
Plötzlich ging alles ganz schnell: Nach einem ruhigen, zeitweise sogar Corona-freien Sommer wurde Main-Spessart Ende November zum Hotspot in Unterfranken. Die Maßnahmen für einen Inzidenzwert von 200 waren kaum erlassen, da musste sich der Landkreis schon darauf einstellen, auch die Marke 300 zu erreichen. Landrätin Sabine Sitter erklärt im Interview, warum sie trotz sinkender Inzidenz noch nicht aufatmet.
Sabine Sitter: Für mich war der Punkt spätestens vergangene Woche Mittwoch erreicht, als klar wurde: Wir steuern auf einen Inzidenzwert von 290 zu. Da haben wir um 16 Uhr entschieden, dass wir jetzt eine Pressekonferenz abhalten müssen. Es war klar, wir sind mitten in der zweiten Welle, aber ich hatte den Eindruck, dass das in der Bevölkerung noch nicht angekommen war. Noch zwei Wochen zuvor hatten wir ja so niedrige Zahlen, dass die meisten Menschen ihr Leben fast normal leben konnten. Eine halbe Stunde später habe ich dann erfahren, dass ich nun selbst in Quarantäne muss.
Sitter: Das ist eine trügerische Sicherheit. Die Inzidenz wird wieder hochgehen. Wir müssen die Lage ganz genau im Auge behalten, weil die Inzidenz so um 300 "wabert" und dies der Grenzwert für noch einschneidendere Maßnahmen ist. Der Wert 300 wäre ein noch deutlicheres Signal für alle gewesen.
Sitter: Ja. Wir wären aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sogar verpflichtet, solche weitgehenden Anordnungen zu treffen.
Sitter: (zögert) Bei der hohen Inzidenzzahl und den zunehmenden neuen Todesfällen täglich... Da fließen unterschiedliche Komponenten in solche Entscheidungen ein, da ist die Wirtschaft natürlich mit drin. Für mich spielen die Todesfälle eine große Rolle. Ich behaupte von uns allen im Amt, dass wir immer alle "Güter" im Blick haben. Wir versuchen, mit Maß und Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, immer abhängig von der Lage. Gesundheit, Sicherheit und Demokratie sind die wichtigsten Faktoren.
Sitter: Ich bin christlich sozialisiert und habe im sozialen Bereich gearbeitet. Für mich ist jedes Leben würdig und lebenswert. Das ist mein Grundmaßstab.
Sitter: Das war keine Fehlentscheidung. Der Mensch wollte seine Selbstbestimmung zurück, das hat man in den letzten Monaten deutlich gespürt. Ich bekomme Briefe von Angehörigen, die ihre Eltern unbedingt wieder im Heim besuchen wollten – und gleichzeitig Nachrichten von Angehörigen des Pflegepersonals, die sagen: Schützen Sie meine Frau und meine Kinder. Vergangene Woche haben wir hier gesagt, Schluss jetzt, das Risiko wird zu hoch. Deswegen haben wir dieses strenge Besuchermanagement verfügt.
Es gab Heime in anderen Landkreisen, die in der ersten Welle Infektionen im Haus hatten und deswegen jetzt sofort zugemacht haben. Wir waren im Frühjahr nicht betroffen und haben jetzt lange Besuche uneingeschränkt zugelassen. Ich erwarte jetzt von den Bürgern, dass sie diese Entscheidung mittragen und bei Besuchen die strikten Regeln befolgen.
Sitter: (zögert) Nein. Dieses negative Gefühl habe ich nicht. Ich bin mir der Verantwortung bewusst. Ich trage sie auch nicht alleine, ich habe ein Team und wir sind in ständigem Austausch mit der Regierung von Unterfranken. Man kann diese Verantwortung gut tragen, wenn man die Güterabwägung gemeinsam macht.
