Wollte ein 46-jähriger Syrer mit Hilfe seines Sohnes seine Tochter endgültig zum Schweigen zu bringen? Diese Frage steht seit diesem Donnerstag im Zentrum des Prozesses am Landgericht Aschaffenburg: Laut der am Morgen verlesenen Anklageschrift soll Hashem N. seinen 13-jährigen Sohn gezwungen haben, ihm beim Mord an dessen Stiefschwester zu helfen. Doch an der Aussage des Buben zweifeln jetzt sogar die Ermittler.
Vier Polizisten hatten den Angeklagten zu Prozessbeginn in den Gerichtssaal geführt und ihn dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen. Damit der 46-Jährige während der Verhandlung mitschreiben konnte, wurde ihm auf der Anklagebank eine Handschelle gelöst. Ansonsten blieb er gefesselt, trotz Protest seines Verteidigers Jürgen Vorngries. "Wir haben Informationen aus der JVA, dass sich Herr N. in der öffentlichen Verhandlung etwas antun will", erklärten die Bewacher vor Gericht.
Mordplan , weil die Tochter einen Freund hatte
Zu den Vorwürfen - Mord an seiner Tochter, Mordversuch an deren Freund - äußerte sich der Syrer am ersten Prozesstag nicht. Oberstaatsanwalt Jürgen Bundschuh sieht das Motiv für die beiden Anklagepunkte darin, dass Hashem N. den westlichen Lebensstil seiner Tochter nicht hatte dulden wollen. Als er Anfang Mai 2017 erfahren habe, dass die 16-Jährige nicht mehr Jungfrau sei, soll er ihren Tod geplant haben.
Die Version zum Ablauf des Mordes beruht wesentlich auf Aussagen seines zur Tatzeit 13-jährigen Sohnes A.. Er hatte in einer Vernehmung angegeben: Mit seinem Vater sei er am 4. Mai 2017 an der Berufsschule in Aschaffenburg vorgefahren, Hashem N. habe sein Tochter aufgefordert, "dass sie mit nach Hause soll". Nach zwei Stunden Fahrt über die Autobahn soll der Vater ein Waldstück angesteuert haben.
Dort habe der Vater ihm ein Messer gegeben und ihn aufgefordert, seine Stiefschwester zu erstechen. Ob der Sohn oder der Vater der 16-Jährigen die tödlichen Stiche versetzte, ist laut Anklage ungewiss. Ein Klebeband über dem Mund habe Mezgin am Schreien gehindert, als sie starb. Der Vater soll seine tote Tochter dann in einem Betonschacht im Waldgebiet „Findberg“ in Aschaffenburg versteckt haben. "Er hat sie wie ein Stück Dreck entsorgt", schilderte Kriminalpolizist Jörg Albert am Donnerstag im Zeugenstand.
19 Monate später: Spaziergänger finden Mezgins Leiche
Die Leiche des Mädchens war erst 19 Monate später von Spaziergängern zufällig gefunden worden. Die aufwendige Suche nach der Vermissten mit Hubschraubern und Tauchern war ergebnislos geblieben. Vier Wochen nach dem Mord soll der angeklagte Hashem N. Mezgins Freund heimlich in der Nacht in den Aschaffenburger Hafen gelockt haben, um ihn zu erstechen. Das misslang, der Syrer floh er in die Türkei, die ihn erst im Herbst 2020 auslieferte.
Dass die zunächst vermisste Schülerin getötet worden war, vermuteten die Ermittler 2017 schnell, als sich der Vater immer mehr in Widersprüche verstrickte. Gewissheit gab dann offenbar eine Äußerung des flüchtigen Syrers in einem mitgehörten Telefonat: "Sie ist verschwunden wie Salz im kochenden Wasser."
Belastungszeuge ist abgetaucht
Der junge Hauptbelastungszeuge, Hashem N.s Sohn, steht für eine Aussage vor Gericht indes offenbar nicht zur Verfügung. Der inzwischen 17-Jährige soll sich zeitweise - wie sein Vater - in die Türkei abgesetzt haben. 2019 meldete er sich dem Mordermittler zufolge "bei der Polizei in Ostdeutschland", um auszusagen.
Erst kürzlich kamen den Ermittlern dann Zweifel an der Schilderung des damals 13-Jährigen, Nachermittlungen begannen. Hatte der Fall zunächst klar ausgesehen, wurde im Laufe des ersten Prozesstages klar, auf welch dünnem Eis die Anklage steht: Der Junge sei zur Tatzeit in der Schule gewesen, könne also beim Mord zur angegebenen Zeit nicht dabei gewesen sein, sagte ein Ermittler im Zeugenstand. Und am Körper des Mädchens seien beim Fund 19 Monate später keine Messerstiche mehr nachweisbar gewesen.
Ermittler: "Haben keine gesicherten Erkenntnisse"
Am Fundort der Leiche und im Wagen, in dem die Leiche transportiert worden sein soll, habe es wider Erwarten keine Blutspuren gegeben. Mezgin könnte auch erwürgt worden sein. Auf bohrende Nachfrage des Gerichts musste der Ermittler zugeben: "Wir haben keine gesicherten Erkenntnisse, was passiert ist".
Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Er findet zum Schutz vor Corona in einem großen Saal des Aschaffenburger Schlosses statt. Nach Angaben von Pressesprecher Ingo Krist sind 14 Verhandlungstage angesetzt. Zum Prozess gegen Mezgins Vater sind 35 Zeugen und zwei Sachverständige geladen. Mit einem Urteil ist Ende April zu rechnen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde das Wort "Ehrenmord-Prozess" verwendet. Wir haben dies in das neutrale "Mordprozess" geändert.