Gaukönigshofen im Landkreis Würzburg an einem Montag im September. Die örtliche Feuerwehr feiert ihr 141-jähriges Bestehen. Im Festzelt hat die CSU zum "Familiennachmittag" geladen. Das Interesse hält sich in Grenzen: Viele Bierbänke sind leer geblieben. Judith Gerlach lässt sich davon nicht beirren. Die 37-Jährige aus Weibersbrunn bei Aschaffenburg ist die einzige unterfränkische Ministerin im Kabinett von Markus Söder. Als CSU-Spitzenkandidatin für die Region soll sie in diesem Wahlkampf in ganz Unterfranken Präsenz zeigen. Bei repräsentativen Terminen an der Universität genauso wie im Bierzelt.
Dass sie hier und heute keine Rede über die Digitalisierung halten kann, weiß Judith Gerlach. Stattdessen unternimmt die Juristin in ihrer 30-minütigen Ansprache eine Runde durch den politischen Gemüsegarten: Familie, Pflege, Energieversorgung, innere Sicherheit - und ein Lob aufs Ehrenamt. Die Ministerin kommt nahbar rüber, der Beifall in Gaukönigshofen ist freundlich. Aber man spürt dann doch: Reden im Bierzelt ist nicht so ihr Ding, das beherrschen andere in der CSU besser.
Was aber nicht heißt, dass die Staatsministerin Feste meidet. Im Gegenteil, die Begegnung mit den Leuten quer durch alle Alters- und Berufsgruppen, die sei ihr schon wichtig, sagt die 37-Jährige. "Wir Politikerinnen und Politiker müssen möglichst häufig raus aus der Politiker-Blase." Deshalb übernehme sie regelmäßig Gastro-Jobs bei Festen daheim in Dambach oder Sailauf, aber auch auf der Weinparade in Würzburg: "Ich packe dann richtig mit an - mal als Bedienung, sehr gerne auch am Zapfhahn."
Mit Kellnern und Gastro-Jobs das Jura-Studium mitfinanziert
Mit dem Kellnern habe sie schon ihr Jura-Studium in Würzburg mitfinanziert, sagt die zweifache Mutter. "Das macht einfach Spaß." Dass das Trinkgeld bei manchem Gast etwas lockerer sitzt, wenn die Frau Ministerin das Helle oder den Kartoffelbraten serviert, sei ein schöner Nebeneffekt. "All das Geld, was da zusammenkommt, ist für einen guten Zweck, häufig für die Jugendarbeit des Veranstalters."
Gleichzeitig böten solche Termine die Möglichkeit, "ein Gespür für die Lebenswirklichkeit der Menschen zu bekommen, für ihre Hoffnungen und Sorgen", sagt Judith Gerlach. Wie oft sie dabei auf die schleppende Digitalisierung im Lande oder auf Funklöcher angesprochen wird? "Es geht eher schon um bezahlbare Mieten, das Heizungsgesetz oder die Schwierigkeit, einen Pflegeplatz für die Eltern zu finden." Immerhin, mehr und mehr spielten auch digitale Themen eine Rolle.
Judith Gerlach brennt für diese Themen. Schnell gerät sie ins Schwärmen - egal, ob es um den Digitalpakt Bayern oder die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz (KI) geht. Dabei war ihr Start als Ministerin nach der überraschenden Berufung im November 2018 alles andere als einfach: Gerlach hatte kaum Erfahrung mit der selbstbewussten Münchner Ministerialbürokratie. Dazu kam ein völlig neues Ressort ohne Mitarbeiter und Büroräume. Und vor allem ohne großen Etat und echte Kompetenzen. Da konnte der Titel "Staatsministerin für Digitales" noch so sehr nach Zukunft und Aufbruch klingen.
