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Thüngen
Gedanken zu Ostern: Warum nicht der Hase, sondern der Wal zum Ostertier wird
Der evangelische Pfarrer Tilman Schneider aus Thüngen erklärt, warum die Menschen gute Geschichten brauchen – gerade auch zu Ostern.
Der evangelische Pfarrer Tilman Schneider erklärt in seinen Gedanken zum Osterfest, warum der Mensch gute Geschichten braucht.
Foto: Daniel Peter | Der evangelische Pfarrer Tilman Schneider erklärt in seinen Gedanken zum Osterfest, warum der Mensch gute Geschichten braucht.
Tilman Schneider
 |  aktualisiert: 10.02.2024 08:26 Uhr

Menschen lieben gute Geschichten. Damit meine ich nicht nur fesselnde Bücher oder spannende Filme, in deren Welten wir eintauchen. Menschen freuen sich, wenn die Reichen und Schönen wieder für Klatsch und Tratsch sorgen. Sie verfolgen kurze Beiträge und Stories in den sozialen Medien oder erzählen die Geschichten ihres eigenen Lebens.

Gute Geschichten sind beliebt und angesagt. Immer mehr Bereiche entdecken die Kraft der Erzählung. Während die Politik heutzutage mit den richtigen Narrativen gut ankommen will, entdecken Firmen und Unternehmen das "Storytelling" für sich: mit einer gut gemachten Geschichte wollen sie überzeugen und auf sich aufmerksam machen. Denn Menschen lassen sich von guten Geschichten ansprechen und unterhalten.

Dieses Wissen um gute Geschichten ist dem Christentum immer schon bekannt. Seit jeher erzählen sich Christen gute Geschichten. Und sie erzählen diese Geschichten weiter. Es sind die Hoffnungsgeschichten der Bibel, unterhaltsam komponiert und hilfreich nicht nur in Zeiten der Krise. Die Geschichten erzählen von Menschen und von einem rettenden Gott. Sie erzählen von Menschen in Krisen und von einem Gott, der Menschen nachgeht und ihnen hilft. Wer sein Leben in diese Geschichten hineinliest, erfährt ihre heilsame Kraft. Mich begeistern die Geschichten der Bibel. Als Kind habe ich sie in der Grundschule und im Kindergottesdienst kennengelernt. Seitdem begleiten sie mich und werfen ein neues Licht auf mein Leben. Ich bin davon überzeugt: Wer in diese Geschichten der Bibel verstrickt ist, lebt intensiver. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die Erzählung von Jona.

Die Bibel erzählt Hoffnungsgeschichten

Die Bibel erzählt davon, wie der Prophet Jona von einem Walfisch verschlungen wird. Zuvor war er vor Gottes Auftrag geflohen. Weil sich die Menschen in der Großstadt Ninive weder um Gott noch umeinander kümmern, soll Jona ihnen im Namen Gottes eine Moralpredigt halten. Doch darauf hat der Prophet keine Lust. "Sollen die in Ninive doch ruhig untergehen", denkt sich Jona, "das hätten sie verdient!" Und so unternimmt er den Versuch, sich ungesehen aus dem Staub zu machen. Jona flieht vor Gottes Auftrag.

Bei der traditionellen Karfreitagsprozession in Lohr (Lkr. Main-Spessart) ist Jona und der Walfisch eine der Figuren, die durch die Stadt getragen werden. Unser Bild stammt aus dem Jahre 2017.
Foto: Wolfgang Dehm | Bei der traditionellen Karfreitagsprozession in Lohr (Lkr. Main-Spessart) ist Jona und der Walfisch eine der Figuren, die durch die Stadt getragen werden. Unser Bild stammt aus dem Jahre 2017.

Er geht an Bord eines Schiffes und fährt in die entgegengesetzte Richtung. Doch Gott lässt einen Sturm über das Schiff hereinbrechen. Schon bald gerät das Schiff in ein gewaltiges Unwetter. Die Besatzung an Bord des Schiffs, international und multikulturell besetzt, beginnt zu beten. Jeder betet zu seinem Gott – ohne Erfolg. Die Seemänner bekommen es mit der Angst zu tun. Während sie schon Ladung über Bord werfen, schläft Jona seelenruhig unter Deck und wird vom Kapitän geweckt. Zuletzt werfen sie den Propheten über Bord, nachdem Jona ihnen von seiner Flucht erzählt. Das Meer wird still, das Unwetter legt sich. Und der Prophet Jona wird von einem Wal verschluckt.

