
Aus der Geschichte Main-Spessarts (123): Juden, die bis 1941 nicht flüchten konnten, wurden ermordet. Mit Zügen ging es vom Güterbahnhof Aumühle in Würzburg in die Vernichtungslager.
Einige Monate nach dem Angriff auf die Sowjetunion, im Oktober 1941, setzten die seit Sommer 1941 vorbereiteten systematischen Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Deutschland ein. Erste sporadische Deportationen hatte es schon 1940 gegeben. So waren schon Anfang Oktober 1940 unter anderem die badischen Juden nach Südfrankreich deportiert worden.
Überall in Deutschland waren die Zahlen der Juden seit 1933, also dem Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, stark gesunken: von etwas mehr als einer halben Million im "Altreich" auf zirka 210.000 im Jahr 1939 und schließlich auf zirka 185.000. Dies war hauptsächlich ein Ergebnis der Emigrationen, die vor allem nach der Reichspogromnacht stark angestiegen waren. Von 1933 bis 1939 wird mit 247.000 Auswanderern gerechnet; allein 1939 entschieden sich 78.000 Personen für die Auswanderung, die bis Mitte 1941 möglich war. Mit der Auswanderung von Kindern und Jugendlichen setzte zugleich eine Überalterung der verbliebenen jüdischen Gemeinden ein.
Im heutigen Unterfranken lebten 1933 etwa 8500 Jüdinnen und Juden, verteilt auf gut 140 Kommunen. Überall mussten sie seit 1933 Entrechtung und Ausplünderung erleben. Höhepunkt waren die Ereignisse um die Reichspogromnacht im November 1938, in der Häuser und Wohnungen geplündert und verwüstet, die meisten Bethäuser und Synagogen zerstört oder in Brand gesetzt wurden. Viele Menschen verließen daraufhin die Orte, in denen ihre Vorfahren zum Teil seit Jahrhunderten gelebt hatten.
Jüdische Gemeinden in Unterfranken lösten sich auf
Die Emigration in die Nachbarstaaten Deutschlands und vor allem in die USA war eine Möglichkeit, daneben bot sich die Abwanderung in größere Städte an, beispielsweise nach Frankfurt oder Würzburg. Man hoffte in der Anonymität einen gewissen Schutz vor Diskriminierung und Verfolgung zu finden. So lösten sich 1938 die jüdischen Gemeinden in Adelsberg, Arnstein und Gemünden, 1939 in Rieneck und Mittelsinn, 1940 in Karlstadt und Lohr auf.
Als die Deportationen im November 1941 auch in Franken einsetzten, waren noch über 2000 Jüdinnen und Juden in Unterfranken wohnhaft. Auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Main-Spessart gab es nur noch in acht Gemeinden jüdische Menschen: in Burgsinn, Heßdorf, Homburg am Main, Laudenbach, Marktheidenfeld, Thüngen, Urspringen und Wiesenfeld.
Zwischen November 1941 und Dezember 1944 wurden die Juden Unterfrankens mit neun Transporten deportiert – insgesamt 2069 Männer, Frauen und Kinder. Ziele waren die Durchgangs- und Vernichtungslager im besetzten Osteuropa: Riga-Jungfernhof, Izbica und Krasniczyn im Raum Lublin in Ostpolen, Theresienstadt und Auschwitz. Nur 63 jüdische Unterfranken überlebten.

Bei der ersten Deportation am 27. November 1941, die von Würzburg nach Skirotowa bei Riga führte, waren Juden aus Burgsinn (3), Karbach (2), Laudenbach (3), Thüngen (6) und Wiesenfeld (2) dabei, die nach Würzburg abgewandert waren. Bei der zweiten am 24. März 1942 mit dem Zielort Izbica bei Lublin Juden aus Adelsberg (2) und Wiesenfeld (19) mit dem Wohnort Würzburg.
Bei der mit 852 Personen dritten und zahlenmäßig größten Deportation aus Unterfranken Ende April 1942 wurden die Juden aus den übrigen sieben Gemeinden erfasst: Heßdorf (2), Homburg am Main (5), Karbach (27 + 1 mit Wohnsitz Würzburg), Laudenbach (11), Marktheidenfeld (9), Thüngen (3) und Urspringen (42). Mit dieser Deportation endete das zuletzt nur noch sehr eingeschränkte Leben in fast allen jüdischen Gemeinden Unterfrankens. Eine Sonderkommission aus Gestapo, SS und Kriminalpolizei hatte die Listen der betroffenen Personen nach den Vorgaben aus Nürnberg mit Hilfe des Landratsamts und der jeweiligen jüdischen Gemeinden zusammengestellt.

