durchgesetzt.
Von Politikern sagt man gerne, sie kleben an der Macht, seien eitel, können nicht loslassen, da die Politik und die damit verbundene öffentliche Beachtung wie eine Droge ist. Thomas Schiebel nimmt man ab, dass dies für ihn kein Problem ist. "Weiter mitmischen, nein", sagt er nach seinem Abschied auf die Frage, ob es ihn reizen würde, die eine oder andere Sache weiter mitzuentscheiden. Das müssten jetzt andere machen.
Politisch aktiv ist Schiebel noch als Bezirksrat in Unterfranken. "Ich freue mich über meinen Ruhestand mit Gartenarbeit in Langenprozelten", sagt er. Zudem pflege er seine Hobbys wie das Fahrradfahren. In diesem Jahr sei eine Tour von Passau nach Triest geplant, auf die er sich jetzt schon vorbereitet.
Wahl der Landräte seit 1972
In einer früheren Version sollte ein Bild Landrat Erwin Ammann beim Dirigieren auf der Laurenzi-Messe zeigen. Auf dem Bild war allerdings nicht Erwin Ammann zu sehen sondern der Staatssekretär im Bayerischen Umweltministerium Alfred Dick. Der Fehler ist korrigiert und wir bitten um Entschuldigung.
Literaturtipp: Armin Grein hat ein Buch über die Geschichte der Freien Wähler und sein politisches Leben verfasst. "Die Freien Wähler (FW) - Eine Erfolgsgeschichte der Demokratie" erschienen im Erich von Werner Verlag, 2023.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/
Sieht mehr wie Rudi Assauer aus.