
Es klingt so schön einfach: Schrank auf, Kleider rein, Sack zu, vor die Tür, fertig! Seit rund 30 Jahren sammelt das Dekanat Main-Spessart zweimal jährlich alte und noch gut erhaltene Kleidung an den Straßenrändern von Lohr, Marktheidenfeld und Karlstadt und Umgebung. Für den Bürger ist das Thema Altkleider-Entsorgung also in fünf Minuten erledigt. Und hinterlässt auch noch ein gutes Gefühl, denn mit dem Erlös unterstützt das Dekanat Missionare aus der Region Main-Spessart sowie Vereine, die sich für wohltätige Zwecke einsetzen.
Doch das System bröckelt: Letztes Jahr musste bereits die Herbstsammlung abgesagt werden. Und ob die Sammlungen in diesem Jahr wieder aufgenommen werden können, ist noch unklar. Was genau aber steckt dahinter? Warum ist das System, das jahrzehntelang funktionierte, derzeit so in der Krise? Und was könnte das zukünftig für den Bürger bedeuten?
Hermann Bischof arbeitet bei der Firma Striebel Textil GmbH. Der Kleidersortierbetrieb aus dem oberen Donautal verarbeitet seit vielen Jahren den Inhalt aus den Sammlungen in MSP. Er erklärt, was bei den Sortierern an Ware ankommt, welchen Weg die Textilien gehen und welche Probleme sich in den letzten Jahren summiert haben.
Wieviel Erlös kommt durch die Sammlung zustande?
Durchschnittlich werden in MSP zwischen 60 und 70 Tonnen pro Jahr gesammelt. "Wir kaufen die Altkleider praktisch ab", erklärt Bischof. Abgerechnet wird nach Kilo. Im Frühjahr 2024 lag der Preis dabei bei 28 Cent pro Kilo. "Das können aber auch schon mal 17 Cent sein, aber auch mal 40", erklärt der Experte. Die Schwankungen seien abhängig von der Marktlage, aber auch der Auslastung der Lkws. Mit 1500 bis 2000 Euro pro Sammlung rechnet Alexander Sitter von der zuständigen Abteilung Weltkirche bei der Diözese Würzburg.

Was passiert mit den Kleidern beim Sortierbetrieb?
Angekommen im Werk erfolgt das Sortieren ausschließlich in Handarbeit, sprich Säcke werden geöffnet, Kleidungsstücke bewertet und verteilt. Der Transport der Kleider im Werk und das Befüllen der Vorratsbehälter erfolgt maschinell. Im Durchschnitt können 50 Prozent der angelieferten Textilien weiter getragen werden. Sind die Stücke noch tragbar, werden sie folgendermaßen sortiert:
- 1A-Qualität: top Qualität, sehr modisch, maximal ein bis zwei Jahre alt, sehr sauber und ohne Fehler
- 1-Qualität: modisch circa zwei bis drei Jahre alt, wenig getragen, sauber und ohne Fehler
- 2-Qualität: tragfähige Kleidung mit kleinen Mängeln und nicht zwingend modern, über vier Jahre alt
- 3-Qualität: modische Stücke, die aber abgenutzt sind
Wohin gehen die Kleider? Absatzmärkte?
Die Altkleider werden weltweit verkauft, allerdings aufgrund politischer Probleme nicht nach Südamerika und auch nicht nach Nordamerika, da es hier fast keinen Markt für Secondhand-Ware gibt. Beste Ware wird überwiegend nach Osteuropa verkauft. Ware mittlerer Qualität geht überwiegend nach Afrika. Ware minderer Qualität nach Indien und Bangladesch.
Was passiert mit den 50 Prozent, die nicht mehr als Secondhand-Ware verkauft werden kann?
Bettwäsche und Trikotstoffe werden zu Ballen gepresst und im günstigeren Ausland zu Putzlappen verarbeitet. Alte Wolle kann zu neuem Garn, Flickenteppichen oder Dämmmaterial verarbeitet werden. Alte Jeansstoffe werden gehäckselt und dienen teils der Automobilindustrie als Baumwolllieferant für Türverkleidungen und Innenraumbezüge.
Alte Funktionskleidung kann laut Bischof nur über den Rest- oder Sondermüll entsorgt werden, da die wasserabweisenden Membranen teils mithilfe von Chemiefasern oder speziellen Lösungsmitteln hergestellt werden. Gürtel, Leder oder reflektierendes Material kann teils als Sekundärbrennstoff in Zementwerken verarbeitet werden.
Was ist im letzten Jahr passiert? Warum gab es keine Herbstsammlung?
Durch die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen wurden die Lieferketten so unterbrochen, dass keine Ware mehr fließen konnte. Das führt auch zu eingeschränkten Altkleidertransporten und somit letztlich zu überfüllten Kleiderlagern.
Ein weiteres Problem ist der Trend zu Ultra-Fast-Fashion. Dabei handelt es sich um Kleidung, die extrem schnell und billig produziert wird. Landet diese in der Altkleidersammlung, senkt sie durch die geringe Qualität und den Einsatz von Kunstfasern erheblich die Qualität. Zum anderen konkurriert Fast-Fashion-Mode mit der Secondhand-Ware auf dem Absatzmarkt, da die Kleidung extrem günstig ist.

Nach der neuen EU-Richtlinie dürfen Altkleider, Bettwäsche und andere textile Abfälle nicht mehr in der Restmülltonne entsorgt werden. Welchen Einfluss hat das?
"Von 1,5 Millionen Tonnen Altkleidern jährlich konnten bisher 1 Million erfasst und recycelt werden", so Bischof. Er befürchtet, dass diese sehr gute Quote durch das neue Gesetz ins Schwanken gerät. "Wenn in den Säcken und Containern zunehmend Textil-Müll ist, lässt sich immer weniger Ware gewinnbringend verkaufen und das ganze Geschäft bricht zusammen", erläutert er. Um hier entgegenzuwirken, weist das Landratsamt Main-Spessart darauf hin, stark zerschlissene, verdreckte oder anderweitig kontaminierte Textilien weiterhin über die Restabfalltonne zu entsorgen.
Ein weiteres Problem: Dadurch, dass Altkleider-Container sich zu Mülleimern entwickeln, hätten einige Kommunen ihre Container bereits abgezogen. Das führt wiederum zu Verlusten bei den Sortierbetrieben. "Wenn sich hier nichts ändert, werden die Sortierbetriebe verschwinden und der Staat muss das Altkleider-System staatlich subventionieren, sprich der Bürger muss letztlich für die Entsorgung zahlen", so Bischof.
Was kann jeder tun?
Seinen eigenen Kleiderkonsum überdenken: "Brauche ich diese Hose wirklich? Kann ich beim Kauf mehr auf Nachhaltigkeit achten?'", so Bischof. Wird ausgemistet, dann sollten im Container oder im Altkleidersack nur gut erhaltene, tragbare Textilien landen. Gleichzeitig müssten stark vermüllte Containern stillgelegt werden, damit die Qualität der Ware nicht weiter sinkt. Zuletzt bestehe auch immer noch die Hoffnung, dass Kriege beendet und Absatzmärkte dadurch wieder erreichbar werden.