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Lohr
"Bavarian Rebel" und überzeugter Europäer: Früherer Staatsminister Eberhard Sinner feiert in Lohr 80. Geburtstag
Fast acht Jahre war der Forstwirt bayerischer Minister, dann sägte ihn Horst Seehofer ab. "Schnee von gestern", sagt Eberhard Sinner. Langweilig ist ihm bis heute nicht.
Eberhard Sinner, der frühere CSU-Landtagsabgeordnete und bayerische Minister aus Lohr (Lkr. Main-Spessart), feiert an diesem Mittwoch seinen 80. Geburtstag.
Foto: Thomas Obermeier | Eberhard Sinner, der frühere CSU-Landtagsabgeordnete und bayerische Minister aus Lohr (Lkr. Main-Spessart), feiert an diesem Mittwoch seinen 80. Geburtstag.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 25.11.2024 02:32 Uhr

Aus der aktiven Politik hat sich Eberhard Sinner spätestens 2020 mit dem Ausscheiden aus dem Kreistag Main-Spessart zurückgezogen. Das politische Geschehen aber verfolgt er mit wachem wie kritischem Geist. In den sozialen Netzwerken hat Sinner gerade den Wahlsieg von Donald Trump in den USA mit verbalem Kopfschütteln kommentiert. Der weltweit zu beobachtende "Rückfall in den Nationalismus" umtreibt ihn, ein Kind der Nachkriegszeit, bis heute.

Eberhard Sinner in der Lohrer Altstadt mit Dackeldame Orla, die ihn regelmäßig auf der Jagd begleitet.
Foto: Thomas Obermeier | Eberhard Sinner in der Lohrer Altstadt mit Dackeldame Orla, die ihn regelmäßig auf der Jagd begleitet.

An diesem Mittwoch, 20. November, feiert Eberhard Sinner seinen 80. Geburtstag. Zum Gespräch im Café in der Lohrer Innenstadt hat der frühere bayerische Minister Hündin Orla mitgebracht - der siebte Rauhaardackel seines Lebens, wie er sagt. Bis heute geht der studierte Forstwirt und ehemalige Forstamtsleiter in Gemünden im eigenen Revier in Rothenfels auf die Jagd.

Fit dafür und für lange Reisen mit dem Wohnmobil hält er sich mit Joggen - mittlerweile am liebsten im Kurpark an seinem Zweitwohnsitz Bad Kissingen. "Anders als im Spessart gibt es dort keine Steigungen", sagt Sinner und lacht. Gut ein Drittel seiner Zeit verbringt er inzwischen mit Ehefrau Uta im Kurbad. Seit vielen Jahren engagiert er sich dort auch für das Klassikfestival "Kissinger Sommer".

Eberhard Sinner 1986, als er im Forstamt Gemünden seinen Schreibtisch räumte, um als Landtagsabgeordneter nach München zu gehen.
Foto: Michael Fillies | Eberhard Sinner 1986, als er im Forstamt Gemünden seinen Schreibtisch räumte, um als Landtagsabgeordneter nach München zu gehen.

27 Jahre lang, von 1986 bis 2013, hat Eberhard Sinner den Stimmkreis Main-Spessart als direkt gewählter CSU-Abgeordneter im Landtag vertreten. Knapp acht Jahre gehörte er dem bayerischen Kabinett an. Ab 2001 zunächst unter Ministerpräsident Edmund Stoiber als Ressortchef für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz, ab 2003 dann als Minister für Europaangelegenheiten. 2005 wurde der Unterfranke Chef der Staatskanzlei und "Medienminister". Das Amt behielt er 2007 auch unter Stoiber-Nachfolger Günther Beckstein.

Für Ministerpräsident Horst Seehofer war der Unterfranke als Minister zu alt

Nach dem schwachen CSU-Abschneiden bei der Landtagswahl im Herbst 2008 musste Beckstein zurücktreten. Der neue Ministerpräsident Horst Seehofer stellte die Staatsregierung neu auf. Sinner war gerade 64 Jahre alt geworden - zu alt für Seehofer. Die Umstände dieses "Rausschmisses" will der Jubilar rückblickend nur ungern kommentieren: "Alles Schnee von gestern". Für fünf Jahre blieb Sinner damals noch medienpolitischer Sprecher der CSU-Fraktion - "mein politisches Abklingbecken".