Gerlach versteht das Digitalministerium als Denkfabrik
So ist für die Digitalisierung der Kommunen das Innenministerium zuständig, für die digitale Infrastruktur das Finanzministerium, für die KI-Forschung das Wissenschaftsministerium, für den Mobilfunk das Wirtschaftsressort, für Tablets an Schulen das Kultusministerium. Dass ihr da oft nicht mehr bleibt, als ambitionierte Initiativen anzukündigen, über deren Erfolg dann andere entscheiden, ist Gerlach klar. Sie versteht das Ministerium denn auch eher als "Think Tank", als Denkfabrik für andere.
"Ziel meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es, andere für Digitalisierung zu begeistern. Wir brauchen mehr Mut, Dinge auch mal auszuprobieren", sagt die 37-Jährige. Wenn von zehn Projekten zwei scheitern, sei das eben so. "Aber in acht Fällen sind wir vorangekommen." Zur Beschleunigung beigetragen habe nicht zuletzt Corona: Viele, die Digitalisierungsvorhaben vor fünf Jahren noch skeptisch gegenüber gestanden hätten, würden mittlerweile die Notwendigkeit erkennen.
Die Opposition sieht die Ministeriums-Konstruktion naturgemäß kritischer. Gerlach sei eine "Ministerin ohne Land", findet der Ochsenfurter SPD-Abgeordnete Volkmar Halbleib. Im Landtag warf er der Kollegin vor, sie setze mit unzähligen Einzelmaßnahmen auf das "Prinzip Schrotflinte": Beim Schuss breit streuen, "in der Hoffnung, dass eine Kugel schon trifft". Was fehle, seien "übergeordnete Ziele und eine Strategie".
Gerlachs Herzensanliegen: die digitale Verwaltung. Auf dass Bürgerinnen und Bürger die komplette Kommunikation mit dem Staat und ihrer Kommune digital erledigen können - vom Beantragen einer Geburtsurkunde über die Kfz-Anmeldung bis zum Bauantrag für das Einfamilienhaus. Ein mühseliges Geschäft, bei dem mit Zwang nichts geht. Stattdessen sollen Schulungsprogramme und Auszeichnungen wie "Digitales Amt", die die Ministerin dann höchstselbst vergibt, die Bürgermeister der 2056 bayerischen Gemeinden motivieren, hier voranzukommen.
Gerlach räumt ein, dass der Fortschritt noch allzu häufig am Engagement einzelner hängt, insgesamt aber sieht sie den Freistaat auf einem guten Weg. "Unter den Bundesländern in Deutschland liegen wir auf Platz eins."
Hauptproblem bleibt die "digitale Identifikation": eine Art Personalausweis oder Identifikationsnummer für alle Verwaltungsanwendungen, die einfach handhabbar und auch auf dem Smartphone verfügbar ist. Bayern wäre hier schon längst weiter, aber ein Alleingang mache wenig Sinn, sagt Gerlach. Bremser sei die Ampel in Berlin, beklagt sie in bester Söder-Manier. Dass auf Bundesebene bis heute kein eigenständiges Digitalministerium etabliert ist, hält sie für einen Fehler.
Ist Unterfränkin Gerlach auch im nächsten Kabinett dabei?
Und wie geht es in Bayern weiter? Wird es auch nach der Landtagswahl ein Digitalministerium geben - mit mehr Kompetenzen und mehr Geld? Öffentlich Ansprüche anzumelden, ist nicht die Art von Judith Gerlach. Und sie käme beim Chef vermutlich auch nicht allzu gut an. Dass ihr der Job Spaß macht, betont sie dann aber doch. Beobachter in München räumen der Unterfränkin denn auch gute Chancen ein, auch der künftigen Regierungsmannschaft anzugehören.
BTW es gibt das Ministerium für Verkehr und Digitales. Falls die Ministerin es nicht wusste dies war so gut wie immer in CSU Hand.
Auch würde eine schnelle Digitalisierung die Mitarbeiter entlasten sie müssen keine Termine mehr vergeben sondern können die Online eingegangen Anträge nach Eingang abarbeiten und durch den persönlichen Kontakt am Schreibtisch wo wegfällt kann auch mehr in Home Office gearbeitet werden.