In der Geschichte von Jona und dem Wal finden die Menschen ihr eigenes Weglaufen

Die Geschichte von Jona ist voller Ironie. Durch Gottes Walten gelangt Jona im Meer an einen wirklich gottverlassenen Ort: in die Eingeweide eines riesengroßen Wals. Seitdem die Geschichte von Jona erzählt wird, haben sich Menschen darin wiedergefunden. In der Erzählung entdecken sie ihre eigenen verschlungenen Lebenswege und ihr Weglaufen vor dem, was zu tun ist. Menschen finden ihr eigenes Stolpern, Stürzen und Badengehen in der alten Erzählung wieder.

Ganz unten in der Tiefe des Meeres denkt Jona an Gott. Ihn beschleicht die leise Ahnung: das alles könnte etwas mit Gott zu tun haben. Im Bauch des Walfischs denkt der Prophet über sein Leben nach. Jona denkt an seine Fehler und an sein Versagen. Die Angst und sein schlechtes Gewissen plagen ihn. Und so beginnt Jona zu singen. Er fleht und bittet Gott um Hilfe. Drei Tage und drei Nächte verbringt er in der Dunkelheit des Meeres. Dort unten erfährt Jona, dass es keinen Ort gibt, an dem Gott ihn nicht im Blick hätte. Selbst auf dem Grund des Meeres sieht Gott ihn. Was dann mit Jona geschieht, ist wie eine neue Geburt: Der Wal spuckt Jona an Land.

Der Wal ist ein Symbol der Auferstehung

Menschen brauchen gute Geschichten. Menschen brauchen Geschichten, die sie nicht nur unterhalten, sondern in die sie ihr eigenes Leben hineinlesen können. Die Geschichte von Jona und dem Wal wurde bei den ersten Christen besonders gerne erzählt. Das sogenannte "Zeichen des Jona" war für sie ein Bild für die Auferstehung Jesu von den Toten am dritten Tag. Jesus stirbt, wird ins Grab gelegt und betritt das Reich des Todes. Früh am Ostermorgen kommen die Frauen in den Garten und finden ein leeres Grab vor. So wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Wals war und dann gerettet wird, so wird Jesus aus der Dunkelheit des Todes gerettet und auferweckt.

Die Rettungsgeschichte von Jona wird überboten: selbst in der Tiefe des Todes sieht mich Gott und rettet mich! Die Geschichte von Jona und dem Wal wird zum Bild für das Osterfest und die Auferstehung. Nicht etwa der schmunzelnde Hase, sondern der Wal wird zum Ostertier. In den ersten Jahrhunderten der Kirche erscheint er als Symbol der Auferstehung auf Gräbern und in den Katakomben Roms.

Menschen lieben gute Geschichten, in die sie ihr Leben hineinlesen und Hoffnung schöpfen können. Die Erzählungen von Jona und dem auferstandenen Christus sind Ostergeschichten. Sie erzählen von Gottes rettenden Taten. Christen legen ihre Ängste und Krisen in diese Erzählungen hinein – und überwinden sie. Sie setzen ihre Hoffnung auf den rettenden Gott. Die Ostergeschichten lassen Christen intensiver leben. Sie erkennen, dass es keinen Ort gibt, an dem Gott uns Menschen nicht sieht und uns nicht nachgeht. Nicht einmal im Reich des Todes sind wir verloren. Denn Gott besiegt den Tod. Das ist der Grund der Osterfreude. Christen feiern an diesem Wochenende Ostern. Das wird ein Heidenspaß!

Zur Person

Tilman Schneider (35) ist im rumänischen Temeswar geboren und aufgewachsen im Banat, in Siebenbürgen und im Spessart. Er studierte Evangelische Theologie in Frankfurt am Main, Erlangen-Nürnberg sowie am Ökumenischen Institut in Sibiu/Hermannstadt. Seit 2016 ist Tilman Schneider Pfarrer der Kirchengemeinde Thüngen-Arnstein (Lkr. Main-Spessart) und seit rund einem Jahr Stellvertreter von Dekan Wenrich Slenczka.
 
