
Sie sind wahlweise weiß oder farbig. Mit einem Klick werden sie angezündet und brennen so lange, bis jemand die Internetseite löscht. Bei Liebler Bestattungen in Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart) kann man im Andenken an Verstorbene virtuell Kerzen entzünden. Vor allem wegen dieser Kerzen verzeichne sein Unternehmen bis zu 150.000 Zugriffe monatlich, sagt Matthias Liebler, Vorsitzender des Bestatterverbands Bayern.
"Vor zehn Jahren war es bei uns nahezu unvorstellbar, dass man seine Trauer öffentlich im Internet kundtut", blickt der Bestattermeister zurück. Doch in Zeiten, in denen die Menschen ihre Einkäufe mit dem Handy bezahlen, ihre Steuererklärung im Internet erledigen und Freunden im sozialen Netzwerk zum Geburtstag gratulieren, wandert auch die Trauer- und Erinnerungskultur in Online-Medien ab. In den Niederlanden oder in Dänemark sei das virtuelle Kerzenanzünden schon länger verbreitet, sagt Liebler.
Virtuelle Kerze statt bei der Beerdigung: Corona-Einschränkungen öffneten Raum für Neues
"Ich war hin- und hergerissen, ob das bei uns im ländlichen Raum angenommen wird", meint der Marktheidenfelder Bestattungsunternehmer. Die Einschränkungen der Gästeanzahl bei Beerdigungen während der Corona-Pandemie hätten für ihn dann den Ausschlag gegeben, das virtuelle Kerzenanzünden für seine Kundinnen und Kunden einzuführen.
Er habe erwartet, dass das Angebot vor allem junge Menschen nutzen, sagt der Bestattermeister. Doch über alle Altersschichten hinweg würden Menschen die öffentlich einsehbaren Gedenkkerzen entzünden. Auch wer mit dem Internet nicht sehr vertrau sei, könne sich beteiligen, sagt Liebler. Das Angebot sei einfach zu handhaben.

Digitale Praktiken würden die klassischen Formen der Trauer- und Erinnerungskultur nicht aufheben, sondern erweitern, erklärte der Hamburger Kulturwissenschaftler Prof. Norbert Fischer vor wenigen Jahren in einem Aufsatz des Fachmagazins "Zeitschrift für Trauerkultur". Auch Bestatter Matthias Liebler hat beobachtet, dass viele Menschen, die eine virtuelle Kerze anzünden, nach wie vor bei der Beisetzung den Angehörigen ihr Beileid aussprechen oder eine Trauerkarte an die Hinterbliebenen übergeben.
Kondolieren von überall aus: Virtuelle Friedhöfe gibt es seit den 1990er Jahren
Laut Fischer gibt es bereits seit den 1990er Jahren sogenannte virtuelle Friedhöfe und digitale Gedenkseiten. In diese Online-Kondolenzbücher kann man – ähnlich wie in der klassischen Variante – seine Trauer mit persönlichen Worten, Sprüchen oder Fotos und Videos bekunden. Der Unterschied: Die digitale Version kann auf der ganzen Welt zu jeder Zeit angesehen werden, bis sie aus dem Netz genommen wird. Ob digitale Gedenkseiten öffentlich für jeden einsehbar sind oder der Zugang beschränkt ist, entscheiden diejenigen, die die Seiten anlegen.
Für Julia Schäfer, Soziologin und Trauerbegleiterin aus der Schweiz, die mehrere Bücher zur Trauerkultur veröffentlicht hat, sind virtuelle Gedenkseiten eine neue Form des Ausdrucks von Gefühlen und Erinnerungen: zwischen der Vergänglichkeit einer Trauerfeier und der Beständigkeit eines realen Grabsteins. Sie seien eine neue Ausdrucksebene für Trauer, die langfristig bestehe und mit der Menschen im persönlichen Umfeld oft nur schwer umgehen könnten.
"Mit der Möglichkeit, elektronische Botschaften zu hinterlassen, werden Privatheit und Öffentlichkeit in eine neue Beziehung gebracht", schreibt auch Kulturwissenschaftler Fischer. So hätten auch Menschen, die nicht in der Nähe leben, die Möglichkeit, persönliche Worte zu hinterlassen.
Würzburger Bestatterin Angela Stegerwald: "Eine Gedenkseite im Internet passt nicht zu jedem"
Angela Stegerwald, Leiterin von "Welt-Bestattung" in Würzburg, sagt: "Eine Gedenkseite im Internet passt nicht zu jedem." Sie selbst setze sich seit langem mit den digitalen Veränderungen und neuen Technologien im Bestattungs- und Trauerbereich auseinander. Ihr Bestattungsinstitut nutze beispielsweise eine Künstliche-Intelligenz-Anwendung beim Erstellen von Todesanzeigen und biete Kunden und Kundinnen ein Livestreaming an. Wer bei der Beisetzung nicht vor Ort sein kann, könne die Trauerfeier am Bildschirm verfolgen.

Nicht nur Stegerwalds Kunden in und um Würzburg nutzen das angebotene Trauerportal, es wird für Sterbefälle aus ganz Deutschland gebucht. Die Bestatterin erzählt von einer Familie, die vor sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte. Innerhalb weniger Tage hätten fast 20.000 Menschen auf der Gedenkseite ihre Anteilnahme am Tod der fünf Menschen kundgetan.
Verbandsvorsitzender Matthias Liebler: "Früher war das Kondolieren etwas Privates"
Die Gesellschaft habe ein Bedürfnis nach offener und vorzeigbarer Trauer, meint Kulturwissenschaftler Fischer. Das zeige sich besonders ausgeprägt bei tragischen Unfällen oder wenn Kinder, Jugendliche und Prominente sterben.
Auch Bestattermeister Matthias Liebler sagt: "Früher war das Kondolieren etwas Privates, von Mensch zu Mensch. Jetzt scheinen viele kein Problem damit zu haben, das in die Öffentlichkeit zu rücken." Das habe etwas Gutes - weil das Thema aus der Tabuzone geholt wird.