Statistisch gesehen hat jeder Mensch in Deutschland ein Fahrrad oder ein E-Bike. Ein Ende des Booms? Nicht abzusehen: Der Trend geht zum Zweitrad. Das zeigen Zahlen für das Jahr 2022, die der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) und der Verband des deutschen Fahrradhandels (VDZ) veröffentlicht haben. Demnach kurbeln jetzt mehr als 83 Millionen Räder durchs Land – 73 Millionen Fahrräder, 10 Millionen E-Bikes.
Und all diese Räder müssen regelmäßig in die Werkstatt. Doch ohne Termin geht nichts mehr, sagt Werkstattleiter Alexander Trapp vom CUBE Store in Lohr: "Wir haben derzeit vier bis sechs Wochen Vorlauf für einen Termin." Eine Woche beträgt die Wartezeit bei Volker Rosenberger aus Karlstadt. Dabei werden in beiden Läden Kundinnen und Kunden, die ihr Rad vor Ort gekauft haben, bevorzugt. Notfälle, so gaben beide Radexperten an, würden nach Möglichkeit eingeschoben.
Selber machen statt Werkstatt?
Dabei könnten solche Notfälle, wie etwa ein platter Reifen oder abgefahrene Bremsbeläge, oft selber gerichtet werden. Laura Ganswindt, Pressesprecherin des ADFC Bayern, verweist auf Bücher zu Fahrradreparaturen, die oft auf einen Radtyp spezialisiert seien. Im Internet gebe es zahlreiche Erläuterungen und "auch die Bedienungsanleitungen sind häufig hilfreich." Wenn es um den Elektroantrieb geht, habe man als Laie jedoch keine Chance.
Das E-Bike, so Rosenberger, sollte einmal pro Jahr oder alle 2000 Kilometer in die Werkstatt. Dabei sei die Serviceanzeige im Display der Segen der ganzen Branche. Räder würden heute vorsorglich gebracht, und nicht erst, wenn etwas kaputt ist. Einfacher würden Reparaturen dadurch jedoch nicht. Die Qualität der Räder sei zwar gestiegen, sagt Rosenberger, "das billigste Elektrorad ist heute besser als das durchschnittliche Tourenrad vor 20 Jahren". Doch die Wartung ist kompliziert geworden. Die Software hat immer mehr Funktionen, die Abhängigkeit vom Smartphone steigt, denn ohne bleibt bei neuen Modellen der Motor aus und die Schaltung gehorcht einer App. Das Display hat eine Fernbedienung am Lenker und jede Komponente einen eigenen Akku.
Außerdem beanspruche die Vormontage neuer Räder mehr Zeit als früher, so Trapp. Softwareupdates, Kalibrierung von Sensoren, Einstellung des ABS – für das nötige Know-how nehmen die Mechatroniker jährlich an Schulungen teil.
Ersatzteillage bessert sich
Immerhin komme man jetzt meist wieder an Ersatzteile, sagt Trapp. Corona, die Havarie im Suez-Kanal und der Krieg in der Ukraine hatten einiges durcheinandergebracht. Die Lieferketten, so Trapp, hätten sich zwar entspannt, speziellere Teile seien jedoch nach wie vor schwierig bis gar nicht zu bekommen. "Wir haben dazugelernt und unseren Lagerbestand extrem, teilweise um 150 Prozent, aufgestockt." Man wisse nie, wann die nächste Lieferung komme: In sechs Wochen oder in sechs Monaten. Trapp beobachtet, dass das Verständnis für das Rad gestiegen ist. "Es ist ein Statussymbol geworden." Die hohen Preise würden akzeptiert und auch die Wartezeiten auf einen Werkstatttermin.
Damit das Rad möglichst selten in die Werkstatt muss, sollte es angemessen bewegt werden. Ein MTB, so Trapp, sei ungeeignet für Sprünge, Stoppies und Treppenfahren; ein Trekkingrad gehöre nicht auf MTB-Trails. Doch auch der schlechte Zustand der örtlichen Radwege sei schuld. Schlaglöcher, Wurzeln und ungeeigneter Bodenbelag gehen bei den Alltagsrädern ohne Federung aufs Material. "Von Traumzuständen wie in Holland sind wir noch weit von entfernt", meint er.
Gut hat es, wer sein Rad vor Ort gekauft hat. Trapp erläutert, dass eigene Kunden, und die Eigenmarke bei Terminen bevorzugt werden. Auch in Karlstadt werden die eigenen Räder priorisiert. Volker Rosenberger, dort Fahrrad-Händler und -Mechaniker, meint, wer sein Rad im Internet kaufe, sei ewig Bittsteller. "Wir haben insgesamt eine Schieflage am Markt." Es würden mehr Räder verkauft, als repariert und gewartet werden könnten. Selbstverständlich lehne er auch Anfragen ab, sagt Rosenberger. "Jedes Ja zu jemand anderem ist ein Nein zu meinen eigenen Kunden."
"Wir könnten noch ein paar Werkstätten bei uns brauchen", meint auch Trapp. Denn der Rad-Boom setzt sich bei den Werkstätten tatsächlich nicht fort. Zahlen der Handwerkskammer Unterfranken (HWK) zeigen zwar einen Sprung: Im Jahr 2021 kamen in Unterfranken 12 Zweiradmechatroniker-Betriebe dazu. Doch 2022 entstanden nur noch drei weitere neu. Außerdem seien in diesen Zahlen auch Betriebe für Motorradtechnik enthalten, so Nadine Heß von der HWK.
Gibt es wenigstens mehr Auszubildende? Leider nein. "Die Zahl der Auszubildenden im Beruf Zweiradmechatroniker/in, Fachrichtung Fahrradtechnik, bewegt sich unterfrankenweit in den letzten Jahren auf ähnlichem Niveau – eine Steigerung aufgrund des Fahrradbooms ist hier nicht abzulesen", berichtet Heß. 2021 befanden sich 13 Menschen in Ausbildung, 2022 nur sechs - in ganz Unterfranken.
Reiner Kolberg vom Zweirad-Industrie-Verband meint, der Beruf könnte mehr Zuwachs erhalten und gefördert werden von Innungen, Handelskammern und Kommunen. Denn hier, wie in allen Branchen und Berufen, spiegele sich der Fachkräftemangel wieder. Rosenberger meint außerdem: Der Meisterbrief ist zu teuer. "Ohne Meister keine Azubis, ohne Azubis kein Fachpersonal."