Es ist eines der ältesten Häuser in Gemünden, und es steht fast komplett zum Verkauf: die ehemalige Bavaria-Drogerie in der Obertorstraße. Auf einem Balken des Fachwerkhauses in der Altstadt ist die Jahreszahl 1686 zu lesen. Während der Großteil der Innenstadt bei der Eroberung durch die Amerikaner zerstört wurde, blieb das Gebäude der Bavaria-Drogerie stehen. Es ist auch in den Filmaufnahmen des Einmarsches zu sehen, zwei Häuser weiter das brennende Kaufhaus Schäffer.
Schlimmer wurde das Haus erwischt, als die Amerikaner nach ihrem Einmarsch aus der Gasse daneben mit 27 Schuss aus einem Granatwerfer die Fassade der Stadtpfarrkirche einlegten, weiß Stadtführerin Lotte Bayer. Durch die Wucht wurde das gesamte Haus nach hinten verschoben, so dass es später mittels einer Seilwinde wieder vorgezogen und das Fachwerk neu ausgefacht werden musste. "Mei Knochegerüst" habe Thea Hannawacker, später Meichelbeck, immer zum Haus gesagt, erinnert sich Bayer.
Das stattliche Haus mit vier Eigentumswohnungen und einem Ladengeschäft unten soll 499 000 Euro kosten, heißt es in der Immobilienanzeige. Eine weitere Wohnung ist bereits verkauft. Das Ladengeschäft steht leer, bis auf eine auch alle Wohnungen. Doch in welchem Zustand ist das Haus? Ilka Reinhard, die Pflegekräfte vermittelt und bis vor einem Jahr im Erdgeschoss ihr Büro hatte, berichtet, dass es vor einem Jahr einen nächtlichen Vorfall mit einer übergelaufenen Toilette in einer Wohnung darüber gegeben habe. Das Wasser sei von oben auch durch eine leere Wohnung bis hinunter in die Geschäftsräume gesickert, wo die Decke heruntergekommen sei. Sie habe von einem auf den anderen Tag ausziehen müssen.
Immobilienmakler: Haus in einwandfreiem Zustand
Walter Horz, Obergerichtsvollzieher a.D., von SGI Immobilien in Frankfurt, die das Gebäude im Namen eines Insolvenzverwalters verkauft, sagt, das Haus wurde nach dem Vorfall renoviert und sei jetzt in einem einwandfreien Zustand. Er sei mehrfach vor Ort gewesen. Gerüchte, im Haus sei Schimmel, stimmten nicht. Die Wohnungen seien noch vom Vorbesitzer "bildschön gemacht" worden, "wie Erstbezug". Gerne hätten sie das gesamte Haus zum Kauf angeboten, aber der Eigentümer der einen Wohnung möchte nicht verkaufen. Horz ist etwas verwundert, dass er das Gebäude noch nicht losgeworden ist.
Laut der Anzeige beträgt die Wohnfläche rund 194 Quadratmeter, die Nutzfläche des Ladens etwa 120, hinzu kommt ein Gewölbekeller. Die Wohnungen vom 1. Stock bis in den 3. Stock haben eine Größe von zweimal 33 Quadratmeter, 60 und 66 Quadratmeter. Er habe das Gebäude von der Schwiegertochter einst zum Kauf angeboten bekommen, aber die kleinen Räume und der Sanierungsaufwand hätten ihn abgeschreckt, erzählt der Karlstadter Parfümerie-Inhaber Michael Keller-May, der bis 2010 eine Filiale in der ehemaligen Bavaria-Drogerie hatte. 2019 wurde das Gebäude laut Anzeige umfassend saniert. Die Wohnung im Dachgeschoss hingegen ist nach dem Wasserschaden noch zu sanieren, dafür habe der Insolvenzverwalter kein Geld, sagt der Makler.
Lotte Bayer erinnert sich an die schöne Einrichtung der Drogerie früher – von unten bis oben aus Holz "mit so Schubfächlich, das war was Besonderes". Eine, die die alte Einrichtung auch noch gut kannte, ist Resi Knoblach, 72, die als 14-Jährige dort eine Ausbildung begann. "Das war damals ein ganz dunkles Loch", erinnert sie sich, nur durch eine Scheibe in der Tür kam Tageslicht herein, die Schaufenster waren von innen mit einer Holzvertäfelung zu. Es habe den ganzen Tag nur künstliche Beleuchtung gegeben. Erst Michael Keller-May hat sie in den 80er Jahren umgebaut.