Vor dem Abtransport am 25. April 1942 mussten sich die Juden im Vergnügungslokal Platz´scher Garten in Würzburg einfinden. Das Eintreffen der einzelnen Personengruppen war genau geregelt. Am 22. April waren die Landkreise beziehungsweise Städte Schweinfurt, Land und Stadt, Alzenau, Brückenau, Land und Stadt, Ebern, Gemünden, Gerolzhofen, Hammelburg, Haßfurt, Hofheim, Neustadt, am 23. April Aschaffenburg, Land und Stadt, Miltenberg und Marktheidenfeld, am 24. April Karlstadt, Kitzingen, Würzburg, Land und Stadt, Bad Kissingen, Mellrichstadt und Königshofen an der Reihe.
Letzter Besitz wurde geraubt
Im Platz´schen Garten wurden sie auf entwürdigende Weise kontrolliert und ihres letzten wertvollen Besitzes beraubt. Der Weg führte zum Güterbahnhof Aumühle. Am 25. April 1942, 15.20 Uhr fuhr der Zug im Hauptbahnhof Würzburg ab. Am 28. April erreichte er um 8.45 sein vorläufiges Ziel Krasnystaw bei Lublin. Von dort führte der Leidensweg zu Fuß weiter nach Krasniczyn. Nach neueren Forschungen endete er für die Mehrzahl der Deportierten wohl im Vernichtungslager Sobibor. Kaum jemand hat den Sommer, niemand das Ende des Jahres 1942 erlebt.

Auch bei den folgenden Deportationen waren immer wieder einzelne, meist ältere Jüdinnen und Juden dabei, die zuvor in Gemeinden des Landkreises gewohnt hatten und nach Würzburg verzogen waren. Der Weg führte auch sie im September 1942 zum Güterbahnhof Aumühle. Spätere Deportationen gingen vom Würzburger Hauptbahnhof aus. Viele Juden, die in andere Teile Deutschlands oder in die im Krieg von Deutschland besetzten europäischen Nachbarstaaten geflohen waren, wurden von dort deportiert und ebenfalls meist ermordet.
Aufgabe der in den Jahren 1989 bis 1991 sanierten Synagoge in Urspringen ist es, an die jüdische Geschichte des Landkreises und vor allem an die von 1933 bis 1945 vertriebenen und deportierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger zu erinnern.

Die sanierte Synagoge in Arnstein und die entsprechenden Anstrengungen in Laudenbach unterstützen diese Aufgabe vor Ort. Und inzwischen gibt es in mehreren Gemeinden des Landkreises "Stolpersteine" und Gedenktafeln sowie für ganz Unterfranken den DenkOrt der Deportationen von 1941 bis 1944 in Würzburg.
Ab 2009 engagierte sich die Projektgruppe "Wir wollen uns erinnern" für eine auf ganz Unterfranken ausgerichtete Erinnerung an die Deportationen. 2020 wurde der "DenkOrt Deportationen" am Hauptbahnhof eröffnet. Das Denkmal wird ergänzt durch ein umfangreiches Online-Angebot.

Zahlreiche Gemeinden des Landkreises haben sich in diese wichtige Erinnerungsarbeit eingebracht und eine Kopie des Gepäckstücks am DenkOrt in der eigenen Kommune aufgestellt.
Zum Autor: Dr. Leonhard Scherg war von 1984 bis 2008 Bürgermeister von Marktheidenfeld, er ist Kreisarchivpfleger für den Altlandkreis Marktheidenfeld und Rothenfels.
Literatur: Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933-1945, Bad Neustadt 1980; Dieter W. Rockenmaier, Buchführung des Todes. Aus den Akten der Würzburger Gestapo. Die „Endlösung der Judenfrage“ im damaligen Gau Mainfranken, Würzburg 1981; „.. auf höhere Weisung abgewandert“. Leben und Leiden der Juden im Landkreis Main-Spessart, Karlstadt 1990; Martin Harth, Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Gebiet des Landkreises Main-Spessart 1933-1945, (Marktheidenfeld 1991); Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941-1943, München 2003; Rotraud Ries/ Elmar Schwinger (Hgg.), Deportationen und Erinnerungsprozesse in Unterfranken und an den Zielorten der Transporte, Würzburg 2015.
Infos zum DenkOrt Deportationen Würzburg : www.denkort-deportationen.de
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_msp