Mangelnde Loyalität zur CSU-Führung kann man dem Ex-Minister nicht vorwerfen, seinen eigenen Kopf aber hat sich Sinner immer bewahrt. Mit Aufkommen der sozialen Medien fand er Spaß am Kommentieren - weit über die Landespolitik hinaus. "Bavarian rebel" nennt er sich selbst bei X. 

CSU-Politiker unter sich: Regierungschef Edmund Stoiber und Minister Eberhard Sinner 2006 in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | CSU-Politiker unter sich: Regierungschef Edmund Stoiber und Minister Eberhard Sinner 2006 in Würzburg.

Aufsehen erregt der Lohrer, wenn er sich klar zur politisch liberalen Linie von Angela Merkel bekennt - ob das in der CSU gerade en vogue ist oder nicht. Bis heute verteidigt Sinner die Flüchtlingspolitik der früheren Kanzlerin, "weil sie menschlich ohne Alternative war". Das Hadern mit der eigenen Parteiführung gehört für einen guten Politiker dazu, ist Sinner überzeugt. Eine Volkspartei wie die CSU müsse Meinungsvielfalt aushalten. "Solange ich mindestens 51 Prozent der Positionen meiner Partei zustimmen kann, ist doch alles gut."

Eberhard Sinner ist ein überzeugter Europäer. Nur gemeinsam könne der Kontinent gegen Russland, China oder die USA bestehen. Ob Digitalisierung, Migration, Klimaschutz oder militärische Verteidigung: Kein Staat in Europa könne die Probleme alleine lösen. "Der Nationalstaat ist ein Anachronismus", lautet das Credo des 80-Jährigen. Er plädiert für "deutlich mehr Europa", auch wenn Länder wie Deutschland dafür mehr Souveränität abgeben müssten. 

Friedenskapelle in Stalingrad: Sinner sorgt sich um sein deutsch-russisches Versöhnungsprojekt 

Momentan leidet der frühere Europaminister vor allem an der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen. Wladimir Putins Angriffskrieg gefährdet ein Versöhnungsprojekt, das Sinner im vergangenen Jahrzehnt mit besonders viel Herzblut vorangetrieben hat - den Bau der Friedenskapelle Rossoschka als Ost-West-Begegnungsstätte in Stalingrad.

Dort, wo die vielleicht schlimmste Schlacht im Zweiten Weltkrieg stattfand, wo Hunderttausende Russen und Deutsche ihr Leben verloren, eröffneten Sinner und seine Mitstreiter vom "Ost-West-Wirtschaftsforum" 2016 eine eindrucksvolle Freiluftkirche - mit römisch-katholischem und orthodoxem Kreuz.

Gemeinsam mit seiner früheren Kabinettskollegin Christa Stewens (links) erhielt Eberhard Sinner 2009 in München das Bundesverdienstkreuz.
Foto: Frank Leonhardt, dpa | Gemeinsam mit seiner früheren Kabinettskollegin Christa Stewens (links) erhielt Eberhard Sinner 2009 in München das Bundesverdienstkreuz.

Er habe geglaubt, der Friedens- und Versöhnungsprozess sei unumkehrbar, räumt der 80-Jährige ein. Doch seit Putins Überfall auf die Ukraine sei alles anders, die Kontakte nach Wolgograd, wie Stalingrad heute heißt, sind offiziell unterbrochen. Im Hintergrund liefen zwar Bemühungen, Gesprächskanäle offenzuhalten, sagt Sinner. "Aber wir müssen vorsichtig sein", niemand auf russischer Seite solle gefährdet werden.

"Beten wir darum, dass wir uns wieder von Mensch zu Mensch in Frieden begegnen können", schreibt Eberhard Sinner in der Einladung zu seiner Geburtstagsfeier an diesem Mittwoch. Der zweifache Vater und sechsfache Opa erwartet viele Weggefährten. 

 
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  • Paul Merklein
    Zur Staatsverdrossenheit trägt auch bei wenn sich ehemalige Berufspolitiker gegenseitig mit Orden bedenken, als Verdienst für eine Tätigkeit die beruflich gegen Entgelt ausgeübt wurde.
    Ob sich darüber hinaus Eberhard Sinner Verdienste erworben hat, die solch eine mediale Darstellung rechtfertigen möchte ich lediglich in den Raum stellen.
    Dennoch Glückwunsch zum 80., doch ein "bavarian rebel" war er nie.
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