Es ist eine Idee, die aus der Not heraus geboren wurde: Anfang 2022 wollte Christina Gold ihre kleine Tochter für die kommende Kita-Saison in Eußenheim anmelden. Da aber 2020 und 2021 je 29 Kinder geboren wurden – so viele wie noch nie in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, sagt Bürgermeister Achim Höfling – gab es für die 36-Jährige und sechs weitere Eltern vorerst eine Absage von der Gemeinde. Denn die 31 Krippenplätze in den drei Kindergärten in Eußenheim, Obersfeld und Aschfeld waren bereits gefüllt.
Doch das wollte die gelernte Erzieherin nicht einfach akzeptieren: Mit Unterstützung der Gemeinde startete sie Anfang des Jahres in der alten Schule in Bühler als private Tagesmutter der "Pfützenhüpfer". Derzeit werden dort vier Kinder betreut, darunter auch Golds Tochter. Ab September werden es sieben sein. Das Modell ist bisher einzigartig im Landkreis.
Unterstützt wird die Mutter dreier Kinder seit Februar von Merve Erek-Bülcan (27), die Kinderkrankenpflegerin und ebenfalls Mutter ist und sich für das Modellprojekt zur Tagesmutter qualifiziert hat. Das Ziel der Frauen ist die Anerkennung als staatlich geförderte Großtagespflege durch das Jugendamt Main-Spessart. Derzeit gelten sie noch als Kindertagespflege.
Wie die Gemeinde Eußenheim die beiden Tagesmütter unterstützt
"Sieben Kindern konnte leider kein Krippenplatz angeboten werden, wir mussten die Familien auf das nächste Jahr vertrösten – jedoch auch hier ohne Gewähr", sagt Rathauschef Höfling. Die betroffenen Eltern seien dann mit ihrem Problem an die Gemeinde herangetreten. "Ich habe mich mit den Familien getroffen und wir haben verschiedenste Lösungen besprochen." So seien ein Container neben dem Kindergarten in Eußenheim oder eine zusätzliche Regelgruppe in Aschfeld im Gespräch gewesen. Beides wäre aber aufwendig und teuer.
"Wir haben uns dann für die Großtagespflege entschieden", so Höfling. Christina Gold habe angeboten die Leitung zu übernehmen. "Ich habe sowieso eine Stelle gesucht, die näher an meinem Wohnort Bühler ist", sagt die 36-Jährige, die zuvor mit Schulkindern gearbeitet hat. "Ich kenne das Kindergartengeschäft aber gut." Zwei geeignete große Räume gab es in der ehemaligen Schule in Bühler, Gold und Erek-Bülcan können sie mietfrei nutzen. Auch bei der Einrichtung half die Gemeinde. "Die Unterstützung ist wirklich toll."
Noch ist der Weg zur Großtagespflege nicht geschafft
Für eine Großtagespflege (GTS) kann eine Kommune unter bestimmten Voraussetzungen Förderungen wie für einen regulären Kindergarten beantragen. Die Rahmenbedingungen seien allerdings nicht so kompliziert, sagt Gold: Erst ab dem neunten Kind muss bei einer GTS eine pädagogische Fachkraft anwesend sein. Ansonsten können auch Quereinsteiger mit viermonatiger Qualifikation und Pflegeerlaubnis Tagespflegerinnen oder -pfleger werden. "Allerdings würden wir als GTS auch unter das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz fallen."
Doch so weit sind Gold und Erek-Bülcan noch nicht: Weil es die bisher einzige Einrichtung dieser Art im Landkreis ist, habe das Jugendamt bisher noch nicht alle Rahmenbedingungen für eine GTS festgesteckt, "deshalb sind wir derzeit noch offiziell eine Kindertagespflege mit zwei Tagesmüttern". Der Prozess laufe aber. Auf Nachfrage teilt das Landratsamt mit, dass es aktuell keine weiteren Anfragen für private Tagesmütter oder eine Großtagespflege in der Region gebe. Ähnliche Modelle könnten künftig jedoch "einen guten Beitrag als Ergänzung zu den bestehenden Einrichtungen leisten".
Quereinsteiger als Tagesmütter und -väter?
Als Erzieherin ist Gold keine Quereinsteigerin. Was hält sie davon, dass auch Menschen aus völlig anderen Berufen Tagesmütter oder -väter werden können? "Die Berufsehre wird dadurch schon etwas gekränkt, wir haben ja fünf Jahre lang eine Ausbildung absolviert." Sie sehe aber durchaus die Not, sagt die 36-Jährige. Und die vorgeschriebene Qualifikation sei "ein guter Crashkurs".
Und wie sieht es mit der Finanzierung aus? Etwa bei der Ausstattung behandle die Gemeinde die Einrichtung in Bühler wie die anderen Kindergärten, sagt Achim Höfling. Die Kommune zahle zudem einen festen Betrag – wie für die normalen Kinderkrippen. Hinzu kommen die Beiträge: "Die Eltern zahlen bei uns nicht mehr als für einen regulären Kita-Platz, sie sollen ja nicht bestraft werden", sagt Christina Gold. Der Stundensatz betrage fünf Euro. Werden die Kinder pro Tag sechs Stunden betreut, kostet das 600 Euro im Monat. Der Eigenanteil der Eltern beträgt aber maximal 150 Euro. Die Eltern können jetzt schon Krippen- und Pflegegeld beantragen.
Die Selbstständigkeit sei für sie "ganz neues Terrain" und erfordere viel Mut, sagt Gold. "Ich wusste zunächst ja gar nicht, um was man sich alles kümmern muss, etwa die Pflege- und Krankenversicherung." Jedoch haben sich die beiden Frauen bewusst gegen einen Träger für ihre Einrichtung entschieden, um frei und der Situation angemessen, also schnell, entscheiden zu können.
Wird aus der Übergangslösung ein Modell mit Zukunft?
Für die Gemeinde Eußenheim ist das Modell erst einmal eine zweijährige Übergangslösung für die geburtenstarken Jahrgänge. Das habe eine Umfrage unter den betroffenen Eltern ergeben. Die meisten von ihnen kommen direkt aus Eußenheim und müssen nach Bühler sieben bis acht Minuten mit dem Auto fahren. "2022 gab es schon deutlich weniger Geburten, der Bedarf wird dann wohl nicht mehr so hoch sein", glaubt Höfling. Es könne aber auch passieren, dass das neue Angebot weiter bestehe, weil die Nachfrage hoch ist.
Das wünscht sich Christina Gold: "Hier ist bisher viel Herzblut reingeflossen und ich kann mir schon vorstellen, das weiterzumachen." Wichtig ist der 36-Jährigen dann aber die staatliche Förderung – "damit sich die Mühe lohnt. Gerade ist es nur ein Zubrot. Wir wollen eine echte Alternative sein und nicht nur die Übriggebliebenen auffangen. Wir geben nicht so schnell auf". Ab Mai werde ein Kind mit Down-Syndrom betreut. Auch dessen Förderung wäre mit einem offiziellen Betreuungsmodell unkomplizierter.