
Als am 25. Januar 1952 eine neue Gemeindeverordnung für Bayern in Kraft trat, wurden darin auch die Weichen für eine künftige Gemeindereform gelegt. Veränderungen sollten in der Regel nur dann vorgenommen werden, wenn die beteiligten Gemeinden mit den Änderungen einverstanden waren. Dass nicht überall alles rund laufen würde, war klar und so kam in solchen Fällen der "Allgemeinwohl-Passus" zum Tragen. Demzufolge konnten Änderungen auch gegen den Willen der betroffenen Gemeinden "erzwungen" werden. Das sollte in den Altlandkreisen Gemünden, Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld noch für Aufruhr und Ärger sorgen.
Zwölf Jahre später befasste sich der bayerische Landtag mit der Reform der Kommunalverwaltungen. Die SPD forderte die Auflösung der Regierungsbezirke und Landkreise, an deren Stelle Verwaltungsregionen treten sollten, während die CSU bei der bisherigen Struktur mit Bezirk-Landkreis-Gemeinden bleiben wollte. Sie wollte die Anzahl der Landkreise verringern und gleichzeitig die Einwohnerzahlen in den einzelnen Kreisen erhöhen. In seiner Regierungserklärung am 25. Januar 1967 kündigte Ministerpräsident Alfons Goppel die Gebietsreform an und bezeichnete sie als wichtigste innenpolitische Aufgabe der laufenden Legislaturperiode.
Am 14. Januar 1971 stellte der Staatsinnenminister Bruno Merk seine Studie zur Situation der Verwaltungsstrukturen in Bayern vor. Sie kam zu dem Schluss, dass es notwendig sei, neue und wirtschaftlich stärkere Einheiten zu schaffen, um ein Leistungsgefälle zwischen Stadt und Land zu vermeiden. Zukunftsaufgaben wie Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen für Wasser- und Abwasserversorgung, Müllbeseitigung und Verkehrsstrukturen seien für kleine Kreise oder Gemeinden allein nicht zu schaffen.
Landkreis Karlstadt sollte Nachbarlandkreisen zugeteilt werden
Die neuen Strukturen sahen Kreise mit einer Bevölkerungszahl ab 80.000 Einwohner vor. Der Landkreis Karlstadt hatte zum damaligen Zeitpunkt rund 41.000 Einwohner und musste demnach mit seiner Auflösung rechnen. Als im Februar 1971 bekannt wurde, dass der Landkreis Karlstadt aufgelöst und den Nachbarlandkreisen zugeteilt werden sollte, erklärte der Karlstadter Kreisrat diese Vorstellung der Regierung von Unterfranken für wahnwitzig und bedachte diese Idee mit der Note "Heimatkunde – Schlecht!".
Die Umstrukturierungspläne der Regierung von Unterfranken sahen für die vier Landkreise Gemünden, Karlstadt, Lohr und Marktheidenfeld eine Vierteilung des Landkreises Karlstadt vor: Wiesenfeld sollte nach Lohr kommen, der Bereich Rieden-Hausen-Erbshausen-Opferbaum zum Landkreis Würzburg. Der übrige Teil (ausgenommen die Gemeinden Hundsbach und Obersfeld) sollte dem Landkreis Schweinfurt zugeteilt werden. Die Karlstadter waren geschockt.
Am 9. Februar 1971 schrieb die CSU-Ortsgruppe einen Brandbrief an den Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Innenminister Bruno Merk mit dem Grundtenor: "So was geht gar nicht" und "Nicht mit uns!". Kurz darauf, am 18. Februar, folgte eine Resolution des Stadtrats an Staatsminister Max Streibl, die Fraktionsvorsitzenden aller Fraktionen des bayerischen Landtages und die Abgeordneten der CSU-Landtagsfraktion. Darin hieß es: "Die Eigenständigkeit des Landkreises Karlstadt, der mit rund 41.000 Einwohnern zu den größten und finanzstärksten Landkreisen in Unterfranken gehört, entspricht nicht der verlangten Größenordnung und ist damit infrage gestellt. Gegen die bisherigen Pläne erheben wir als die gewählten Vertreter der Kreisstadt Karlstadt schärfsten Protest und fordern nach wie vor einen Landkreis Karlstadt mit dem Sitz der Landkreisverwaltung in der Kreisstadt Karlstadt."
