2011 wurde die Geburtshilfe-Station in Karlstadt in Main-Spessart geschlossen. Die Gründe: sinkende Geburtenzahlen und steigende Anforderungen an die Geburtshilfe. Die Entscheidung zur Schließung fiel damals daher „für die Sicherheit von Mutter und Kind“, wie Landrat Thomas Schiebel sagte. Was hat sich seitdem im Landkreis verändert? Welche Erfahrungen machen all diejenigen, die mit dem Thema Geburt weiterhin zu tun haben: etwa die Hebammen, Notärzte und Rettungssanitäter?
Positiv verändert haben sich seit 2011 zunächst einmal die Geburtenzahlen im Landkreis Main-Spessart. Waren es 2011 noch 905 Kinder, die hier geboren wurden, waren es 2015 schon 958 und 2017 bereits 1085 Geburten. Auch 2018 hält der Aufwärtstrend an. Die bayernweiten Zahlen bestätigen dies bereits. Regional sind die Zahlen beim Statistischen Landesamt noch nicht abrufbar.
Was berichten Hebammen, wie geht es den werdenden Müttern mit der Situation?
Wie ergeht es den Schwangeren? Seit rund zwei Jahren ist Ulrike Wegmann Kreissprecherin der Hebammen in Main-Spessart. 30 Hebammen aus Main-Spessart zählt der Bayerische Hebammen Landesverband derzeit. 2011 waren es 32 Hebammen. Neben der Betreuung von Frauen und Familien im Wochenbett ist Wegmann in der Hebammenpraxis in Lohr tätig. Sie kennt die Situation werdender Mütter und ihre Sorgen im Hinblick auf eine anstehende Geburt. Und sie weiß: Hochschwangere sollten möglichst keinem unnötigen Stress ausgesetzt sein. Denn das kann den Geburtsprozess durchaus negativ beeinflussen, erläutert die Hebamme im Gespräch mit der Redaktion.
Ihre Erfahrungen in den letzten Jahren: Etwa 98 Prozent der Schwangeren entscheiden sich für eine klinische Geburtshilfe. Wegen der weiten Anfahrt in die Geburtsklinik oder das Geburtshaus machen sich viele schwangere Frauen Sorgen. Schließlich müssen sie eine Fahrt, die bei starkem Berufsverkehr länger als eine Stunde dauern kann, mit Wehen im Auto aushalten. "Seit es keine Geburtshilfe mehr im Landkreis gibt, müssen wir bei der Beratung der Frauen in der Vorsorge auch immer den Zeitplan im Hinterkopf haben", erläutert Wegmann. Dabei spielt bei der Wahl des Geburtsortes weniger die Anzahl Kilometer, sondern viel mehr die Beschaffenheit der Strecke eine Rolle, vor allem bei winterlichen Straßen. "Was wir spüren, ist eine Unsicherheit bei den Frauen", so Wegmann.
Die macht sich auch dadurch bemerkbar, dass die Frauen öfter als früher in die Hebammenpraxis oder zum Gynäkologen kommen. Sie wollen eine Einschätzung: Wann muss ich losfahren? Werde ich wieder heim geschickt? Kann ich in der Klinik bleiben?
Klinikreferent Bostelaar: Geburtshilfe in Main-Spessart bleibt geschlossen
Nachgefragt im Klinikum Main-Spessart, ob das Thema Geburtshilfe noch einmal im Zuge der Planungen zum Neubau aufgeschlagen sei, antwortet Klinikreferent René Bostelaar: „Die Geburtshilfe in Main-Spessart ist geschlossen und bleibt geschlossen.“ Die Entscheidung 2011, die Station in Karlstadt zu schließen, sei eine klare gewesen. An der gebe es nichts zu rütteln. Er verweist noch einmal auf die Gründe, an denen sich auch heute nichts geändert hätte - etwa das Problem, ausreichend Fach-Personal für so eine Abteilung zu finden. „Zudem wägen die Schwangeren heute ganz genau ab und sind sehr kritisch, wo sie entbinden“, so Bostelaar.
Rettungskräfte im Krankenwagen sind für die Geburt "unterwegs" vorbereitet
Wie ergeht es Rettungskräften? Auch bei der besten Vorbereitung kommt es vor, dass Kinder auf dem Weg in die Geburtsklinik oder bereits zu Hause auf die Welt kommen. Auch im Krankenwagen kommt es immer wieder mal zur spontanen Entbindung. Diese Geburten "auf der Strecke" gibt es immer wieder, bestätigt Dirk Zirwick, Leiter des Rettungsdienstes beim Kreisverband Main-Spessart des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Aber solche habe es schon immer gegeben. Genaue Zahlen, ob sich die Fallzahlen in den letzten Jahren verändert haben, kann das BRK nicht geben. "Solche Einsätze werden wie jeder andere auch gezählt, wir können Geburten nicht gesondert herausfiltern", so Zirwick. Ab und zu gebe es Nachfragen von Standesämtern, wo genau die Geburt stattgefunden habe, um den Geburtsort zu bestimmen.
