
Nach Jahrzehnten harter Arbeit die Füße hochlegen und das Leben genießen – so stellen sich wohl viele Menschen ihren Ruhestand vor. Und dann gibt es die, die einfach noch nicht aufhören wollen, weil ihnen ihr Job Freude macht, das Arbeiten sie fit hält und dem Leben Struktur gibt. Fünf Menschen über 70 haben uns erzählt, was sie motiviert.
Landwirt Alban Höfling (71): "Gebraucht zu werden ist Genugtuung"

"Wer bin ich, wenn ich nicht mehr gebraucht werde?", fragt sich Landwirt Alban Höfling. Die Landwirtschaft hat den 71-Jährigen schon immer begeistert, er stehe frühs gerne auf wenn es was zu schaffen gibt. Höfling schätzt sich glücklich, auch im Alter noch Aufgaben zu haben. Mit seiner langjährigen Erfahrung kenne er jeden Acker und Boden in Stetten und Umgebung sowie die Arbeitsabläufe genau und gebe dieses Wissen auch gerne weiter.
Alban Höfling begann 1968 eine landwirtschaftliche Ausbildung auf Gut Ebenroth bei Arnstein, sowie in Weizenbach und im dritten Ausbildungsjahr auf dem Staatsgut in Schwarzenau. Das habe ihn weltoffen gemacht, meint der Stettener. Als Betriebsleiter in der Gutsverwaltung Thüngen kümmerte er sich 40 Jahre darum, dass in dem landwirtschaftlichen Betrieb alles "rund läuft". Nebenher arbeitete er im Bauernhof seiner Eltern, welchen er mit 65 Jahren offiziell an seinen Sohn abgab.
Doch mit der gesicherten Hofnachfolge begibt sich Alban Höfling noch längst nicht in den Ruhestand. Täglich hilft er auf dem Familienbetrieb mit und übernimmt auch gerne Aufgaben für Vereine und Kollegen: "Wenn jemand fragt, komm ich mit dem Schlepper direkt vorbei", meint der Stettener und lacht. Die letzten fünf Jahre ist der Waldumbau sein Schwerpunkt geworden: "Anbauen, durchforsten und einzäunen – das macht mir unglaublich Spaß."
Augenoptikmeisterin Karin Barrois (79) und Schwester Ingrid Hahn (85): "Die Arbeit gibt uns Struktur"

Immer wieder aufs Neue freut sich Karin Barrois, wenn sie Kunden mit einer ihrer Brillen in der Stadt sieht. Die 79-jährige Augenoptikmeisterin könnte ohne ihre Kundschaft nicht leben, sagt sie. "Den Beruf finde ich bis heute spannend", meint die Marktheidenfelderin. Ihre 85-jährige Schwester Ingrid Hahn arbeitet als Buchhalterin ebenfalls noch im Familiengeschäft mit. Wie Barrois sieht sie vor allem die Routine, die ihrer Woche Struktur gibt, positiv: "So kann ich mich nicht gehen lassen."
Ihre Meisterprüfung schloss Barrois 1973 ab, arbeitete zunächst im Optikladen ihres Vaters, Optik Wolf, mit. Vor 15 Jahren eröffnete mit dem BrillenEck in Marktheidenfeld das zweite Geschäft des Familienbetriebs. Schwiegertochter, Sohn und Enkelin arbeiten heute neben Barrois und Hahn in beiden Geschäften mit.
"Die Digitalisierung hat auch im Optikberuf Einzug gefunden", gibt Karin Barrois zu. Das sei für sie allerdings kein Problem, dafür habe sie ja ihren Sohn, meint die 79-Jährige und lacht. Sie fokussiere sich stattdessen auf die Brillenberatung, das mache ihr am meisten Spaß. Handschriftlich die Buchhaltung zu führen möge veraltet sein, doch Ingrid Hahn kommt damit gut zurecht. "Solange der Kopf mitmacht" will sie noch arbeiten. Den eigenen Laden einfach loslassen, für die zwei Schwestern unmöglich.
Freier Mitarbeiter der Main-Post Günter Reinwarth (82): "Der Journalismus bleibt zeitlebens"

Seit 67 Jahren ist Günter Reinwarth nun freier Mitarbeiter bei der Main-Post. Über "Gott und die Welt" habe er in knapp sieben Jahrzehnten schon geschrieben, sagt er. Wird das nicht irgendwann langweilig? "Auf keinen Fall, das Schreiben hält meinen Geist fit!", erzählt der 82-Jährige im Wintergarten seines Hauses in Homburg. Der Journalismus werde ihn wohl nie loslassen, vermutet Reinwarth, und darüber ist er sehr froh.
So erlebe er immer neue Situationen und Perspektiven: "Ich habe letztens die Geschichte von einer Frau mit 30 Pflegekindern mitbekommen und dachte sofort: Daraus lässt sich was machen." Neben Kommunalpolitik, Weinbau und Jagd interessiert ihn bis heute vor allem die Luftfahrt. Mehrere Jahre schrieb er für ein Fliegermagazin, für welches er die Welt bereiste. "Zweimal durfte ich sogar einen Düsenflieger fliegen", erzählt der Hobby-Sportflugzeugpilot mit leuchtenden Augen.
Der Journalismus hat es dem Homburger früh angetan. 1955 begann er als freier Mitarbeiter der Main-Post, arbeitete bei Main-Tauber-Post und Main-Echo für jeweils vier Jahre als Redakteur. Anschließend ging er in die freie Wirtschaft und war 22 Jahre als Pressesprecher beim Landratsamt Main-Spessart tätig. Eine Konstante gab es in seiner Berufslaufbahn: Die freie Mitarbeit bei der Main-Post. "Solang die Gesundheit mitmacht, leg ich den Kugelschreiber nicht zur Seite", ist Reinwarth entschlossen.
Bäcker und Zusteller Josef Kümmert (72): "Unter Leuten bleiben"

Das frühe Aufstehen ist Josef Kümmert seit seinem 14. Lebensjahr gewohnt. Einen Tag nach seinem letzten Schultag begann er 1966 eine Bäckerausbildung in der Bäckerei Rudolph in Eußenheim. Bis zur Schließung der Backstube 2022 arbeitete er dort, sogar über das Renteneintrittsalter hinaus. "So konnte ich weiter meine Kontakte pflegen und unter Leuten bleiben", erzählt der 72-jährige Seifriedsburger.
Aktuell hilft er unregelmäßig bei Bäckerkollegen in Wombach und Lohr aus und arbeitet zusätzlich täglich als Zusteller für die Main Post. Ungefähr zwei Stunden nehme das Austragen jede Nacht in Anspruch, schätzt Kümmert. Der Wandel des Bäckerberufs zu immer mehr Maschinentätigkeit erleichtere auch Kümmert die Arbeit, das sieht er als großen Vorteil. Mit seinem Ehrenamt bei der Tafel Gemünden möchte er "etwas der Gesellschaft zurückgeben".
Neue Brotsorten auszuprobieren, das reizt ihn auch mit 72 Jahren noch, er sei da sehr offen. Auch veganes Backen interessiere ihn, gerne testet er neue Variationen in seiner eigenen kleinen Backstube daheim. "So lang der Herrgott und die Gesundheit mitspielen, arbeite ich weiter", meint Kümmert.