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Lohr
Gewaltprävention im Angesicht der unvorstellbaren Gewalttat in Lohr: Wie Boxtrainer Sven Amend helfen möchte
Der Lohrer Studiobetreiber Sven Amend will durch Boxen Gewalt verhindern - nicht erst seit dem gewaltsamen Tod eines 14-Jährigen auf dem angrenzenden Schulgelände.
Der Lohrer Boxstudio-Betreiber Sven Amend setzt sich seit langem für Gewaltprävention ein. Für Schülerinnen und Schüler bietet er Sportunterricht der anderen Art.
Foto: Fabian Gebert | Der Lohrer Boxstudio-Betreiber Sven Amend setzt sich seit langem für Gewaltprävention ein. Für Schülerinnen und Schüler bietet er Sportunterricht der anderen Art.
Simon Hörnig
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:16 Uhr

Das Fitness- und Boxstudio von Sven Amend liegt in der Lohrer Jahnstraße, in direkter Nachbarschaft zum Schulzentrum. Dort war am 8. September ein 14-Jähriger mutmaßlich von einem Gleichaltrigen getötet worden – offenbar durch einen Kopfschuss.

Eine Tat, die Amend schwer erschüttert hat. Er trainiert viele Jugendliche. Auch der getötete Junge sei eine Zeit lang zu ihm zum Kickbox-Training gekommen, bevor er sich für Fußball entschied, sagt der 47-Jährige. "Das ist ein ganz liebes Kind gewesen. Wenn ich ihn später im Schwimmbad oder so getroffen habe, hat er immer gegrüßt", erinnert sich Amend. Und seufzt. "Ganz, ganz schlimm."

Dass so etwas geschehen konnte, dafür macht der ausgebildete Fitnesstrainer den uneingeschränkten Medienzugang der Heranwachsenden mitverantwortlich: "Die Kinder werden online ungefiltert mit Gewaltdarstellungen konfrontiert. Sie sehen diesen Gangster-Lifestyle, empfinden das als cool und ahmen es nach." Seiner Erfahrung nach würden Konflikte öfter als früher auch in Gewalt eskalieren. Amend führt dies auf mangelnde Bewegung und "Unausgeglichenheit" zurück, die unter Jugendlichen weit verbreitet sei. 

"Es ist in der Schule für Kinder schon sehr anspruchsvoll, zwei Stunden stillzusitzen, aufzupassen und ruhig zu sein. Nach zwei Stunden kommt dann die Pause und was machen sie dann? Gehen ans Handy. Das macht auf Dauer nicht nur den Körper krank", meint Amend. Das Problem treibt ihn seit längerem um - und in Zusammenarbeit mit der Lohrer Mittelschule will er dem aktiv entgegenwirken.

Workshop zur Gewaltprävention soll Schülerinnen und Schülern Körperbewusstsein vermitteln

Kurz vor den Sommerferien erst hatte Amend mit Sechstklässlerinnen und Sechstklässlern dort einen Workshop zur Gewaltprävention veranstaltet. Da sei es zuallererst darum gegangen, die Kinder durch einen Mix aus Boxen und jugendgerechtem Fitnesstraining einmal so richtig "auszupowern", sagt der Lohrer. Die Schülerinnen und Schüler sollten die eigenen Muskeln spüren, ein besseres Körperbewusstsein entwickeln und Aggressionen abbauen.

In einem Theorie-Teil habe er mit den Kindern über Mobbing und Gewalt gesprochen und darüber,  wie wichtig es sei, für Schwächere einzustehen. "Das, was ich mit den Kindern da mache, ist ein anderer Sportunterricht", sagt Amend. Einen besonderen Fokus lege er auf Teamarbeit. So lasse er Trainingspartnerinnen und Trainingspartner regelmäßig durchtauschen, um die soziale Bindung untereinander zu stärken und weiterzuentwickeln.

