
Der erste Tag nach den Sommerferien ist der Tag der Wahrheit an der Berufsschule Main-Spessart. Erst dann erfahren Schulleiter Gerhard Hecht und das Kollegium, wie viele Schülerinnen und Schüler die Berufsschule im neuen Schuljahr besuchen werden. Und vor dem ersten Tag nach den Ferien haben im Moment besonders die Lehrkräfte im Fachbereich Körperpflege Sorge: Kommen genug Friseur-Azubis für zwei Klassen zusammen?
Die Anmeldezahlen an der Berufsschule sind in gewisser Weise ein Frühwarnsystem für den Fachkräftemangel. Seit 2006 kommen in Karlstadt die Friseur-Lehrlinge aus den drei Landkreisen Main-Spessart, Kitzingen und Würzburg zusammen. Damals gab es in jedem Lehrjahr drei Klassen – im kommenden Schuljahr gibt es nur eine Abschlussklasse und eine Klasse im zweiten Lehrjahr. Ob im ersten Lehrjahr zwei Klassen zustande kommen, wird sich zeigen.
Worauf müssen sich Kunden einstellen?
34 Prüflinge waren es in diesem Jahr, so viele ausgebildete Friseurinnen und Friseure entlassen die Lehrerinnen Beate Nagel und Ivonne Stegmann heuer hoffentlich auf den Arbeitsmarkt. Früher waren es schon mal 80 in einem Jahrgang. Das wird auf Dauer Konsequenzen haben: "Wenn wir weiter so wenig ausbilden, müssen wir damit rechnen, dass ein Haarschnitt bald erheblich teurer wird", so die Prognose von Beate Nagel. Und: Auch die Wartezeit auf einen Friseurtermin wird deutlich länger werden.
Schulleiter Hecht hat beobachtet, wie sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt in den vergangenen Jahren um 180 Grad gedreht hat: "Vor zehn Jahren gab es auf eine Lehrstelle zehn Bewerber. Heute müssen die Unternehmen Bewerber mit Prämien und Bonus-Zahlungen locken." Viele Friseurbetriebe haben heute gar keine Bewerber, wissen Nagel und Stegmann. Mancher Meister ruft auch verzweifelt in der Berufsschule an und erkundigt sich nach Azubis, die während der Ausbildung den Betrieb wechseln wollen.
Viele Friseure haben gar keine Bewerber
So ein Wechsel kommt inzwischen häufig vor. "Da kämpfen wir als Lehrkräfte, damit die Azubis nicht den ganzen Beruf an den Nagel hängen, sondern es doch noch in einem anderen Betrieb versuchen", erzählt Ivonne Stegmann.
Das "Fitting" zwischen dem Lehrling und dem Betrieb müsse eben stimmen, so drückt es Hecht aus. "Das Arbeitsklima spielt heute eine sehr große Rolle", beobachtet er. "Die Azubis wünschen sich eine familiäre Atmosphäre, in der sie auch mit privaten Problemen aufgefangen werden." Die Bezahlung ist für viele dann zweitrangig. Beate Nagel stimmt ihm zu: Die aktuelle Generation von Azubis müsse sanfter angefasst werden, sei weniger kritikfähig. Das hätten aber viele Ausbilder noch nicht verstanden.
Wertschätzung für Friseure fehlt
1683 Schülerinnen und Schüler haben im vergangenen Schuljahr die Berufsschule Main-Spessart in Karlstadt oder Lohr besucht – das sind etwa 200 Schüler weniger als im vorherigen Jahr. Schulleiter Gerhard Hecht ist froh, dass die Schule fachlich breit aufgestellt ist und neben den Friseur-Klassen zum Beispiel auch in Metalltechnik, Elektrotechnik und Verwaltung ausbildet. "Zum Glück haben wir kaufmännische und gewerbliche Azubis und sind nicht auf einen Bereich spezialisiert. Sonst wären die Anmeldezahlen wohl noch niedriger."
Regen Zulauf erfährt heuer zum Beispiel die Ausbildung zum Kaufmann oder zur Kauffrau im E-Commerce, also im Online-Handel. Die Corona-Krise hat hier für einen zusätzlichen Boom gesorgt. Dass ein Friseur oder eine Friseurin durch keine Maschine zu ersetzen ist, haben im Lockdown viele Menschen festgestellt. Auf den Ausbildungsmarkt hat sich das aber nicht positiv ausgewirkt. "Die Wertschätzung für Friseure hat gerade bis zum ersten Haarschnitt gehalten", ist Ivonne Stegmanns Eindruck.
"Ausbildung ist die Basis – nicht die Endstation"
Werbung für eine Ausbildung ist im Moment überall zu hören und zu sehen, für das Engagement von IHK und Handwerkskammer hat Schulleiter Gerhard Hecht viel Lob. Der Effekt bleibt jedoch bisher aus. Beate Nagel hat den Eindruck, dass eine Ausbildung viel zu oft als Endstation gesehen wird – und nicht als Basis, auf der sich eine abwechslungsreiche Karriere aufbauen lässt. Zwei Absolventen des aktuellen Lehrjahrs haben beispielsweise schon Verträge an Theatern für eine Weiterbildung als Maskenbildner. Eine abgeschlossene Friseurausbildung wird dafür vorausgesetzt. "Das gilt auch für eine Karriere in der Friseurindustrie", ergänzt Stegmann. Für die, die ein Studium anschließen, ist der Lehrberuf wie ein Sicherheitsnetz, auf das man immer zurückgreifen kann.
Nagel und Stegmann hoffen, dass sich das Klischee des "dummen" Friseur-Azubis bald überholt. "Das ist eigentlich ein toller kreativer Beruf", so Stegmann. Sie warten nun gespannt auf den 13. September, den ersten Tag des neuen Schuljahrs.
Drei Fragen an: Nicole Rummel, Obermeisterin der Friseurinnung Main-Spessart
Spüren Sie den Fachkräftemangel in Main-Spessart?Sechs Friseur-Gesellen wurden heuer in Main-Spessart freigesprochen – 2001 waren es noch mehr als 20 Gesellen. Ich weiß von einigen Betrieben, die sofort einen Azubi einstellen würden. Weniger Auszubildende bedeutet auch, dass es weniger Gesellen und weniger Meisterkurse gibt – der Fachkräftemangel ist in den Salons schon spürbar.
Viele schauen sehr herablassend auf den Beruf. Dabei gibt es viele kreative Möglichkeiten und die Bezahlung ist besser, als viele annehmen. Es ist auch nicht so, dass man die Ausbildung geschenkt bekommt. Immer wieder fallen auch Azubis durch die Abschlussprüfung.
Im Flächenlandkreis Main-Spessart ist es zum Beispiel für viele minderjährige Azubis schwer, den Weg zur Arbeit zu organisieren – und ein guter Grund zu wechseln, wenn ein wohnortnaher Betrieb sie aufnimmt.