Bilder aus dem zerstörten Borodjanka, einer Kleinstadt rund 35 Kilometer nordwestlich von Kiew, gehen zur Zeit um die Welt. Angaben der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft zufolge soll es in der Stadt die meisten Todesopfer in der Region Kiew geben.
Der Karlstadter Arzt Dr. Igor Turin hat Kontakt zum Chefarzt der Klinik in Borodjanka. "Eine medizinische Versorgung gibt es dort im Moment nicht, gar nicht", beschreibt er die Zustände dort. Turin versucht nun, über sein Netzwerk in Deutschland zu erreichen, dass Patienten aus Borodjanka in deutschen Krankenhäusern aufgenommen werden. Vor Ort wird im Moment Krankenhausausstattung dringend gebraucht, angefangen bei Krankenbetten und Nachtkästchen. Und es fehlt an ganz grundlegenden Dingen wie Lebensmitteln und Wasser, denn Leitungen im Ort wurden zerstört.
Pflegebetten und Hilfsgüter kommen aus ganz Deutschland nach Karlstadt
Mit einem Lkw voller Hilfsgüter für die Ukraine fing Turins Hilfsaktion Anfang März an, heute ist die Lagerhalle der Firma Untha in Karlstadt fast eine Art Drehkreuz für Medikamente und Krankenhausbedarf, der in der Ukraine jetzt dringend gebraucht wird. Das Helferteam sammelt hier seit Wochen Spenden oder kauft aus Spendengeldern Defibrillatoren, Beatmungsgeräte und Medikamente.
"Ich lerne immer mehr Leute in der Ukraine kennen und bin ein Ansprechpartner für viele Fragen", erzählt Rheumatologe Turin. Mitarbeiter in einem ukrainischen Verteilungszentrum fragen ihn zum Beispiel um Rat, wenn eine Lieferung mit medizinischen Hilfsmitteln eintrifft – wie und wo werden diese am besten eingesetzt? "Klar gibt es vor Ort auch Ärzte, je mehr jedoch mitmachen, desto besser." Über das Zentrum in der Ukraine ist auch Kontakt zu anderen Hilfsprojekten entstanden, die jetzt wieder über das Karlstadter Logistikzentrum ihre Güter in das Krisengebiet schicken.
Inzwischen bekommen sie palettenweise Hilfsgüter aus ganz Deutschland gesendet; aus Marburg, Frankfurt und München wurden zum Beispiel kürzlich Geräte nach Karlstadt geschickt, die von dort aus weiter in die Ukraine gehen. Anfang der Woche kam ein Lkw mit Pflegebetten in Karlstadt an. Kontakte bestehen auch in die USA, von dort werden medizinische Geräte finanziert, die von Karlstadt aus in die Ukraine geschickt wurden.
AA-Batterien für Taschenlampen werden dringend benötigt
Die Helfer in Karlstadt sind im Moment damit beschäftigt, Medikamente auf Englisch und Russisch zu beschriften und wasserdicht auf Paletten zu packen. Hier ist die Karlstadterin Anja Baier federführend. Zum Kernteam gehören Rudi Gosdschan, der immer telefonisch ansprechbar und stets vor Ort ist, Ralph Eisermann, Daniel Hamaly, Thomas Gundersdorf, Christoph Gundersdorf, Cüneyt Ünaydin, Cornelia Fuchs, die die Spendensammelstelle in Arnstein organisiert, und Anja Baier. "Niemand ist wegzudenken", sagt Turin.
Dringend gebraucht werden jetzt Spendengelder, um Medikamente und Medizintechnik zu kaufen. Damit unterstützen sie das Krankenhaus in Borodjanka oder statten den Rettungsdienst in der Ukraine aus. "Dort werden jetzt zum Beispiel mobile OP-Lampen mit Akku, Dieselgeneratoren, Beatmungsgeräte und Defibrillatoren gebraucht", erklärt Turin. Aber auch Paletten mit AA-Batterien hat er schon auf 40-Tonner geladen. "Die Menschen leben viel in Kellern und brauchen die Batterien für Taschenlampen."
Die Logistik hier habe sich inzwischen eingespielt, sagt Turin. "Die medizinischen Geräte zu beschaffen, das braucht Zeit. Für alles andere braucht es nur ein paar SMS." Defibrillatoren beispielsweise hätten im Moment lange Lieferzeiten, weil Mikrochips fehlen. Turin sucht also nach guten gebrauchten Geräten – auch das frisst Zeit, denn er kann nicht mehrere auf einmal kaufen.
Aus Karlstadt sind mittlerweile 16 Lkw gestartet, die Spedition wird organisiert vom ukrainischen Generalkonsulat. Auch Turin fehlen manchmal die Worte, wenn er beschreibt, was sich da zum Teil im selben Laderaum befindet: Palettenweise Antibiotika und daneben über 10 000 Leichensäcke.