Acht neue Stolpersteine erinnern seit Freitag an jüdische Menschen, die einst in Marktheidenfeld gelebt haben und vor den Nationalsozialisten geflohen sind oder in Konzentrationslagern ermordet wurden. Verlegt hat die Steine Künstler Gunter Demnig, der die Aktion vor über 30 Jahren ins Leben gerufen hat und im März 2022 bereits zwölf Stolpersteine in Marktheidenfeld verlegt hat. Begleitet wurde die Aktion von Schülerinnen und Schüler aus Marktheidenfeld, die über das Leben der Menschen, für die die Steine stellvertretend stehen, erzählten.
Bürgermeister Thomas Stamm erinnerte in seiner Ansprache an die Aktualität der Stolpersteine: "Die letzten Wochen haben uns schmerzlich vor Augen geführt, was Hass und Fanatismus für schreckliche und unmenschliche Auswirkungen haben." Die Verlegung, einen Tag nach dem sich die Novemberpogrome von 1938 zum 85. Mal jährten, sei eine Mahnung, sich für Menschlichkeit und Toleranz einzusetzen, so Stamm. In dem Gedenkgottesdienst in der St. Laurentius-Kirche gingen außerdem Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Realschule auf die Reichspogromnacht in Deutschland und speziell in Marktheidenfeld ein.
Hermine Freimark betrieb ein Kurzwarengeschäft in der Oberen Gasse
Mit einem Stolperstein in der Oberen Gasse 10 wird Hermine Freimark (geborene Adler) gedacht. Sie wurde am 12. Dezember 1876 in Urspringen geboren und heiratete den aus Homburg stammenden Schmied Salomon Freimark. Nach dem Tod ihres Mannes betrieb sie in der Oberen Gasse in Marktheidenfeld ein Kurz- und Wollwarengeschäft. 1938 emigrierte sie in die Niederlande zu einem ihrer vier Söhne. Die Familie ihres Sohnes wurde 1942 nach Auschwitz deportiert, Hermine Freimark wurde kurze Zeit später ebenfalls inhaftiert und am 14. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor in Polen ermordet.
Mit dem Verlesen fiktiver Tagebucheinträge versuchten Schülerinnen und Schüler der FOS BOS das Leid zu vermitteln, das Hermine Freimark empfunden haben muss: "Ich vermisse meine Söhne jeden Tag. Wir leben auf einem Pulverfass."
Adolf Freimark betrieb einen Schuhladen in der Obertorstraße
"Stellt euch vor, ihr führt einen erfolgreichen Laden und dann kommt ein Mann namens Adolf Hitler." Mit diesen Worten stellten Schülerinnen und Schüler des Balthasar-Neumann-Gymnasium und der St. Nikolaus-Schule das Leben von Adolf Freimark vor. Er zog 1887 nach Marktheidenfeld und betrieb später einen Schuhladen in der Obertorstraße. 1934 wanderte er mit seiner Frau Babette und den Kindern Recha und Leo Freimark nach New York aus.
Vier Stolpersteine in der Obertorstraße 18 tragen nun ihre Namen. "Unsere Heimat aufzugeben ist für uns unvorstellbar und wir hoffen, dass es auch so bleibt. Aber wir wollen das Leid und die Qualen der Menschen nicht vergessen", so die Jugendlichen in ihrer Ansprache.
Eisenwarenhandlung am Marktplatz bei Novemberpogrom verwüstet
An das Leben von Albert, Helene und Ruth Heimann erinnern drei neue Steine am Marktplatz 7. Albert Heimann kam 1908 mit seiner Frau nach Marktheidenfeld und eröffnete eine Eisenwarenhandlung am Marktplatz. Er beteiligte sich auch an der Gründung einer eigenständigen jüdischen Gemeinde in Marktheidenfeld. Sein Geschäft und seine Wohnung wurden bei dem Novemberpogrom 1938 verwüstet. Im Mai 1939 ging sein Laden im Zuge der "Arisierung" an den Treuhänder Willy Scheiber über.
"Er verlor dabei sein komplettes Vermögen", erklärten Schülerinnen und Schüler der Mittelschule und der St. Kilian-Schule, die die Verlegung der Steine am Marktplatz begleiteten. 1939 zog die Familie nach Frankfurt, ihr weiteres Schicksal ist unklar. Im Bundesarchiv findet sich lediglich der Eintrag "unbekannter Deportationsort, für tot erklärt". Lediglich Tochter Ruth gelang die Flucht nach New York.
100.000. Stolperstein im Mai verlegt
Im Mai hat Gunter Demnig den 100.000. Stolperstein verlegt, inzwischen sind es 105.000 in ganz Europa, von Norwegen bis nach Griechenland, so der Künstler. "Der Hintergrund ist zwar kein Grund zur Freude. Aber dennoch freue ich mich über jeden Stein, der neu dazu kommt", sagte er in Marktheidenfeld. Sein Ziel ist es, die Schicksale der Menschen greifbar zu machen. Dann, so seine Erfahrung, würden sich auch junge Menschen für die Geschichte interessieren.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version waren die Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Realschule nicht erwähnt. Diese haben jedoch bei dem Gedenkgottesdienst in der St. Laurentius-Kirche mitgewirkt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.