Für die Rettungsdienstler sei das Thema Geburt schon seit jeher Thema in der Ausbildung. Zudem seien Rettungswagen entsprechend ausgestattet, zum Beispiel mit einem Abnabelungsbesteck oder Medikamenten wie Wehenhemmern. Zudem steht in der Rettungswache in Lohr ein kleiner Transport-Inkubator, der sogenannten "BabyPod" bereit. Er dient zum Transport von „stabilen“ Neugeborenen und ist mit einem kleinen Pulsoximeter sowie mit Wärmekissen - allerdings ohne Beatmungsmöglichkeit - ausgestattet. Zum Transport von Frühgeborenen und schwer erkrankten Neugeborenen muss ein spezieller Babynotarztwagen von Würzburg angefordert werden.
Notarzt Dr. Hochapfel: Um Routine zu bekommen, brauche es drei bis vier Geburten pro Woche
Wie ergeht es Notärzten? Neben den Rettungsdienstmitarbeitern sind sie es, die in Main-Spessart mit ungeplanten Geburten im Rettungswagen, zu Hause oder irgendwo auf der Strecke zu tun haben. Einer von ihnen ist Dr. Friedrich Hochapfel, Hals-Nasen-Ohrenarzt in Lohr. Drei Geburten hat er bereits im Krankenwagen mit betreut. Er sagt: "Das ist eine Zumutung, was da von einem Notarzt verlangt wird." Was andere Menschen, wie Hebammen oder Fachleute aus der Geburtshilfe, in vielen Jahren lernten, werde in so einer Situation auch vom Notarzt verlangt. Das sei für ihn unbegreiflich. Abnabeln, das Kind untersuchen, sich um die Mutter kümmern. All diese Tätigkeiten müssten sitzen, routiniert und geübt sein.
Mit seiner Erfahrung - er ist examinierter Krankenpfleger, Rettungsassistent und hat ein halbes Jahr lang im Kreißsaal gearbeitet - sieht er sich gut aufgestellt. Aber der Mehrzahl der Kollegen treibe der Gedanke an eine Geburt in der Notarzt-Schicht den Schweiß auf die Stirn, so Hochapfel. Um Routine zu bekommen, brauche es drei bis vier Geburten pro Woche, erläutert der Notarzt. Die Situation derzeit habe für ihn nichts mit Sicherstellung zu tun.
Ein möglicher Lösungsansatz für ihn: die Organisation einer Art Notfall-Hebammen-Rufbereitschaft. Sprich, bahnt sich eine Geburt unterwegs an, kann eine diensthabende Hebamme dazu gerufen werden. "Das wäre eine große Hilfe, das sind schließlich Fachleute", so Hochapfel.
Geburtshilfe Rotkreuz-Klinik Wertheim: "Angebot wird in der Region gut angenommen."
Wie ergeht es anderen Kliniken? Nicht alle Frauen aus dem Landkreis Main-Spessart zieht es in die großen Kliniken nach Würzburg oder Aschaffenburg. Für die ein oder andere sind gerade kleine Häuser mit überschaubaren Geburtenstationen interessant. Diese Aufwärtsentwicklung spürt zum Beispiel das Rotkreuz-Klinik in Wertheim. Seit 1957 gibt es hier eine Geburtenstation. Derzeit kommen rund 360 bis 370 Kinder pro Jahr auf die Welt, Tendenz steigend. "Unser Angebot wird in der Region gut angenommen", sagt Alexandra Zottmann, Geschäftsführerin der Klinik. Die Station gestemmt wird durch fest angestellte Ärzte und Assistenten sowie durch Beleghebammen. Das Einzugsgebiet der Klinik erstreckt sich auf rund 30 Kilometer um Wertheim herum. Die Frauen kommen laut Zottmann aus dem Süden Main-Spessarts, dem östlichen Miltenberg und dem nördlichen Main-Tauber-Gebiets.
Das Haus habe Versorgungsstufe vier, sprich es können Schwangere ab der 36. Schwangerschaftswoche, bei denen es zu dem Zeitpunkt keine Komplikationen gab, versorgt werden. Als Vorteil von Wertheim sieht sie die relativ kleine Station. "Bei uns ist es überschaubar, man kennt sich." Zudem sitzt die Klinik seit 2016 in einem Neubau.
Gefragt nach der Wirtschaftlichkeit der Station, verweist die Geschäftsführerin auf das Verständnis der Klinik als Haus der Grundversorgung: "Die Station ist gewollt. Wir wollen der Bevölkerung eine Versorgung bieten, angefangen von der Geburt bis ins hohe Alter", so Zottmann. Sie sieht darin auch einen gesellschaftlichen Auftrag. "Wir wollen Kinder, Nachwuchs, also brauchen wir auch solche Stationen."
Zottmann betont allerdings auch, dass die Geburtshilfe ein reines Wohlfühlgeschäft sei, bei der man auch weitere Angebote schaffen müsste. In Wertheim seien das zum Beispiel ein Schwangerencafé oder Fußreflexzonenmassage. Dennoch gibt es auch in der Rotkreuz-Klinik eine kritische Grenze für die Station: "Wenn die Geburtenzahlen unter die 300 beziehungsweise 250 rutschen würden, müsste man gucken, ob es noch funktioniert."
Es ist enorm schwierig eine solche Infrastruktur aufzubauen und aufrecht zu erhalten, denn sobald was schiefläuft sind kleine Kliniken schnell an ihren Grenzen. Und dann ist das Geschrei groß und die Klagewelle rollt.
Außerdem sollte man sich die Skandinavier anschauen, die haben nur Zentren und damit die geringsten Komplikationsraten.
Hebammen Notruf ist sicher eine tolle Idee, doch dazu muss es erstmal mehr von ihnen geben.