Die ungenehmere Seite ist, dass wir auch aus München immer sehr kurzfristig informiert werden. Das bringt die Pandemie mit sich. Zum Beispiel: Letzte Woche Donnerstag kam die Hotspot-Strategie aus München, da haben viele Bürger schon Maßnahmen von mir erwartet. Wir mussten aber auf die Infektionsschutzmaßnahmenverodnung warten, die Rechtsgrundlage für die Maßnahmen ist, die erst am Montag kam. Das kann man der Bevölkerung aber nur schwer deutlich machen. Alle sagen: Hätten Sie das nicht eher kommunizieren können?
Sitter: Zum einen nehme ich die Kontaktbeschränkungen sehr ernst: Ich bin meinen Terminkalender durchgegangen und habe geschaut, welcher Präsenztermin ist ist unaufschiebbar, welcher nicht. Ich gehe seit vier Wochen zu keinem Spatenstich mehr, wo ich mit sieben Leuten zum Foto zusammenstehen muss. Darauf kann man in dieser Zeit verzichten. Das wäre ein falsches Zeichen nach außen.
Zum anderen: Ich war viel mit hausinterner Kommunikation beschäftigt. Mein Team musste sich erst einmal darauf einstellen, dass sie jetzt eine Landrätin haben, die hohen Wert auf mündliche Kommunikation legt. Das habe ich im letzten halben, dreiviertel Jahr aufbauen müssen. Mir ist aber klar: Ich muss jetzt verstärkt die Öffentlichkeit einbinden. Deswegen war mir auch die Pressekonferenz vergangene Woche wichtig.
Sitter: (zögert) Meine Familie und ich sind grundsätzlich geimpft. Mein Körper reagiert auf Impfungen immer recht heftig. Aber wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, kommen wir um Impfungen nicht herum. Da muss die Akzeptanz in der Bevölkerung hergestellt werden, da bin ich dann Vorbild und werde mich impfen lassen.
Sitter: Der private Bereich zuhause liegt nicht in meinem Einflussbereich. Ich mache eine Güterabwägung und ich habe Rechtsgrundlagen, an die ich mich halten muss. Die persönliche Freiheit der Menschen und die Unverletzlichkeit der Wohnung muss ich auch akzeptieren. Das habe ich von Anfang an gesagt: Die Pandemie hat viel, nein, ausschließlich mit Eigenverantwortung zu tun. Die Verantwortung möchte ich den Menschen lassen – so lange, bis ich sie nicht mehr mittragen kann. Das sind Grundrechte der Demokratie, die Politik schützen muss.
Sitter: Als Landrätin ist es mein Job, die Anordnungen der Staatsregierung umzusetzen. Das nehme ich ernst. Ich werde mich nicht auf den Marktplatz stellen und etwas diskutieren, das im Moment nicht diskutierbar ist, weil es Recht ist und nicht zur Disposition der Landräte steht. Punkt.
Ich hab den Demonstranten im Sommer, als die Infektionszahlen niedrig waren, ein Gespräch angeboten – das haben sie nicht wahrgenommen. Als jetzt die Inzidenz hoch ging, wollten sie mit 15 Personen zu mir kommen. Das mache ich jetzt nicht mehr, und ich stelle mich auch jetzt nicht auf den Marktplatz und lasse mich vorführen. Dann halte ich es eben aus, dass die Demonstranten zwei Stunden vor meinem Büro mit Töpfen klopfen. Aber ich nehme den Protest wahr und nehme ihn in meine Güterabwägung mit auf.
Sitter: (lacht) Das sage ich im Moment ziemlich häufig, das stimmt. "Unaufgeregt" ist das Wort, mit dem mich mein Krisenstab immer aufzieht, weil ich es so oft sage.
Sitter: Ja. Mir war von Anfang an klar, dass Landrätin ein verantwortungsvoller Job ist. Ich habe für mich da eine sehr genaue Güterabwägung gemacht.
Wie Omi immer sagte.
Vor dem Schei.. ., nach dem Essen, Händewaschen nich vergessen!
Nach dem Sch..., vor dem Essen, ...
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
1. Wieviele sind in den letzten 4 Wochen in den Pflegeheimen in MSP positiv getestet worden ?
2. Wieviele sind in den letzten 4 Wochen in den Pflegeheimen in MSP verstorben ?