
Prozessauftakt in Aschaffenburg: Vier Jahre nach dem Tod der 16-jährigen Mezgins steht ab diesem Donnerstag ihr Vater Hashem N. wegen Mordes sowie Mordversuchs vor Gericht. Damit beginnt der vielleicht letzte Akt eines jahrelangen Dramas, das bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Der angeklagte 46-jährige Syrer hatte bereits wegen gewaltsamer Übergriffe auf seine Tochter einen Termin vor Gericht, als Mezgin plötzlich spurlos verschwand – und wenig später auch Hashem N. selbst.
Die 16-Jährige aus Goldbach im Landkreis Aschaffenburg war am 4. Mai 2017 von Verwandten als vermisst gemeldet worden. Mezgin war der Berufsschule nicht nach Hause gekommen. Vergeblich hatte die Polizei unter anderem mit Flugblättern nach der jungen Frau gesucht. Ein Polizeihubschrauber war im Einsatz, ebenso Taucher im Main.
Freund der Tochter in den Hafen gelockt
Vier Wochen später soll der Vater nach Polizeiangaben einen jungen Landsmann, mit dem Mezgin befreundet war, nachts zu einem Treffpunkt in den Aschaffenburger Hafen gelockt haben. Dort soll der Syrer, so die Anklage, versucht haben, den jungen Mann umzubringen. Kurz darauf floh er in die Türkei. Im Dezember 2018 entdeckten Spaziergänger schließlich ein Skelett im Wald, bei dem es sich um die sterblichen Überreste von Mezgin handelte. Da galt der Vater schon als verdächtig, die 16-Jährige getötet zu haben.
Nach jahrelanger Flucht lieferte die türkische Regierung den 46-jährigen Syrer im vergangenen Herbst nach Deutschland aus. Nach Angaben des Landgerichts Aschaffenburg wird er verdächtigt, den Lebensstil seiner Tochter nicht akzeptiert und sie deshalb im Mai 2017 getötet zu haben - als Strafe und um seine Ehre wiederherzustellen.
Frauenhilfsorganisation spricht von "Form der Selbstjustiz"
Der Frauenhilfsorganisation Terres des Femmes zufolge werden auch in Deutschland immer wieder vor allem muslimische Frauen wegen ihres Lebenswandels getötet. Als vermeintlich "Ehrlose", die nicht den auferlegten Verhaltensnormen nachkommen, würden sie von Familienmitgliedern, die sich zu Wächtern der Sittlichkeit berufen fühlen, attackiert. "Im sozialen Umfeld des Täters wird die Tötung des Opfers als notwendige und angemessene Reaktion auf die begangene Ehrverletzung betrachtet und durch einen entsprechenden Kodex gerechtfertigt", heißt es bei Terres des Femmes. "Es findet eine Form der Selbstjustiz statt."

Die Große Strafkammer des Landgerichts Aschaffenburg als Schwurgericht hat ab diesem Donnerstag insgesamt 14 Verhandlungstermine für den Mordprozess angesetzt. Um trotz der Corona-Pandemie das Verfahren zu ermöglichen, wird im Schloss Johannisburg verhandelt. Auch dort aber ist aufgrund der Corona-Auflagen die Anzahl der Zuschauerplätze stark eingeschränkt.
Mit einem Urteil ist Ende April zu rechnen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels wurde das Wort "Ehrenmord-Prozess" verwendet. Wir haben dies in das neutrale "Mordprozess" geändert.
https://www.zeit.de/kultur/2021-02/mord-frauen-femizid-ehrenmord-justiz-rassismus-10nach8