Kurz vor 19 Uhr stehen am Sonntag bereits gut 250 Menschen an der Rückseite des Lohrer Nägelsee-Schulzentrums. Darunter viele Jugendliche etwa im Alter des 14-Jährigen, der in Lohr am Freitagnachmittag mutmaßlich von einem gleichaltrigen Mitschüler erschossen worden war, dazu Eltern mit kleinen Kindern und ältere Menschen.
Auch die Familie des Verstorbenen ist gekommen. Sie steht um die mittlerweile zu einem Lichtermeer angewachsene Gedenkstätte auf der kleinen Rampe zum Hintereingang des Gymnasiums.
Die vielen Grablichter bilden ein Herz, in deren Mitte jemand zwei Fotos gestellt hat, die den gestorbenen 14-Jährigen zeigen. Drumherum Blumen, Kuscheltiere und ein einzelner kleiner blauer Ballon.
Über allem schweben ein bedrückendes Schweigen und eine unaussprechliche Betroffenheit, nur gelegentliche Schluchzer oder hastig weggedrücktes Handyklingeln durchbrechen die Stille.
TSV Sackenbach hatte zur Gedenkstunde für den 14-Jährigen aufgerufen
Etwas abseits haben sich die Fußballer des TSV Sackenbach in schwarzen Vereins-Shirts versammelt. Ihre Idee ist die als Gedenkstunde angekündigte Versammlung, zu der der Verein am Samstag über Facebook eingeladen hatte. In dem Lohrer Stadtteil-Verein spielen auch Verwandte des Getöteten, weshalb es dem Vereins-Vorsitzenden Ralf Stolle ein Anliegen war, auf diese Art Verbundenheit auszudrücken.
Stolle ist es dann auch, der nach einer Viertelstunde die bleierne Stille durchbricht und – von der gegenüberliegenden Seite der Versammlung kaum hörbar – ein paar Sätze an die Angehörigen richtet: Keine Worte gäbe es, mit denen man sie jetzt trösten könne, aber man wolle ihnen, den Verwandten und Freunden des 14-Jährigen, die eigene Trauer und das Mitgefühl ausdrücken und eine Kerze für den Verstorbenen anzünden. "Liebe Angehörige, wir alle stehen an eurer Seite. Wir sind bei euch."
Geplant war die kurze Rede nicht, berichtet Stolle anschließend, von der Familie des 14-Jährigen jedoch ausdrücklich erbeten. Viele der Verwandten des toten Jungen weinen im Anschluss. Eine Situation, die besonders die umstehenden Jugendlichen sichtlich mitnimmt. Überall sieht man Umarmungen, bleiche Gesichter und gerötete Augen.
In der Stadtgesellschaft in Lohr herrschen Unglaube, Fassungslosigkeit und Trauer
"Der Tote wurde hier gefunden", erklärt ein kleines Mädchen seiner Spielgefährtin, mit der es über die angrenzende Wiese spaziert. "Hier in Lohr?", fragt diese ungläubig. Das Mädchen spricht damit wohl vielen der Anwesenden aus dem Herzen, die nicht verstehen können, wie sich ein solches Tötungsdelikt in ihrer beschaulichen Schneewittchenstadt ereignen konnte.
"Der hatte eine Knarre, der hat den abgeknallt", flüstert ein Jugendlicher zu seinem Nebenmann, "ich kriege das einfach nicht in den Kopf." Fassungslosigkeit und Trauer einen die Stadtgesellschaft, die sich nebst Bürgermeister Mario Paul dort versammelt hat, wo mit dem Beginn des neuen Schuljahres ab Dienstag eigentlich wieder das unbeschwerte Leben einkehren sollte.
Szene der Wut zeigt Notwendigkeit von Unterstützungsangeboten in Lohr
Dass die Rückkehr zum Alltag in Lohr kein Selbstläufer wird, zeigt die Wut eines Jugendlichen im Anschluss an die Gedenkveranstaltung: "Da kann hier ein 14-Jähriger mit einer Knarre rumlaufen und einen anderen umbringen. Ich komm' nicht drauf klar!", schreit er auf dem Rückweg in die Altstadt seinen Frust heraus. "14 Jahre alt. Der hatte sein komplettes Leben vor sich. Ich fick jeden, der Witze darüber macht, der sich damit brüstet!"
In Lohr stehen in den kommenden Tagen viele Unterstützungsangebote bereit, etwa von den Kirchen, vom Bezirkskrankenhaus und vom Krisennetzwerk Unterfranken.