Verärgert über die Landkreisreform vor 40 Jahren gründeten ehemalige Lohrer CSU-Mitglieder im Juni 1973 die Main-Spessart-Union (MSU). Zeitzeuge Karl Anderlohr, langjähriger Redakteur der Main-Post und der Lohrer Zeitung und Kenner vieler Internas, blickt auf die Geschichte dieser Partei zurück:
Am 22. Juni 1973 konstituierte sich in der Lohrer Stadthalle die Main-Spessart-Union (MSU). Im Einladungsschreiben, unterschrieben von Bürgermeister Gerd Graf, dem Zweiten Bürgermeister Albin Brehm und den Stadt- und Kreisräten Richard Stamm, Alfons Ruf, Vinzenz Stenger, Konrad Roth, Otto Herkt, Walter Senger, Edmund Merz, Richard Freund, Alois Werthmann, Heribert Endres und Isidor Fröhlich (alle ehemals CSU), hieß es: „Wir wollen die Kräfte der ehemaligen CSU im Altkreis Lohr und die Sympathisanten aus dem übrigen Gebiet des neuen Landkreises zusammenfassen, um im Sinne des Unionsgedankens weiterzuarbeiten. Wir versuchen einen Weg zu finden, der in politisch schwieriger Lage einer Überzeugung entspricht und uns die Weiterarbeit zum Wohle unserer engeren Heimat ermöglicht.“
Grund für den Entschluss der Kommunalpolitiker, sich von der CSU zu trennen, war nicht allein die Verärgerung darüber, dass es zur Kreissitz-Entscheidung zugunsten Karlstadts gekommen war, sondern vor allem die vergiftete Atmosphäre und das zerstörte gegenseitige Vertrauen innerhalb der Partei.
Im Verlauf der Gebietsreform und danach hatte sich nach Ansicht der MSUler gezeigt, dass die persönlichen Interessen der Landräte Erwin Ammann (Karlstadt) und Fritz Wilhelm (Würzburg) mehr Gewicht hatten als der Rat von Fachleuten. Nach den ursprünglichen Plänen wäre ein Teil des Landkreises Karlstadt zum Landkreis Würzburg gekommen und Ammann und Wilhelm somit Konkurrenten bei der nächsten Landratswahl geworden. Das aber wollten die beiden und ihre Parteifreunde in München verhindern. Deshalb wurde der neue Landkreis, der ursprünglich „Mittelmain“ hieß, so zugeschnitten, wie er heute existiert – mit geringfügigen nachträglichen Änderungen.
In dem neuen Konzept war Lohr als vorläufiger Kreissitz festgelegt. In Lohr merkte man jedoch rasch, dass Ammann, inzwischen zum Landrat gewählt, massiv auf allen Ebenen versuchte, Karlstadt zum Kreissitz zu machen. Erstaunlich viele CSU-Kreisräte und sogar Bürgermeister aus den alten Landkreisen Gemünden und Marktheidenfeld, die zuvor versichert hatten, sie stünden in der Kreissitzfrage auf Seite der Lohrer, änderten nach „vertraulichen Gesprächen“ mit Ammann plötzlich ihre Meinung.
Heinz Rosenbauer aus Gemünden, Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Lohr-Gemünden-Alzenau (CSU), versicherte seinen Lohrer Parteifreunden immer wieder, er führe in der Kreissitzfrage ständig Gespräche im zuständigen Innenministerium. Dort stehe für Lohr alles zum Besten. Viel zu spät stellte sich heraus, dass Rosenbauer die Lohrer CSU getäuscht und in München gar nichts unternommen hatte – im Gegensatz zum Karlstadter Landtagabgeordneten Walter Zeißner, der dort eifrig Klinken putzte. Rosenbauer gab zu, dass er sich seine Chancen auf einen Kabinettsposten nicht habe verderben wollen.
Große Teile der Bevölkerung im Raum Lohr verloren das Vertrauen in die örtlichen CSU-Politiker, vor allem in Landrat Ammann. Eine Fortführung der kommunalen Arbeit innerhalb der Partei schien unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Das bestätigte sich bald, als Landrat Ammann einen Vertrag über den Zweckverband Schul- und Sportzentrum zu annullieren versuchte, weil darin festgelegt war, dass der Zweckverbands-Vorsitz jährlich zwischen dem Landrat und dem Lohrer Bürgermeister wechseln sollte.
Zum ersten Vorsitzenden der neu gegründeten „Christlichen Wählergemeinschaft Main-Spessart Union“ (so lautete der vollständige Name) wurde Stadtrat Alfons Ruf gewählt. Ziel war es, so Ruf, „weiteres Unglück abzuwenden“ und zu verhindern, dass enttäuschte CSU-Wähler ihre Stimmen bei der Kommunalwahl dahin geben, „wo wir sie nicht haben wollen“.
Von 1973 bis 1990 stellte die MSU mit Gerd Graf den Lohrer Bürgermeister und wurde die bestimmende Kraft im Lohrer Stadtrat. Ihre Mandatsträger setzten nahtlos die Politik fort, die sie vorher in der CSU betrieben hatten. Dazu kam die Eingliederung der neu zur Stadt gekommenen Stadtteile.
Dass diese Zeit zu den erfolgreichsten Epochen der jüngeren Stadtgeschichte in Lohr gehört, war wohl auch eine Folge des „Kreissitz-Schocks“, der zu vermehrten Anstrengungen der Bürger auf vielen Gebieten führte, weil man es „denen in Karlstadt und in München“ zeigen wollte. Bis 1984 war die MSU auch im Kreistag vertreten und stellte mit Alfons Ruf zeitweilig sogar einen der Landrat-Stellvertreter. Auch eine Reihe von Bürgermeistern im Umland gehörten ihr an.
Sowohl Alfons Ruf als auch Gerd Graf hatten bereits in der Gründungsversammlung deutlich gemacht, dass die MSU „kein Ewigkeitsverein“ sein könne. Dass es aber erst 17 Jahre später zu einer allmählichen Wiederannäherung an die CSU kam, lag auch daran, dass maßgebliche Leute der CSU in der Stadt Lohr und im Landkreis alles Mögliche taten, um eine „Wiedervereinigung“ mit einstigen Verrätern und heutigen Konkurrenten zu verhindern.
Erst 1990 verzichtete die MSU auf die Aufstellung einer eigenen Stadtratsliste, blieb aber noch bestehen. Am 22. Juli 2005 löste sich die „Christliche Wählergemeinschaft Main-Spessart Union“ auf. Mit dem Kassenbestand wurde eine Sandstein-Statue des Heiligen Martin, des ältesten Patrons der Lohrer Stadtpfarrkirche, gestiftet. Sie steht heute über dem Eingang zur Kapuzinerkirche.
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