
Gerade mal eine gute Stunde weilte die Bundeskanzlerin am Montagabend in Würzburg. Doch die reichten Angela Merkel, um Eindruck zu hinterlassen. Zumindest bei den allermeisten der über 2000 Besucher des Diözesanempfangs im Congress Centrum. Stehenden Beifall und einzelne Bravorufe: Das erlebt die Regierungschefin in diesen Tagen längst nicht alle Tage, schon gar nicht bei Besuchen in Bayern. Doch hier, beim Treffen der vielen ehren- und hauptamtlichen Kirchenmitarbeiter, da hatte die Pastorentochter ein Heimspiel. „Sie haben allen aus dem Herzen gesprochen“, freute sich der Gastgeber, Bischof Friedhelm Hofmann.
Unprätentiös und uneitel
Zum einen punktete Merkel mit einer Rede zum Zusammenhalt in der Gesellschaft, mit der sie – das kann man kritisch anmerken – niemandem auf die Füße trat, andererseits aber auch nichts von ihrer bisherigen Politik zurücknahm.
Als Appell, den einfachen Lösungen zu trotzen und sich selbstbewusst einzusetzen für Menschlichkeit und Demokratie auch in Zeiten, in denen der Wandel das Beständige ist, in denen Lebensräume – als Folge von Globalisierung und Digitalisierung – immer weniger überschaubar sind.
Zum anderen präsentierte sich die Bundeskanzlerin, die von Regierungssprecher Steffen Seibert begleitet wurde, unprätentiös und uneitel, wie man sie kennt. Noch bevor sie sich von Oberbürgermeister Christian Schuchardt zum Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Würzburg empfangen ließ, machte sie erst mal einen Abstecher in den Barbarossa-Saal, um den 400 Besuchern „Guten Abend“ zu sagen, die ihre Rede nur über eine Videoleinwand verfolgen konnten. Zuvor schon hatte sie sich – Termindruck hin oder her – Zeit für ein Gruppenbild mit den Garderobenfrauen im Foyer des CCW genommen. Gesten, wie man sie längst nicht von jedem Spitzenpolitiker kennt.
Wer damit gerechnet hatte, Merkel würde zum Auftakt des Wahljahrs Stellung zum unionsinternen Streit um die Flüchtlingspolitik beziehen, hatte zuviel erwartet. Auf dieses Glatteis begab sich die Kanzlerin am Rednerpult im Franconia-Saal nicht. Der Rechtsstaat müsse Menschen, die Hilfe brauchen, auch Hilfe gewähren, sagte sie und würdigte das Engagement Zehntausender ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. Merkel betonte aber auch, wer kein Aufenthaltsrecht bekomme, müsse Deutschland wieder verlassen. Worte, die auch CSU-Chef Horst Seehofer, der den Auftritt der Kanzlerin in „seinem“ Freistaat aus der Ferne beäugte, zufriedengestellt haben dürften.
Stamm für gemeinsamen Wahlkampf von CSU und CDU
Seehofers Stellvertreterin im CSU-Parteivorsitz, Landtagspräsidentin Barbara Stamm, sah durch Merkels Rede jedenfalls diejenigen bestätigt, „die den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern“. Trotz unterschiedlicher Auffassungen beim Thema Obergrenze sehe sie keinen Grund, nicht gemeinsam mit der CDU in den Wahlkampf zu ziehen, so Stamm auf Nachfrage.
Dass Merkel auch in der CSU viele Fans hat, machten weitere Äußerungen deutlich. Eberhard Nuß, der Würzburger Landrat, sprach von einer „großartigen Rede“ einer „ganz, ganz tollen Frau“. Der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos würdigte „eine klasse, eine tiefgründige Rede“. Angesprochen auf Seehofers Kanzlerinnen-Kritik, spottete Glos: „Was juckt es den Mond, wenn der Hund bellt“. Thomas Schmitt, der CSU-Stadtrat in Würzburg, äußerte gar Hoffnung, dass Merkel in Würzburg vielleicht auch den einen oder anderen erreicht hat, der am heimischen Stammtisch „Merkel muss weg“ skandiere.
Er halte Merkels Entscheidung, die Grenzen für die Flüchtlinge am Budapester Bahnhof zu öffnen, „nach wie vor für falsch“, bekannte Weinbaupräsident Artur Steinmann. „Doch 90 Prozent ihrer Politik ist richtig“, sagt er. „Und dann dieser lockere, angenehm zurückhaltende Auftritt beim Empfang.“ Merkel sei die richtige Frau am richtigen Ort. Eine Einschätzung, die er auch mit dem früheren Minister Eberhard Sinner, einem bekennenden Kanzlerinnen-Fan, teilt.
Kaum kritische Stimmen
Kritische Stimmen zu finden, war schwierig. Er habe sich „ein wenig mehr“ erhofft zum „brisanten Thema Flüchtlinge“, sagte Pastoralreferent Burkhard Pechtl vorsichtig. Viele Flüchtlingshelfer wollten die Harmonie nach der Merkel-Rede offensichtlich nicht stören. Dabei waren es 120 Mitstreiter der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), die vor dem Veranstaltungsort gegen die Asylpolitik der Bundesregierung demonstrierten, allen voran gegen die Abschiebungen nach Afghanistan. Und das just an einem Abend, an dem auch Flüchtlinge aus Unterfranken dorthin „zurückgeführt“ wurden. Obwohl auch noch einzelne Demonstranten aus dem rechten Spektrum auftauchten, blieb die Lage nach Polizeiangaben friedlich. Merkel dürfte die Demo bei ihrer Ankunft in Würzburg registriert haben, mehr aber auch nicht.
Unabhängig vom Thema Flüchtlingspolitik zeigte sich die Landtagsabgeordnete Kerstin Celina „nicht begeistert“ vom Auftritt Merkels. „Es war eine Rede, die auch bei jedem anderen Anlass hätte gehalten werden können“, sagte die Sozialexpertin der bayerischen Grünen. Sie hätte sich eine „besondere Rede“ gewünscht, die mehr die Tätigkeit und die Rolle der Kirchen beleuchtet. Celina: „Nach der Rede geht kein Ruck durch die Diözese, und das ist schade.“
Lob für das Plädoyer für die Familie
Andere hatten da weniger Erwartungen. Michael Kroschewski, Vorsitzender des Familienbundes der Katholiken in der Diözese Würzburg, freute sich, über das Plädoyer der Kanzlerin für die Familie. „Familie ist dort, wo Eltern für Kinder oder Kinder für Eltern Verantwortung übernehmen“, sagte Merkel und referierte die familienpolitischen Leistungen ihrer Regierung. „Wir sehen uns gestärkt“, reagierte Kroschewski positiv. Auch die Themen Pflege und Rente erwähnte die Kanzlerin. „In der Rede war für alle Generationen ein Satz dabei“, fasste die Fränkische Weinkönigin Christina Schneider zusammen. „Ich fand das sehr sympathisch.“
Die Nordheimerin gehörte zum kleinen Kreis mit Barbara Stamm, Bischof Hofmann und Kardinal Reinhard Marx, die nach dem offiziellen Teil mit der Kanzlerin anstoßen durften – mit einem Silvaner vom Würzburger Juliusspital. Minuten später war Merkel dann wieder weg. Mitarbeit: Ach, AJ, PW
von der Realitätsfremdheit (Verlogenheit) ganz zu schweigen.