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Kommentare
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  • C. L.
    Den OsterPodcast von Wolf Dieter Storl über Osterbräuche in Europa zu hören, erklärt einem viel über die alten vorchristlichen Verhaltensweisen und warum das Fest Ostern heißt. Außerdem ist zu hören, warum das Christentum viele Bräuche und Begrifflichkeiten zu diesem Thema übernommen hat.
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  • J. D.
    Danke für diesen schönen Artikel. Genau darum geht es an Ostern. Gott befreit Christen und Heiden. Diese Botschaft gibt's auf keiner menschengemachten Party, die gibt's nur am Ostermorgen.
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  • R. B.
    Sehr geehrter Herr Schneider, ein Erdrutsch an Austritten aus der Kirche in den vergangenen 20 Jahren, alleine 800.00 in 2022, machen Sie glauben, den Menschen fehle es an „lieben guten Geschichten“; das ist fern ab der Realität. Die Kirche hat bis heute nicht begriffen, dass der Anspruch der Gläubigen ein anderer ist. Die Vertuschung der Misshandlungen zeigt vielmehr auf, dass die Drahtzieher weder an Aufklärung noch sonst an Reformen kein Interesse hat. Bleiben werden Ihnen die paar wenigen „Gläubigen“ welche die Rosenkränze malträtieren in der Hoffnung, nicht im Fegefeuer zu enden.
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  • I. E.
    Ihr letzter Satz zeigt ganz deutlich, dass Sie von der Materie keine Ahnung haben!
    Herr Schneider ist EVANGELISCHER Pfarrer - da gibt es keinen Rosenkranz - und auch kein Fegefeuer!
    Und zur Thematik „Vertuschung von Missbrauch“ nur der Hinweis: in der katholischen (und inzwischen auch in der evangelischen) Kirche gibt es ernsthafte Anstrengungen, das Thema Missbrauch aufzuarbeiten! Da wir aber in Deutschland inzwischen ein Land der Experten sind, weiß jeder, wie es besser wäre! Seltsamerweise aber nur, wenn es um Missbrauch in der Kirche geht 3500 Fälle in 100 Jahren - jeder einzige einer zu viel, keine Frage! Aber über die 13.500 Fälle deutschlandweit JEDES JAHR!!! - redet kein Mensch, seltsam, oder?
    Solche Kommentare disqualifizieren sich in sich selbst!
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  • A. H.
    !!!!
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  • R. B.
    „Da gibt es ernsthafte Anstrengungen“, genau!
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  • I. E.
    Klar gibt es die!
    Ansonsten - wo gibt es ähnliche Dinge wie Betroffenen-Beirat, unabhängige Gutachten von Rechtsanwälten, Studien von Universitäten?
    Nur in der Kirche!
    Ich habe niesbezüglich noch NICHTS gelesen von irgendwelchen Sportverbänden, NICHTS von Jugendfeuerwehren, etc
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  • I. E.
    Ach ja - die Austrittszahlen sind katastrophal - lagen aber 2022 nicht bei 800.000, wie von Ihnen geschrieben, sondern „nur“ gut 600.000, also 200.000, also 25% weniger, als von Ihnen behauptet!
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  • M. D.
    ..."Weil sich die Menschen in der Großstadt Ninive weder um Gott noch umeinander kümmern, soll Jona ihnen im Namen Gottes eine Moralpredigt halten. Doch darauf hat der Prophet keine Lust."....

    Sehr sympathisch! Aber in der heutigen Zeit brauchen wir natürlich eines ganz dringend: mehr "Moralpredigten"....!

    Im Ernst: die Kirche und ihre auf Schuldprojektionen und Unterwerfungsfantasien basierende Doppelmoral sind ein nicht ganz unwesentlicher Teil des Problems der gesellschaftlichen Zerwürfnisse und der Zerrissenheit und auch Vereinsamung von zahlreichen Menschen, die hier keine verlässliche Struktur und keine glaubhafte Identitätsstiftung mehr erfahren.
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  • M. D.
    Ja, wenn man alle seine Verantwortung mit struktureller Hilfe von Institutionen wie der Kirche auf Fantasie-Figuren wie den Osterhasen oder einen "Gott" projizieren kann dann entlastet das natürlich den Menschen - und er kann ungeniert alles Negative auf diverse Mitmenschen projizieren, selektiven Eskapismus betreiben und sich in "Geschichten" flüchten....

    Die Geschichte der christlichen Kirche ist eine Geschichte der Ausgrenzung, der Doppelmoral, der Täuschung und der Projektion, und schon lange keine gute mehr.
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  • F. B.
    War das mit dem"Heidenspaß"am Ende des Artikels Absicht?
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