
Manche Grundlagen unseres Rechts sind Schutzwall und ausgrenzende Mauer zugleich. Das gilt besonders für einen Kernsatz unseres Rechtsstaates: Jeder hat so lange als Unschuldiger zu gelten, bis seine Schuld bewiesen ist.
Der Prozess um den Tod der 19-jährigen Mezgin macht die Bedeutung dieses Prinzips einmal mehr schmerzhaft deutlich: Natürlich will man den Tod einer jungen Frau nicht ungesühnt lassen. Natürlich bietet sich der Vater als Sündenbock an: Ein konservativer Patriarch, der vor dem syrischen Bürgerkrieg in eine neue, vermeintlich friedliche Welt geflohen ist – in der er aber nach den alten Regeln leben wollte. Er hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren und wurde handgreiflich gegenüber seiner Tochter – lange vor ihrem Tod.
Die Ermittler haben alles versucht
Alles deutete auf den Vater als Mörder hin. Beweisbar war die Tat aber nicht – schon gar nicht auf Basis von Erzählungen eines Jungen, der mit seinem prügelnden Vater eine Rechnung offen hatte und heute nicht zu seinen Erzählungen steht.
Die Ermittler haben alles versucht, um Licht in den Fall zu bringen. Bei der dünnen Beweislage den Vater schuldig zu sprechen, um einen Sündenbock vorführen zu können, wäre falsch gewesen.
Vor Gericht gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.
Auch wenn es weh tut: Der Rechtsstaat muss das Risiko eingehen, lieber einen Schuldigen laufen zu lassen, als einen Unschuldigen einzusperren.