Kampf um den Landkreis Karlstadt
Umgehend schaltetet der Stadtrat in den Krisenmodus und man war der einhelligen Meinung: "Es geht hier um die Kreisstadt Karlstadt!" Zwei Tage lang fuhren Lautsprecherwagen durch die Stadt und machten die Bevölkerung auf die Bürgerversammlung am 26. Februar 1971 aufmerksam. Zweiter Bürgermeister Werner Hofmann sah durch den Verlust weiterer Behörden die Degradierung Karlstadts zu einer Landgemeinde. Eine abschließende Resolution mit acht Eckpunkten wurde mit einer Gegenstimme noch an diesem Abend formuliert und umgehend der Regierung von Unterfranken zugeleitet.

Karlstadt oder Lohr – wer erhält den Kreissitz?
Als im Mai 1971 bekannt wurde, dass sich die Bayerische Staatsregierung vorläufig für Lohr als Kreissitz des neuen Landkreises entschieden hatte, formierte sich in Karlstadt unter Führung von Werner Hofmann der erste Widerstand. Er kündigte Schritte an, die dem seltsamen "Reformgebaren", das vor allem der Karlstadter Bevölkerung schade, drastisch entgegenzuwirken. In München schien man den aufkommenden Gegenwind geahnt zu haben.
Einen Tag vor den Äußerungen Hofmanns war in der Bayerischen Staatszeitung Nr. 20 vom 21. Mai 1971 unter der Überschrift "Entscheidender Schritt zur Gebietsreform" der Vorschlag der Staatsregierung für die Neuordnung der Landkreise veröffentlicht worden. Darin stand, dass der Landkreis Karlstadt mit nahezu seinem ganzen Gebiet mit Gemünden, Lohr und Marktheidenfeld als neuer Kernlandkreis vorgesehen ist. Dieser Landkreis, der die Bezeichnung "Mittelmainkreis" tragen könnte, wäre der finanziell zweitstärkste Landkreis in Unterfranken. Gleichzeitig äußerte Innenminister Dr. Bruno Merck in einem Schreiben die Möglichkeit, Karlstadt zum Sitz der neuen Kreisverwaltung zu machen.
Für Karlstadt sprachen der Neubau des Landratsamtes und des Kreisbauhofes sowie die Lage am Hauptverkehrsweg des neuen Landkreises nach Würzburg. Lohr, als einwohnerstärkste Stadt, brachte seine zentrale Lage vor und dass es sinnvoll sei, das Verwaltungszentrum des neuen Landkreises vom Zentrum Würzburg abzusetzen.
Daraufhin bezog Karlstadt eindeutig Stellung. Die Stadt wäre nur dann für den geplanten Landkreis Mittelmain, wenn sie auch Kreissitz wird. Ein Verlust hätte für Karlstadt die völlige wirtschaftliche, kulturelle und personelle Auszehrung zur Folge. Am 15. September 1971 gab der Kreistag sein "Ja" zur Gebietsreform – allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass der Sitz der Kreisverwaltung Karlstadt wird.
Kampf um Kreissitz war voll entbrannt – auch Gemünden wollte
Der Kampf um den Kreissitz war damit voll entbrannt. Die Stadt Lohr suchte ihrerseits nach Argumenten und gab bei der Universität Würzburg ein Gutachten zur Frage der Zentralität von Lohr in Auftrag. Im September 1971 stimmte der Kreistag Lohr einem Landkreis Mittelmain zu. Als Kreissitz sei Lohr zu bestimmen.
Im Raum Marktheidenfeld wünschten sich etliche Gemeinden eine Zuordnung zum Landkreis Würzburg oder Aschaffenburg. Aber auch dort gewann eine andere Idee die Oberhand: Plötzlich plädierten die Marktheidenfelder Kreisräte für eine Zusammenlegung der Kreise Lohr und Marktheidenfeld mit Kreissitz in Marktheidenfeld. Der Kreistag Gemünden dagegen sprach sich für einen Zusammenschluss der Kreise Karlstadt, Gemünden und Lohr mit Kreissitz in Gemünden aus.
Trotz aller Diskussionen trat zum 1. Juli 1972 der Landkreis in seiner heutigen Form in Kraft, die Frage des Kreissitzes war aber noch ungeklärt. Am 5. Oktober 1972 kam es zur entscheidenden Abstimmung: 33 Kreisräte votierten für Karlstadt als Kreissitz, 28 für Lohr.
Das konnte Lohr so nicht hinnehmen. Bei einer CSU-Veranstaltung in der Lohrer Stadthalle kam es zu Korruptionsvorwürfen an einige Karlstadter Kreisräte. Der Wortführer des Vorwurfs, CSU-Kreisrat Alfons Ruf, gab an, dass vor der Anhörung über den Kreissitz Mittelmain "verwerfliche Dinge" passiert seien. Namen nannte er nicht.
