
Die ungewöhnliche Beobachtung einer älteren Wohnroderin kursiert derzeit in den Sozialen Netzwerken. Sie glaubt, dass sie am Sonntagmorgen vorvergangener Woche kurz hinter dem Wohnroder Ortsschild in etwa 120 bis 150 Meter Entfernung fünf oder sechs Wölfe über die Straße hat laufen sehen.
Wir haben uns mit der Frau getroffen, die uns die Stelle zeigt, wo sie die vermeintlichen Wölfe zwischen einem Ortsschild und der etwas außerhalb gelegenen Frickenmühle gesehen haben will. Die Augenzeugin klingt glaubwürdig, möchte aber anonym bleiben, weil sie Belästigungen fürchtet. Expertinnen und Experten können sich auf diese Geschichte keinen Reim machen.
Es sei 9 Uhr gewesen, als sie mit dem kleinen Hund ihrer Tochter die Straße hinunter Richtung Ortsausgang gelaufen sei, erzählt die Frau. Sonst sei niemand unterwegs gewesen. Sie habe die Terrierhündin an der Leine gehalten, weil in dem kleinen Ort mitten im Wald ständig irgendwelche Hunde frei herumliefen. Außerdem sei die Hündin gerade läufig.
Es existiert kein Foto von den Tieren
Sie war noch rund 100 Meter vom Ortsausgang entfernt, als sie kurz hinter dem Ortsschild auf einmal zwei, wie sie zunächst gedacht habe, schäferhundgroße Hunde auf der Straße habe stehen sehen. Plötzlich seien jedoch vom schmalen Wiesengrund herauf drei oder vier weitere Tiere dazugestoßen, bevor sie alle auf der anderen Straßenseite hinauf in den Hochwald verschwunden seien. Sie habe kein Handy dabeigehabt, außerdem sei alles sehr schnell gegangen. Weitere Zeugen gibt es nicht.
Waren es vielleicht nur Hunde? "Entweder waren es Wölfe oder fünf identische Hunde", sagt die Frau. Genau beschreiben kann sie die Tiere nicht, jedenfalls seien sie nicht beigefarben gewesen. Als die weiteren Tiere dazustießen, sei für sie klar gewesen, dass es Wölfe sein müssen. Ein Wolfsrudel ist im Spessart aber bisher nicht bekannt. Ihr Mann habe sie daheim noch gefragt, ob sie sicher sei, dass sie keine Wildschweine gesehen habe, aber da sei sie sich sicher.
Geschichte landete schnell bei Anti-Wolf-Initiative
Sie habe ihre Beobachtung einem Nachbarn mitgeteilt, der offenbar ein privat betriebenes "Infonetzwerk" einer Anti-Wolf-Initiative, die in mitunter reißerischer Weise tatsächliche und angebliche Wolfsrisse und -sichtungen verbreitet, kontaktierte. Jemand aus dem Netzwerk habe sie dann angerufen, woraufhin ihre Geschichte, wonach die Wölfe "zentral in Ortslage" mitten auf der Dorfstraße gesichtet worden seien, in den Sozialen Netzwerken landete. Weil der Nachbar die Beobachtung wohl auch im WhatsApp-Status hatte, erreichte die Nachricht auch Fellens Bürgermeisterin Zita Baur. Der Nachbar bestreitet gegenüber der Redaktion, dass er die Sache auf WhatsApp verbreitet habe.
Einer Fachstelle wie dem Landesamt für Umwelt (LfU) habe die Frau ihre Beobachtung zu einer genauen Untersuchung von etwa Trittspuren oder Losung nicht mitgeteilt, sagt sie, sich aber noch bei einer Initiative "Pro Wolf" und beim Bauernverband gemeldet. Von "Pro Wolf" habe es geheißen: "Sie müssen keine Angst haben" – was sie aber nicht beruhigt habe.
Hirschgehege in der Nähe wurde ignoriert
Bürgermeisterin Baur wundert sich, dass die mutmaßlichen Wölfe das nicht weit entfernte Hirschgehege ignorierten, auch Wildkameras haben offenbar nichts festgehalten. Die Augenzeugin ist gut mit dem Damwild-Halter im Luftlinie nur knapp sechs Kilometer entfernten hessischen Pfaffenhausen bekannt. Dort hat eine Wölfin im August zunächst zwei Damhirsche und fünf Tage später acht weitere gerissen. Sie hat auch von Rissen in Lohrhaupten gehört, das von Wohnrod aus gleich hinter dem Berg liegt. "Ich möchte kein Damwild oder Schafe halten, wenn der Wolf da ist", sagt sie.
Dass am Montagmorgen zum einen aus Lohrhaupten ein angefressenes und zum anderen aus dem sieben Kilometer entfernten Aura ein gerissenes Schaf gemeldet wurde, beides Wolf-Verdachtsfälle, wird von Aktivisten als Beleg genommen, dass hier wohl mehr als ein Wolf aktiv gewesen sein müsse. Beim Wolfszentrum Hessen des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie geht man davon aus, dass auf einer so kurzen Distanz durchaus ein und derselbe Wolf in einer Nacht zuschlagen kann.
Experten können sich auf vermeintliches Wolfsrudel keinen Reim machen
Eine Gruppe von durchziehenden Wölfen können sich weder die hessischen noch die bayerischen Wolfsexperten erklären. Dem Wolfszentrum Hessen zufolge gibt es in der Regel keine "durchziehenden" Wolfsrudel. Ein solches würde aus Elterntieren und ihren Jungtieren bestehen. Jungtiere aber wandern im Alter von etwa zehn bis 22 Monaten auf der Suche nach einem eigenen Territorium ab, so das hessische Wolfszentrum. Das bayerische LfU teilt mit: "Die Abwanderung der Wölfe erfolgt nach unseren Erkenntnissen immer einzeln." Zuletzt gab es im Spessart nur Hinweise und viele Risse von einem Einzeltier: der Wölfin GW3092f.
Das nächste sesshafte Rudel ist das auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken in der Rhön, das dieses Jahr auch Nachwuchs hatte. "Es ist durchaus möglich, dass sich im Laufe der Zeit die Grenzen eines Territoriums verschieben können", so Annika Ploenes vom Wolfszentrum Hessen. "Allerdings gibt es auf hessischer Seite bisher keinen Nachweis dafür, dass dies bei dem Rudel Wildflecken der Fall wäre."