Wurmmittel und Warzenzerstörer
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als die Drogerie noch von der Familie Hannawacker geführt wurde, gab es dort allerlei nützliche Dinge, wie ein Blick in den "Gemündener Anzeiger" verrät: Es gab "Würmol", "das viel geforderte Wurmmittel", der Beutel zu 30 Pfennigen ("Schmeckt fein! Wirkt ausgezeichnet!"), außerdem Dinge wie Schweinemastpulver, Mittel gegen Ungeziefer ("Viewohl"), Haarausfall, Lilienmilchseife "für zarte, weiße Haut und blendend schönen Teint" und "Dr. Busleb's Warzenzerstörer". Die gemeine Gemündenerin und der gemeine Gemündener kamen früher also wohl gar nicht herum um die Drogerie.
Was früher einmal in dem Haus war, ist unbekannt. Das Archiv der Stadt wurde im Krieg zerstört. 1872 führte Philipp Hannawacker offenbar dort eine "Specereiwaarenhandlung". Das Gebäude, so ist es auf alten Bildern zu sehen, hatte früher weiße Fenster ohne Sprossen, der Ausleger mit dem Schriftzug "Bavaria-Drogerie" hat mehrmals sein Aussehen verändert, in den 30er Jahren war die Schrift nicht in Fraktur.
Resi Knoblach kann Genaueres zu früheren Eigentümern im 20. Jahrhundert erzählen. Der Drogist Franz Hannawacker fiel im Krieg und hinterließ seine Frau Thea und Sohn Reinfried. Da eine Drogerie auch einen Drogisten brauchte, suchte die Witwe per Inserat nach einem solchen. Es meldete sich der aus Heidelberg stammende Eduard Meichelbeck, der damals in Hamburg in einer Drogerie arbeitete, und heiratete die Witwe. Fortan firmierte die Drogerie unter "Bavaria Drogerie, Inhaberin Thea Meichelbeck", erinnert sich Knoblach.
Eigentlich war sie nicht besonders glücklich mit ihrer Ausbildung als kaufmännische Angestellte bei der Bavaria-Drogerie. Sie wäre gern Kindergärtnerin geworden, aber ihr Vater, der mit Reinfried Hannawacker gut bekannt war, habe kurzerhand einen Lehrvertrag bei der Drogerie unterschrieben. Aber da in jedem Lehrjahr Lehrlinge da waren, habe es immer Trubel gegeben. "Es war eigentlich dann doch auch schön." Und Meichelbeck sei ein "klasse Chef" gewesen, in der Mittagspause durften sie Kaffee machen, und der Chef hat vom Madlon Kuchen geholt. Weil sie eine Familie gründete, schied Resi Knoblach zunächst aus.
Der Hannawacker-Sohn hatte eine Drogerie bei Berchtesgaden
Reinfried Hannawacker hatte nach Schönau am Königssee bei Berchtesgaden in eine dortige Drogerie eingeheiratet, war aber schon 1968 verstorben. In den 1970er Jahren übernahm dann der Karlstadter Drogist Rehbock die Bavaria-Drogerie und gab dafür sein kleineres Geschäft in Karlstadt (neben dem Café Schrödl) auf. Ab und zu half Knoblach bei Rehbock aus. Mit der Stadtsanierung in Gemünden hörte der jedoch auf und mit Michael Keller-May übernahm ein weiterer Karlstadter.
25 Jahre lang, vom ersten bis zum letzten Tag von Keller-May in Gemünden, arbeitete Knoblach in der Parfümerie mit. Reinfried Hannawackers Witwe Helene verkaufte nach dem Tod von Thea Meichelbeck die Drogerie an einen Gemündener Gastronomen. Nach dem Auszug der Parfümerie war ein Versicherungsvertreter in den Geschäftsräumen, dann Ilka Reinhard mit ihrer Vermittlung von Pflegekräften. Letzter Eigentümer war offenbar ein inzwischen verstorbener Herr aus Forchheim.