Karlstadter Kreisräte hätten Kollegen aus dem Gemündener Raum aufgesucht und ihnen 800.000 DM aus Kreismitteln für den Bau des Hallenschwimmbades in Gemünden versprochen unter der Bedingung, dass sie in der Anhörung für den Kreissitz Karlstadt stimmen würden. "Nachdem wir eine große Mehrheit haben, könnt ihr euch ausrechnen, wie ihr zu eurem Geld für das Bad kommt. Seid ihr nicht bei uns, stimmen wir dagegen", sei von Karlstadter Seite aus gesagt worden. Sonderschulrektor Gerhard Köhler habe man sogar versprochen, eine neue Sonderschule zu bauen, wenn er für Karlstadt als Kreissitz stimme. Sehr schnell stellten sich die Vorwürfe als haltlos heraus, denn Beweise für die Behauptungen konnte niemand vorlegen.
Auch der Weg nach München führt über Karlstadt

Der emotionale Höhepunkt der Auseinandersetzungen um den künftigen Kreissitz zwischen Lohr und Karlstadt war am 27. Februar 1973 erreicht, als rund 4000 Lohrer und Einwohner der Umlandgemeinden mit einem Sonderzug nach München fuhren. Sie wollten vor der Bayerischen Staatskanzlei lautstark gegen die Kabinettsentscheidung zugunsten von Karlstadt als Kreissitz demonstrieren.

Die Karlstadter organisierten am Bahnhof eine kleine Gegendemonstration. Als der Zug aus Lohr kommend den Bahnhof passierte, sahen die Lohrer eine Reihe von Plakaten, auf denen die Karlstadter ihre Meinung zur Lohrer Aktion kundtaten: "Auch der Weg nach München führt über Karlstadt", stand dort treffend zu lesen.

Mit der Entscheidung für Karlstadt als Kreissitz beendete die Bayerische Staatsregierung am 13. Februar 1973 die mittlerweile mehr emotional als sachlich geführten Auseinandersetzungen zwischen Lohr und Karlstadt. Entscheidend für Karlstadt war das Vorhandensein eines neu gebauten Verwaltungsgebäudes, die bessere Integrationsfähigkeit für den Landkreis im Vergleich zu Lohr, die Nähe zum Oberzentrum Würzburg und vor allem die Entscheidung des Kreistages vom 5. Oktober 1972 mit 33 zu 28 Stimmen für Karlstadt als Kreissitz.
Lohr gab sich nicht geschlagen. Die Fahrt nach München sollte als letzte Möglichkeit die Staatsregierung zum Umdenken bewegen. Erfolglos. Als im Juni 1973 der Landkreis "Mittelmain" in "Main-Spessart" umbenannt wurde, stand ein aussagekräftiges Kfz-Kennzeichen zur Debatte. Karlstadt, als nunmehr stolzer Kreissitz, wollte dies auch im Nummernschild berücksichtigt wissen und bestand auf "KAR" – für die übrigen Main-Spessart-Städte inakzeptabel. Schließlich konnte man sich auf das neutrale "MSP" einigen.
Als kurz danach auf einem Parkplatz in der Rhön anhand der oftmals neuen Nummernschilder an den parkenden Autos ein "heiteres Nummerraten" begann, meinte einer der anwesenden Autofahrer mit Blick auf unser MSP-Schild altklug: "Die kommen aus Mespelbrunn!"
Serie: Zum 50-jährigen Bestehen des Landkreises Main-Spessart haben wir die Chronologie unserer Serie "Die Geschichte der Region Main-Spessart" verlassen und das Serienteil über die Entstehung des Landkreises vorgezogen.
Zum Autor: Manfred Schneider ist Mitglied im Historischen Verein Karlstadt und war dort zwei Jahrzehnte in der Vorstandschaft tätig. Als Autor der Stadtchronik „Karlstadt – Eine Stadt in Franken; 1945 bis 2000 hat er darüber hinaus eine Vielzahl von Beiträgen zur Stadtgeschichte von Karlstadt verfasst. Seit 1999 ist er Stadtarchivpfleger von Karlstadt und seinen Stadtteilen.
Quellen: Schneider, Manfred: Karlstadt – Geschichte einer Stadt in Franken Teil 2: 1945-2000; Main-Post-Ausgaben aus dem Berichtszeitraum 1971-1983; Stadtarchiv Karlstadt: Sig. KAR-NA 008 und KAR-NA 022.16.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/