"Das hat mich schockiert, dass das Ganze hier stattgefunden hat."
Sebastian Czyszczon, Lohrer Pädagoge und Musiker

Ein Konzept, mit dem Amend die Kinder abzuholen scheint. Auch die Lehrerin sei ganz angetan gewesen, sagt der Trainer: "Sie hat gesagt, dass sie nie gedacht hätte, dass die so aktiv mitmachen." Auch auf ihn habe die Gruppe einen interessierten und aufgeweckten Eindruck gemacht, allenfalls den ein oder anderen Querulanten galt es erst mal einzufangen.

Generell mache die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, mit denen er in Lohr in seinem Boxcamp arbeite, auf ihn einen lieben und behüteten Eindruck, sagt der 47-Jährige. "Im Vergleich zu dem, was wir früher getrieben haben, sind die wirklich richtig brav geworden. Aber es ist halt leider so, dass viele ein bisschen isoliert leben."

Lernbegleiter und Rapper Sebastian "Seba" Czyszczon beobachtet Rückzug von Jugendlichen

Diesen Eindruck hat auch Sebastian Czyszczon. Der Wahl-Lohrer ist im Kinderschutz aktiv und arbeitet an der Montessori Grundschule Main-Spessart (MOMAS) als Lernbegleiter. "Es war schon vorher der Fall, dass Jugendliche gesagt haben: Warum soll ich denn rausgehen, wenn ich auch daheim zocken und kommunizieren kann? Die Pandemie hat das noch einmal verstärkt, bis hin zu totalem Rückzug", sagt Czyszczon.

Eine Bereitschaft zur Gewalt habe er bei seiner Arbeit mit Jugendlichen in Lohr hingegen bislang nicht feststellen können, sagt der 32-Jährige: "Das hat mich schockiert, dass das Ganze hier stattgefunden hat."

Pädagoge und Rapper Sebastian 'Seba' Czyszczon (links) möchte Sven Amend dabei unterstützen, einen Selbstbehauptungs- und Gefahrenvermeidungskurs zu konzipieren.
Foto: Fabian Gebert | Pädagoge und Rapper Sebastian "Seba" Czyszczon (links) möchte Sven Amend dabei unterstützen, einen Selbstbehauptungs- und Gefahrenvermeidungskurs zu konzipieren.

Czyszczon stammt aus Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen, in den Sommerferien hat der passionierte Rapper dort wieder Musik-Workshops gegeben. "Dort habe ich gemerkt: Hier knallt es leichter, die Hemmschwelle ist niedriger. Da muss man echt aufpassen. Wenn du schon merkst, okay, die beiden mögen sich nicht, dann musst du sofort intervenieren."

Forderung: Schulen sollen "näher an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen arbeiten"

Wie man solchem Gewaltpotential am besten begegnen sollte? "Mit viel mehr Reflexion", meint der Pädagoge. "Die Schulen müssten näher an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen arbeiten. Und sie fragen: Wie geht's euch denn eigentlich? Was interessiert euch?" Dann müssten Schulen konkrete Maßnahmen ergreifen, wie eben die Trainingseinheiten bei Amend.

Das Angebot für Schülerinnen und Schüler wollen die beiden Lohrer jetzt gemeinsam weiterentwickeln - mit einem mehrtätigen Selbstbehauptungs- und Gefahrenvermeidungskurs.

In dieser Woche startet Amend erst einmal wieder mit seinem bewährten Kurs zur Fitness und Gewaltprävention. In diesem Schuljahr wird er einer sechsten Klasse der Mittelschule alle zwei Wochen für eineinhalb Stunden den etwas anderen Sportunterricht bieten.

 
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Kommentare
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  • Marco Pintar
    Sehr guter Bericht - sehe ich genau so. Jugendarbeit in Vereinen fördern wäre auch noch so ein Thema. Ist aber auch irgendwo ein gesamtgesellschaftliches Problem. Je länger man darüber nachdenkt, umso schwieriger wird es, einen Ansatz zu finden.
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  • Jennifer Weidle
    Danke für diese Initiative! Stimme hören Amend in allen Punkten zu.
    Vor einigen Monaten gab es in Lohr bereits eine Diskussion über den Vorschlag Streetworker einzusetzen. Hoffentlich tut sich diesbezüglich nun endlich etwas. Auch in anderen MSP Städten.
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