
Nach dem Willen der Bayerischen Staatsregierung und des Kultusministeriums soll künftig in allen Schularten in einer Viertelstunde pro Woche die Bedeutung der Verfassung und der Grundrechte im Mittelpunkt stehen. Der Unterricht soll im Klassenverband und als Aufgabe aller Lehrkräfte im Rahmen des gesamten Fächerspektrums erfolgen. Wie eine solche Verfassungsviertelstunde konkret ablaufen kann, erlebte Bayerns Kultusministerin Anna Stolz am Karlstadter Johann-Schöner-Gymnasium (JSG), ihrer ehemaligen Schule, als Hinterbänklerin bei der Klasse 11c mit deren Lehrer Thomas Joachim. Presse, Funk und Fernsehen waren mit dabei.
Drei Meter hohe Glastafeln erinnern in Berlin an den 23. Mai 1949. Auf ihnen sind die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes festgehalten, die für die Grundrechte der Menschen in unserem Land stehen. Der Artikel 4 steht für die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der weltanschaulichen Bekenntnisse. Ausgehend von diesem Beispiel sammelten die Schüler und Schülerinnen weitere Grundrechte: die Freiheit der Meinung, der Versammlung, das Recht auf Asyl oder die Gleichheit vor dem Gesetz. Diese Artikel finden ihren Brennpunkt in Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".
Im gemeinsamen Gespräch erarbeiteten Lehrer und Schüler die Bedeutung dieser Artikel, wobei interessante Beiträge die Einsicht brachten, dass die zugesicherten Rechte heute zwar selbstverständlich erscheinen, aber im täglichen Leben immer wieder konkret umgesetzt werden müssen. Eine Schülerin brachte diese Erkenntnis auf den Punkt: "Das ist keine Selbstverständlichkeit, das kommt nicht von alleine. Wir selbst müssen etwas für unsere Demokratie tun!" Ein anderer Schüler verwies auf die Problematik, das Recht auf Asyl umzusetzen. Dabei entspann sich kurz eine kontroverse Diskussion um den Begriff Asyl und dessen Einschränkungen.
Schülerinnen und Schüler konnten mit Ministerin Stolz diskutieren
Zum Schluss hatten die jungen Leute noch die Möglichkeit, mit der Ministerin Ansichten und Kritiken zu erörtern. Reicht hier eine Viertelstunde? Inwieweit stimmen diese Ansprüche mit der Realität überein? Wie können wir den Umgang mit Meinungsfreiheit und "Fake News" bewältigen? Ein Schüler meinte, es wäre besser, die "Viertelstunde" ans Ende einer Unterrichtseinheit zu setzen, damit man in der folgenden Pause darüber reden könne.
Insgesamt zeigten sich die jungen Leute sehr aufgeschlossen, interessiert und bereit zur aktiven Beteiligung. Natürlich konnte man in der elften Jahrgangsstufe schon auf Vorkenntnisse bauen. Inwieweit das doch recht große Medieninteresse mit Presse, Rundfunk und Fernsehen Einfluss auf die Mitarbeit der Schüler hatte, lässt sich nur schwer abschätzen. Auch wäre es durchaus interessant, den Verlauf einer solchen Stunde beispielsweise in einer Mittelschule mitzuerleben.
Stolz: Verfassungsviertelstunde könne von allen Lehrkräften durchgeführt werden, auch im Sportunterricht
Ministerin Stolz sprach anschließend noch über die Intention und die Durchführungsmöglichkeiten der "Verfassungsviertelstunde". Für den Lehrer Thomas Joachim, der am JSG Latein, Geschichte und katholische Religionslehre unterrichtet, war das natürlich ein "Heimspiel", denn er war eigentlich voll in seinem ureigensten Fachgebiet, doch die Ministerin betonte, dieser spezielle Unterricht müsse fächerübergreifend von allen Lehrkräften durchgeführt werden. Man könne ohne weiteres auch beispielsweise im Sport über die Notwendigkeit von Regeln, Fair Play und Gemeinschaftsgeist reden und auch in anderen Fächern ließen sich leicht Anknüpfungspunkte finden.

Mit der Verfassungsviertelstunde sollen neben dem Wissen um die Bedeutung der Verfassungswerte und demokratische Grundhaltungen gefördert werden. Die Themen sollen als aktuelle Impulse mit Bezug auf die Lebenswelt aufgegriffen werden. Leistungserhebungen und -bewertungen dürfen hier nicht erfolgen. Begonnen soll schon in der zweiten und vierten Jahrgangsstufe der Grundschulen und in der sechsten sowie achten Jahrgangsstufen der weiterführenden Schulen erfolgen. Am Gymnasium ist die Verfassungsviertelstunde für die Jahrgangsstufen sechs, acht und elf vorgesehen.
Anmerkung: Unsere Verfassung datiert nicht auf 23. Mai 1945 unmittelbar nach Kriegsende, sondern gründlich erarbeitet erst 1949.