
Opiate sind starke Schmerzmittel mit einer hohen Suchtgefahr. Die Verschreibungen von Opiaten hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Mehreren Medien-Berichten zufolge lag der pro-Kopf-Konsum in Deutschland zwischenzeitlich höher als in den USA, wo 2017 der nationale Gesundheitsnotstand wegen der sogenannten Opiat-Krise ausgerufen worden war. Dort sterben zehntausende Menschen pro Jahr an einer Überdosis.
Als Vorstand der Initiative unbestechlicher Ärzte (Mezis) macht Professor Dominikus Bönsch, Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie, vor allem die Pharmaindustrie für diese Entwicklung verantwortlich. Als ärztlicher Leiter des Bezirkskrankenhauses in Lohr (Lkr. Main-Spessart) muss Bönsch zunehmend Patientinnen und Patienten behandeln, die wegen verschriebener Opiate abhängig wurden. Im Interview erklärt er, was der Grund dafür ist und was dagegen getan werden kann.
Prof. Dominikus Bönsch: Was man in den USA sieht, ist ein typisches Beispiel dafür, was passiert, wenn man die Pharmaindustrie machen lässt, was sie möchte. Opiate wurden als Einnahmequelle entdeckt und massiv auf den Markt gedrückt. Die Risiken wurden kleingeredet, die Nutzen hervorgehoben. Opiate sind dann für diverse Schmerzarten gängig geworden und Patienten haben eine Sucht entwickelt. Auch in Deutschland haben wir einen deutlichen Anstieg der Verordnungen von Opiaten, der eigentlich nicht gerechtfertigt ist und zunehmend zu Problemen führt. Ich glaube aber nicht, dass wir eine Opioid-Krise haben. Da hilft uns unser Behördentum, das an vielen Stellen restriktiver ist als in den USA.
Bönsch: Vor 20 Jahren war es eine extreme Rarität, dass man jemanden entgiften musste, der Opiate verschrieben bekommen hat und abhängig geworden ist. Inzwischen sehe ich solche Patienten zum Teil mehrfach in der Woche.

Bönsch: Bei schweren Krebserkrankungen und Schmerzen am Ende des Lebens können Opiate sehr gut helfen. In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl dieser Fälle jedoch nicht gestiegen. Angestiegen sind die Verschreibungen bei chronischen Schmerzen, vor allem bei Rücken- oder Arthrose-Schmerzen. Diese Menschen haben einen hohen Leidensdruck und gleichzeitig gibt es Ärzte, die mit den Patienten schon verschiedenste Sachen ausprobiert haben. Die Ärzte wollen helfen, sind aber mit ihren üblichen Mitteln am Ende und der Patient leidet immer noch. Dann kommt der Punkt, wo die Opiate auf beiden Seiten locken. Die Patienten sind zufrieden damit und die Ärzte haben das Gefühl, das ultimative Mittel gefunden zu haben. Aber Opiate sind hier völlig verkehrt.
Bönsch: Tumor- und Palliativschmerzen gehören einer völlig anderen Schmerzkategorie an, als zum Beispiel Arthrose-Schmerzen. Während Opiate bei den Tumor- und Palliativschmerzen sehr wirksam sind, hilft es bei den anderen Schmerzen nicht, sondern dämpft den Schmerz nur. Bei Arthrose würde einem Großteil der Patienten Bewegung besser helfen.
Bönsch: Opiate machen glücklich. Patienten beschreiben es als ein entspanntes Gefühl, bei dem alle Probleme weit weg sind. Das ist ein Zustand, der mit nichts anderem vergleichbar zu sein scheint. Wenn dieses Gefühl regelmäßig empfunden wird, ist es schwierig, das wieder loszulassen. Man geht davon aus, dass man etwa zwei bis vier Wochen braucht, bis sich eine Sucht entwickelt.
Bönsch: Von den Schmerzpatienten werden nicht alle abhängig. Gerade in einer palliativen Situation entwickelt sich häufig keine Abhängigkeit. Aber von denen, die Opiate wegen einer falschen Indikation bekommen, werden ungefähr 20 bis 30 Prozent süchtig. Es sind oft die über 50-Jährigen, wo vermehrt Rücken- und Arthrose-Schmerzen auftreten. Gerade diesen Menschen schadet die Sucht besonders, da sie die Opiate schlechter vertragen.
Bönsch: Wir begegnen Opiatabhängigen in zwei Bereichen. Das eine ist der Suchtbereich, wo der Schwerpunkt auf den illegalen Drogen liegt. Der zweite Bereich ist die Gerontopsychiatrie, also die Alterspsychiatrie. Opiate lösen bei älteren Menschen Verwirrtheitszustände aus, die dann der Grund sind, warum sie zu uns kommen. In beiden Bereichen haben wir es mit der gleichen Sucht zu tun. Die Dosis der Medikamente wird immer weiter reduziert, bis der Entzug geschafft ist. Der körperliche Entzug ist dann vorbei, aber das Verlangen nach dem Medikament, das bleibt über Jahre, oft das ganze Leben lang. Dafür muss man Mechanismen entwickeln, gut damit umgehen zu können.
Bönsch: Die Situation von jemanden, der auf der Straße lebt und Heroin und andere Drogen konsumiert, ist nicht vergleichbar mit jemanden, der wegen Rückenschmerzen ein Opiatpflaster verschrieben bekommen hat und dann abhängig wurde. Für Menschen, die illegale Drogen genommen haben, gibt es Nachsorgeeinrichtungen, Reha-Angebote und ein funktionierendes System, um die Menschen aufzufangen. Für jemanden, der wegen verschriebener Opiate in die Sucht rutscht, gibt es bisher kein echtes Nachsorgekonzept. Die Suchtberatungen sind dafür nicht ausgelegt und es gibt wenig Beratungsstellen. Wir sind am Überlegen, wie wir die Nachsorge hier besser gestalten können. Dafür gibt es aber noch keine Vorbilder.
Bönsch: Man sollte mit Schmerz einen anderen Umgang finden. Die Macht der Medizin ist bei chronischen Schmerzen eher begrenzt. Mit unserer Alles-ist-möglich-Vorstellung stoßen wir an unsere Grenzen. Es gibt viele sehr gute Möglichkeiten chronische Schmerzen zu behandeln, aber Medikamente helfen am wenigstens dabei. Das Ziel ist es eher, zu lernen, mit dem Schmerz zu leben, als den Schmerz wegzubekommen. Ich würde mir hier ein Umdenken wünschen.
Da meine chronischen Schmerzen hauptsächlich in den nasskalten Monaten unerträglich sind, werde ich in dieser Zeit wieder ein Opiat einnehmen.
Von den so genannten Schmerztherapie, wo man lernen soll, mit den Schmerzen umzugehen, halte ich überhaupt nichts davon. Ich habe auch schon von anderen gehört, dass das nichts gebracht hat.