Über die großflächige Zerstörung Gemündens am Kriegsende 1945 wurde in den vergangenen Jahren bereits viel geschrieben. Gemündens Kreisheimatpfleger Bruno Schneider hat in einem Nachlass nun einen Bericht des Gemündener Stadtpfarrers Burkard Ruf über die Kriegsschäden in der Pfarrei Gemünden entdeckt und abgeschrieben. Dieser muss laut Schneider Ende 1945 abgefasst worden sein und wurde an die Diözese geschickt. Alle Pfarrer mussten damals solche Berichte schreiben, so Schneider.
Ruf berichtet unter anderem vom ersten schwarzen Tag, den Gemünden am Nachmittag des 26. März 1945 erlebte. "Etwa 50 % von Gemünden wurde zerstört, der Erdstollen am Amtsgericht mit etwa 120 Menschen verschüttet (von denen nur 48 ausgegraben werden konnten), und die Bahn völlig lahmgelegt. Seitdem fehlen Wasser und Strom. Pfarrkirche und Pfarrhaus erlitten erhebliche Dach- und Fensterschäden."
Pfarrer kam gerade noch nach Gemünden zurück
Bereits am 24. März um 16.30 Uhr und am Palmsonntag, 25. März, um 7 Uhr haben einzelne feindliche Flieger das Bahnviertel von Gemünden angegriffen und neun "Menschenleben vernichtet", schreibt Ruf. Die Opfer vom 24. März wurden am 27. März um 6 Uhr auf dem Friedhof in Kleingemünden beerdigt. "Kurz nachdem der Pfarrer die Saalebrücke passiert hatte, wurde dieselbe gesprengt. Um 7.30 Uhr stand bereits eine amerikanische Panzerspitze in Kleingemünden vor der Brücke."
Die Rede ist von der 307 Mann starken "Task Force Baum", die sich in einer geheimen Kommandoaktion von Aschaffenburg kommend bis Gemünden vorgearbeitet hatte. Als GIs der Task Force von Kleingemünden kommend mit einem Sherman-Panzer auf die Saalebrücke fahren wollten, ließen deutsche Soldaten die zum Sprengen vorbereitete Brücke hochgehen. Die Task Force musste über Rieneck nach Hammelburg fahren.
Der größte Teil der Bevölkerung hatte die Stadt verlassen und war in die umliegenden Orte geflohen, berichtet Pfarrer Ruf. Er selbst hatte sich mit etwa 70 Personen in den Wald von Reichenbuch begeben und war am Mittwoch den 28. wieder ins Pfarrhaus zurückgekehrt. "Die Liturgie der Kartage konnte wegen dauernder Fliegergefahr nicht gefeiert werden. Mit wenigen Leuten wurde eine kurze Andacht in der beschädigten Kirche abgehalten." Nachdem die beiden Osterfeiertage verhältnismäßig ruhig verliefen und wieder die heilige Messe mit den Zurückgekehrten gefeiert werden konnte, erfolgte am Dienstag, 3. April, ein schwerer Bombenangriff auf die Innenstadt.
Verschüttete konnten monatelang nicht geborgen werden
Über die Einnahme und weitere Zerstörung Gemündens am 4. und 5. April schrieb Ruf unter anderem, dass am 4. April der Erdstollen bei der Volksschule mit etwa 80 bis 100 Personen verschüttet wurde, "die bis jetzt nicht geborgen werden konnten". Als die Amerikaner die Stadt eingenommen hatten und die Altstadt brannte, musste die Bevölkerung ihre Wohnungen verlassen und wurde teils in der Kirche, teils im Keller des alten Schulhauses etwa zwei Stunden gefangen gehalten, so Ruf – "auch der Pfarrer trotz Protest".
Doch damit war es mit der Zerstörung noch nicht vorbei. Am darauffolgenden 6. April griff der immer größere werdende Brand im Stadtinnern auf Kirchturm und Kirche über, sodass sie um 16 Uhr einstürzte. "Angeblich wegen Gefährdung des durchrollenden Nachschubs wurde die Kirchenfassade durch 27 Schuss amerikanischer Granatwerfer eingelegt." Die neuentfachte Glut habe sämtliche Häuser am Schlossberg in Brand gesetzt, so dass 80 Prozent der Stadt zerstört wurden.
Gottesdienste unter freiem Himmel
Ruft zählte auf, was an Kirchengut gerettet wurde: sämtliche Kelche, Monstranzen, aber nur wenige Messgewänder. Die ganze übrige wertvolle Ausstattung an Wäsche, Altardecken, Teppichen, Statuen und sonstigem fiel dem Feuer zum Opfer, da die obere und untere Sakristei vollständig ausbrannten. Orgel, Kanzel und Seitenaltäre wurden zertrümmert und gingen in Flammen auf, der Hochaltar stark beschädigt. Kirche und Turm waren eine Ruine und für Gottesdienste völlig unbrauchbar. Der Sonntagsgottesdienst wurde teils im Josefshaus und Krankenhaus, teils auf freiem Feld abgehalten.
Im Anwesen Brückleinsweg 294 1/9 (Villa Englert) wurden die drei großen Räume des Erdgeschosses zu einem einzigen Raum verbunden und als Notkapelle eingerichtet. Drei Zimmer des ersten Stockes bewohnen Pfarrer, Haushälterin und Hausgehilfin. Gottesdienste wurden außerdem gehalten in den Kapellen des Krankenhauses und des Josefshauses, dazu noch im Saal des Hotel Koppen. Das bisherige Pfarrhaus konnte nur unter größten Anstrengungen gerettet werden. Es wies erhebliche Dach-, Fenster-, und Bauschäden auf und wurde vorübergehend von zwei total ausgebombten Gemündener Familien bewohnt.
Ruf regte an im Brückleinsweg/Baumgartenweg eine neue Kirche zu bauen. 1954 wurde zwischen Baumgartenweg und Kolpingstraße die Dreifaltigkeitskirche fertiggestellt. Wünschenswert wäre es, "auch die alte Pfarrkirche wieder erstehen zu lassen" (was bekanntlich geschah), so Ruf. "Zurzeit bestehen freilich in der Stadtmitte fast unüberwindliche Bau- und Verkehrsschwierigkeiten."